Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Als der Regierungsrat von Schilden das Zimmer des Generals verließ, sah der Bediente des Vorzimmers nach, wer von den Wartenden zuerst zur Audienz anzumelden sei. Der General war ein gerechter und ordentlicher Mann.
Er ließ in den Audienzstunden jeden vor sich und jeden nach der Reihenfolge, in der er in das Vorzimmer eingetreten war. Zu dem Ende lag hier auf einem Pulte ein großes Buch auf, in das jeder bei seinem Eintreten seinen Namen einschrieb. Nach dem Buche meldete der Diener dem General an.
Der Regierungsrat war vor der gewöhnlichen Audienz stunde »befohlen« gewesen.
In einer Ecke des Vorzimmers standen zwei Herren beisammen. Zu ihnen ging der Bediente, um den einen von ihnen zu dem General hineinzuführen.
Er war in der Tat der Erste, der in dem Vorzimmer erschienen war.
Es war eine kräftige, gedrungene, nicht große, aber dennoch imposante Gestalt, das Gesicht hatte markige und edle Züge. In dem ganzen Wesen des Mannes prägten sich Mut und Entschlossenheit und jener edle Mannesstolz aus, der weiß, dass er ein berechtigter ist, dass er nicht fehlen darf. Er war in der Mitte der dreißiger Jahre. Er trug den schwarzen bürgerlichen Frack, aber auf der linken Brust das Eiserne Kreuz erster Klasse und an einem Bande um den Hals den seltenen, nur großes militärisches Verdienst vor dem Feinde belohnenden Orden pour le mérite.
Wenige Minuten nach ihm war der eingetreten, mit dem er beisammen stand.
Es war ein kleiner, behänder, hübscher, junger Mann mit einem blühenden Gesichte, mit krausen schwarzen Haaren, mit blitzenden Augen. die zeigten, dass sie sich nicht leicht etwas gefallen ließen, zugleich mit einer Keckheit, die sich, wo es nötig war, in Bescheidenheit zurückzuziehen verstand. Er trug die Uniform eines Landwehrlieutenants und darauf das Eiserne Kreuz, freilich der zweiten Klasse.
Die Uniform war keine neue mehr; sie musste noch aus dem Feldzuge stammen, vor dem Feinde, in der Schlacht getragen sein.
Er hatte gestutzt, als bald nach seinem Eintreten sein Blick auf den Herrn in dem schwarzen Frack mit den beiden hohen Orden gefallen war. Er kannte den Herrn; er wollte im ersten Moment auf ihn zugehen, ihn begrüßen. Jene Bescheidenheit wagte es nicht.
Da gewahrte ihn der andere, und man sah in demselben Augenblicke Freude und Trauer in dessem edlem Gesichte. Er ging auf den jungen Mann zu und reichte ihm die Hand.
»Auch Sie hier, mein braver Freund?«
»O, o, mein verehrtester Herr Obristlieutenant!« sagte der junge Mann, dankbar und gerührt über den freundlichen Gruß.
»Es ist ein Jahr, dass wir uns nicht sahen«, sagte der Obristlieutenant.
»Es war in der Schlacht bei Belle-Alliance, Herr Obristlieutenant.«
»Im wilden Schlachtgetümmel. Die Kugeln flogen um uns her, schlugen neben uns ein. Ah, wissen Sie noch, mein junger Freund, wie ich Sie in Ihrem Kampfeseifer zurückhalten musste?«
»Ja, ja, Herr Obristlieutenant, Sie hatten bei aller Sorge für Ihr Regiment, in das Kugel auf Kugel einschlug, bei aller Gefahr, die Ihnen selbst drohte — rund um Sie her fielen Ihre braven Landwehrleute — Sie hatten doch noch ein Auge für den unbedeutenden Burschen, den Sie einmal in der Heimat gesehen hatten.«
»Es war in Ovelgönne gewesen«, sagte der Obristlieutenant. »Und dann, mein Freund, ich sah ja Ihren Mut und hatte an dem nämlichen Tage von Ihrer Tapferkeit bei Ligny gehört und wie der Feldmarschall Sie auf der Stelle zum Offizier ernannt hatte.«
»Reden Sie nicht von mir, Herr Obristlieutenant«, sagte der Lieutenant Becker. »Wie unbedeutend war mein Tun gegen Ihre Taten bei Bautzen, bei Leipzig, bei Laon; die ganze Armee spricht davon; die Geschichtsbücher werden künftig davon erzählen. Bei Belle-Alliance war ich damals ja selbst Zeuge, mit welchem unbeschreiblich kalten und ruhigen Mute Sie an der Spitze Ihres tapferen Regiments dem furchtbarsten Kugelregen Stand hielten. Sie hatten den Befehl, mit Ihrem Regimente eine feindliche Brigade in ihrem Vorrücken aufzuhalten, bis unsere Kavallerie sich gesammelt hätte. Es dauerte lange, bis unsere Kavallerie kam. Sie wichen nicht, Ihre Leute standen gegen die dreifache Übermacht; der dritte Teil des Regiments fiel ——«
»Alle die braven Landwehrmänner!« musste der Obristlieutenant den jungen Offizier unterbrechen, und in seinen Augen standen Tränen.
»Und der bravste ihr Kommandeur!« sagte der Lieutenant.
»Und jetzt?« sagte der Obristlieutenant für sich.
Dann brach er den Gegenstand des Gesprächs ab.
»Sie sind als Bittender hier?« fragte er den Offizier.
»Aus dem Kriegsministerium hierher geschickt«, antwortete der Lieutenant.
»Ach ja!«
»Und, Herr Obristlieutenant, ich fürchte fast, von Pontius zu Pilatus.«
»Wir haben unsere Dienste getan; da können wir gehen.«
»Auch Sie, Herr Obristlieutenant?«
»Warum ich weniger als Sie? Wir gehörten beide zur Landwehr.«
Die Tür, die aus dem Arbeitszimmer des Generals in das Vorzimmer führte, wurde geöffnet.
Der Regierungsrat von Schilden trat heraus. Mit strahlendem Gesichte schritt er durch das Vorzimmer.
Der Lieutenant, der mit dem Obristlieutenant sprach, sah ihn und stutzte. Er kannte auch den Regierungsrat, aber er trug kein Verlangen, ihn zu begrüßen.
Als der Regierungsrat fort war, fragte er den Obristlieutenant:
»Haben der Herr Obristlieutenant den Herrn gesehen?«
»Ja«, sagte der Obristlieutenant gleichgültig.
»Sie kennen ihn nicht?«
»Nein.«
»Waren Sie kürzlich in Ovelgönne?«
»Ich komme von daher.«
»Sie sahen die Frau Mahler dort?«
»Ich sah sie.«
»Sie heißt eigentlich Frau Mahlberg.«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie wohnte früher in Minden. Ihr Mann war dort Regierungsrat. Ich war auch eine Zeit lang da. Dort sah ich auch den Herrn, der eben vorbeiging. Er war ein Freund des Herrn Mahlberg, der Regierungsrat von Schilden.«
Der Obristlieutenant fuhr auf.
»Der Elende!« sagte er für sich.
Der Bediente des Generals trat zu den beiden.
»Herr Obristlieutenant!« bat er.
Der Obristlieutenant folgte ihm zu dem Arbeitszimmer des Generals, trat in dieses ein.
Er trat mit langsamem, gemessenem Schritt ein, seine kräftige Gestalt hob sich; der Ausdruck seines edlen Gesichts wurde stolzer, strenger.
»Obristlieutenant СКАЧАТЬ