Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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»Exzellenz«, sagte er, »scheinen großes Gewicht auf jene königlichen Versprechungen vom 5. April und 22. Mai des vorigen Jahres zu legen. Sollten Sie nicht übersehen haben, dass wir damals unmittelbar vor dem schweren Kampfe mit Frankreich standen? Versprechungen, in der Zeit der Not gegeben, werden aber nirgends gehalten.«
»Der König ist anderer Meinung«, sagte der General.
»Man muss dem Könige die Meinung nehmen, Exzellenz.«
»Und wie?«
»Wollen Exzellenz mir die Gnade eines geneigten Gehörs schenken. An unserm Staatsleben beginnt es zu kränkeln, es ist wahr. Aber wo eine Krankheit ist, hat die Natur ein Heilmittel dagegen, und hat sie keins, so hat der Mensch die Aufgabe, eins zu machen. Für unser krankes Staatsleben liegt nun das Mittel der Heilung nahe. Exzellenz sind, wie ich sehe, in unserer Gesetzsammlung bewandert. Erinnern Sie sich nicht auch einer Verordnung vom sechsten Januar des laufenden Jahres? Sie ist gegen die geheimen Gesellschaften gerichtet.«
»Ah«, sagte der General, »gegen den Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat.«
»Nicht allein, nicht hauptsächlich. Nur der Tugendbund ist darin genannt. Aber er hat in der Tat seine Dienste geleistet und mit ihnen ist er tot. Ein ganz anderer Bund ist an seine Stelle getreten, und er war gemeint, aber nicht genannt, aus einem doppelten Grunde. Zuerst war noch kein Beweis gegen ihn da; er lebt äußerst geheim; da er nicht genannt ist, hält er sein Dasein verborgen, er wird unvorsichtig werden und Beweise gegen sich liefern. Zum andern wurde der große Zweck erreicht, an maßgebender Stelle die Besorgnis vor geheimen Verbindungen zu wecken, deren Ziel es ist, den Thron umzustürzen. Wo nun aber dieser neue geheime Bund existiert und wer ihn bildet? Auf den deutschen Universitäten besteht er, und ihn bilden die entlassenen Freiwilligen und Landwehrleute, die jetzt studieren. Exzellenz sehen mich verwundert an?«
»Nein, nein, lieber Regierungsrat. Sie haben einen Gedanken in mir angeregt, eine Masse, eine überwältigende Masse von Gedanken. Studenten, Landwehroffiziere, Ruf nach Volksrepräsentation, nach Kammern, nach Steuerbewilligungsrecht, nach Republik, das alles in und durch geheime Gesellschaften — wie unendlich viel lässt sich damit machen. Haben Sie schon Beweise?«
»Wir sammeln sie, Exzellenz.«
»Und meine Freunde und ich werden in anderer Weise vorarbeiten. Und nun eine Bitte an Sie. Arbeiten Sie ein Exposé über die Angelegenheit aus.«
»Zu Befehl, Exzellenz.«
Der General stand auf; der Regierungsrat musste es auch.
Der General gab ihm die Hand. Er war gerührt.
Der Regierungsrat nahm die Hand; er war auch gerührt.
»Junger Mann, Sie sind in acht Tagen Geheimrat.«
»Exzellenz, ich verdiene so viel Güte nicht.«
»Es ist die erste Stufe Ihrer Karriere. Ich sehe Sie bald wieder.«
Der Regierungsrat verbeugte sich untertänig.
Als er in der Tür war, rief ihm der General noch ein paar Worte nach.
Der junge Mann war ja jetzt instruiert, wie die Tochter des Generals es gewünscht hatte.
»Ah«, rief der General, »beinahe hätte ich es vergessen; meine Tochter lässt Sie bitten.«
»Das gnädigste Fräulein beglückt mich unendlich!«
Der Regierungsrat verließ das Zimmer.
Der General sah ihm mit dem Ausdrucke großer Befriedigung nach.
Der Bediente des Generals trat wieder ein, um eine neue Meldung zu machen.
Der General hatte heute Audienztag.
Er war zu jener Zeit eine viel geltende und viel vermögende Persönlichkeit, der kleine General von Taubenheim. Kriegsminister war er nicht; der vortreffliche Boyen war es. Obwohl General und obwohl auch schon damals russisches Beispiel in Berlin sich Bahn brach, hatte er auch kein anderes Ministerium. Das Militärkabinett war zu jener Zeit noch nicht ausgebildet. Aber etwas Ähnliches vertrat der General, eigentlich die Sache ganz und selbst. Er hatte daher einen großen Einfluss auf Staats und andere Angelegenheiten, und wenn er davon gegen den Regierungsrat von Schilden nicht gesprochen hatte, so bedurfte es dessen diesem klugen Manne gegenüber nicht, oder der General hatte seine Gründe dazu. Diese lagen freilich nahe.
Auch der preußische Staat, gerade er war durch das Volk, durch die freie, aufopfernde, tatkräftige Begeisterung des Volks gerettet. Der Zopf und der Übermut des militärischen Drillens und des Junkertums hatten ihn wenige Jahre vorher von seiner Höhe hinuntergestürzt, bis an den Rand des Abgrunds geworfen. Diese vergangene Zeit sollte nun zurückgerufen werden, und an der Spitze derer, die es wollten, stand der General von Taubenheim. Auf der andern Seite waren Männer wie Hardenberg, Gneisenau, Boyen und so manche andere.
Sie alle hatten den Geist, das Volk, die gute Sache für sich; sie alle hatten in erster Reihe gewirkt, als es galt, das Vaterland und den Thron zu retten. Die Partei des Junkertums hatte ihnen nur eins entgegenzusetzen, eben die Verbindung des Junkertums unter sich, das in allen Hofämtern, in den höchsten Zivilstellen und fast in dem ganzen Offiziersstande der Armee den König umgab. Das ist allerdings in den meisten Zeiten eine ungeheure Macht, die nur durch eine Revolution gebrochen werden kann; die alte wie die neue Geschichte — die Sache ist alt, alt wie das Königtum — liefert Beispiele genug dafür. Für Preußen war aber die damalige Zeit keine gewöhnliche und keine jener Partei günstige.
Es war noch kaum ein Jahr verflossen, seitdem der Thron durch das Volk gerettet war; die Aufrufe an das Volk, alle jene Versprechungen, die man ihm gemacht hatte, waren noch im frischesten Andenken; die Begeisterung des Volks lebte noch fort; man bedurfte noch immer so vieler und so schwerer Opfer des Landes, um dem durch die bisherigen Drangsale zerrütteten Staate aufzuhelfen; einzelne Provinzen waren geradezu schwierig, namentlich jene beiden, nur so lose mit dem eigentlichen Staatskörper in äußere Verbindung gebrachten, Westfalen und Rheinland; besonders galt es, den offen unzufriedenen, reichen und mächtigen Adel in diesen beiden Provinzen zu gewinnen, der freilich bis auf den heutigen Tag sich noch nicht herabgelassen hat, mit dem preußischen Adel gemeinschaftliche Sache zu machen, endlich war der König ein Mann, der in Wahrheit das Wohl des Volks wollte, der ehrlich halten wollte, was er versprochen hatte, der den Frieden liebte, allem Gewalttätigen und Plötzlichen Feind war. Das war keine Zeit für die Feudalpartei; da konnte diese den König wohl umgeben, aber nicht umstricken; da war auch der Einfluss eines ihrer Häupter, ihres vorgeschobenen Hauptes, an der entscheidenden Stelle kein durchgreifender, wenigstens in wichtigen, entscheidenden Angelegenheiten, wenn auch in kleinen persönlichen Sachen die Gegenpartei ihm absichtlich keine Hindernisse in den Weg legen mochte. Auch an den Höfen der Könige ist Stillstand ein Rückgang. Der General von Taubenheim konnte seinen großen Einfluss verlieren; dem musste vorgebeugt, die ganze Partei musste gerettet werden.
Der Weg dazu war durch die Unterredung des Generals mit dem Regierungsrat aus dem Polizeiministerium angebahnt worden. Er musste zum Ziele führen.
Der General hatte ja noch seinen Einfluss. »An das Ohr der Könige darf sich auch kein Zufall wagen«, hatte er mit jener Beziehung und Sicherheit zu seiner Tochter sagen können.
Die Vorzimmer eines so einflussreichen Mannes, der selbst den Zufall von dem Ohre seines Königs abzuhalten vermag, oder sagen darf, dass er es könne, pflegen gefüllt zu sein, СКАЧАТЬ