Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Franz Horst wandte sich nun zuerst zu dem Verwundeten.
»Tat er Dir schon etwas, Gisbert?«
»Sie rettete mich!« sagte der Kranke und zeigte nach der Ohnmächtigen.
»Wer ist sie?«
»Meine Frau.«
Franz Horst ging zu Gisbertinen.
Sie hatte die Augen noch geschlossen.
Sie war dennoch so schön.
Auch Gretchen sagte es sich.
Sie hatte die Worte des Verwundeten gehört.
»Wie schön sie ist! Und sie ist seine Frau!«
Wie mochte dem armen Kinde das Herz bluten!
Gisbertine schlug die Augen wieder auf.
Franz Horst gab ihr seinen Arm und führte sie zu dem Verwundeten.
»Gnädige Frau«, sagte er leise, »sein einziger Gedanke waren Sie.«
Gisbertine durfte ihren Gatten wieder küssen, auf die weiße Stirn, auf die bleichen Lippen. Ihre Arme konnten sich um die seinigen legen.
»O Gisbert, habe ich Dich wieder? Kannst Du mir verzeihen?«
»Frage den Freund!« sagte er. »Aber musst Du es denn noch?«
Er drückte seine Lippen auf die ihrigen, umschlang sie mit dem gesunden Arm, sah ihr mit der vollen Liebe seines Herzens in die Augen.
»Nein, nein!« rief sie. »Du bist ja das edelste, das großmütigste Herz.«
»Herr Horst!« rief Gretchen leise den jungen Studenten auf die Seite. »Herr Horst, wenn etwas nötig sein sollte, so rufen Sie nur meinen Namen in den Gang hinaus.«
»Du willst Dich schlafen legen? Du bist müde, armes Gretchen!«
»Schlafen? Nein!« sagte sie, den Kopf schüttelnd.
Sie verließ das Zimmer.
Sie war in diesem Augenblicke vielleicht das unglücklichste Herz auf der Welt.
Aber junge Mädchenherzen, die leicht unglücklich werden, können auch bald wieder glücklich werden.
Der Arzt kam, den Horst gerufen hatte.
»Es war ja keine Gefahr; darum war ich nicht wiedergekommen«, sagte der Paukdoktor der Studenten.
Er fand auch jetzt keine Gefahr, trotz allem, was mit dem Kranken vorgegangen war.
»Er hat eine Heidennatur«, wiederholte er. »Ich sagte es ja. Alle diese Westfalen. Aber nun muss ich auf der unbedingtesten Ruhe bestehen. Er darf kein Wort mehr sprechen und es darf kein Wort zu ihm gesprochen werden, die ganze Nacht nicht!«
Mit dem Befehle ging er.
»Aber Deine Hand darfst Du mir geben, Gisbertine.«
Und Gisbertinens Hand lag schon in der seinigen.
»Und ansehen darf ich Dich.«
Und Gisbertinens Augen lächelten ihm unter Tränen ihre Liebe zu.
Dann wurde die Nacht doch noch unruhig für den Kranken. Das Wundfieber stellte sich ein. Aber Gisbertinens Hilfe und Dienste waren immer bei ihm, aufmerksam, flink, weich und glücklich.
»Engel!« sagte dankbar der Kranke, wenn das Fieber ihm auf Augenblicke ein klares Bewusstsein gab.
Und dankbar küsste ihn Gisbertine.
Gegen Morgen schlief er ruhig und lange.
Als er erwachte, fühlte er sich wunderbar gestärkt. Nachher erklärte auch der Arzt, dass jede Gefahr vorüber sei.
»Ich verdanke es Dir, Gisbertine!« sagte der Verwundete. »Und nun dürfen wir auch wieder sprechen.«
»Du noch nicht, Gisbert, aber ich. Und ich habe Dir so vieles zu sagen, und ich habe so lange darauf warten müssen, es Dir sagen zu können. Darf Dein Freund Horst es hören? Alles?«
»Alles!« sagte der Kranke.
»So hört! So hört beide, wie ich meinen Mann liebe, und wie schlecht ich gegen ihn war, und wie ich ihm nun ewig, ewig dankbar sein werde.«
»Ewig?« fragte eine Stimme in das Zimmer hinein.
Der Domherr stand in der Tür.
»Ja, ja, Onkel Florens!« flog die junge Frau ihm entgegen. »Und auch Du sollst alles hören, meine Sünden und meine Liebe.«
»Hm, hm! Aber zunächst, was macht der Narr da?«
Der Kranke konnte ihm die Hand reichen.
»Ja, ja«, sagte der Domherr, »die leichtfertigste Person auf Erden ist das Glück; sie verbindet sich nur mit der Torheit. Aber lege Deine Beichte ab, Gisbertine, und — ohne die Koketterie des Beichtstuhls.«
Gisbertinens Beichte war folgende:
»Aber werdet Ihr denn nicht in jedem Worte Koketterie finden, mit dem ich Euch sage, dass ich den Gisbert lieben musste, weil ich ihn zuerst hasste, und dass ich es nicht abwarten konnte, seine Frau zu werden, weil ich durch einen schlechten, nichtsnutzigen Familienhandel ihm als Frau verkauft war? Ja, mein Herr Horst, so war es. Mein Vater und Gisberts Vater waren Brüder, und in ihren Adern rollte also oder rollte eben auch nicht das alte adlige Blut der Freiherren von Aschen, die bekanntlich zu den ältesten Geschlechtern des alten westfälischen Adels gehören. Mit uns, den Kindern unserer Väter, wurde dies aber bedenklich. Mein Vater war der ältere, also der Stammherr, ihm gehörten also die Güter der Familie. Nun hatte jedoch mein guter Vater das Unglück gehabt, sich in meine Mutter zu verlieben und sie zu heiraten. Meine Mutter war zwar von gutem m Adel; die Steinaus gehören zu denjenigen Familien des Preußenlandes, welche zuweilen den Königen von Preußen eine Faust in der Tasche machen und sagen: Wir waren längst Herren in diesem Lande, als die Hohenzollern herkamen! Aber was hilft es ihnen? Vor dem stolzen westfälischen Adel finden sie keine Gnade. Papieradel, Beamtenadel, Offiziersadel! ruft der verächtlich. Wart Ihr schon zu Kaiser Karls des Großen Zeiten im Lande? Seid Ihr nur stiftsfähig? Könnt Ihr sechzehn reine adlige Ahnen aufweisen? Ihr könnt es nicht. In Eurem ganzen Lande links von der Elbe ist keine einzige Familie, die das kann. Also seid Ihr uns nicht ebenbürtig; wir haben keine Gemeinschaft mit Euch! So war die Verbindung meines Vaters mit meiner Mutter eine Mesalliance, und ich, die Tochter dieser Verbindung, konnte die Aschen’schen Güter nicht erben; mein Vetter Gisbert erhielt sie vielmehr, weil sein Vater ein vorsichtiger Mann gewesen war und ein westfälisches Fräulein mit sechzehn Ahnen geheiratet hatte. Meine Vormünder protestierten zwar gegen Gisberts Vormünder — wir waren beide früh Waisen geworden — und sie erhoben gegeneinander einen heftigen Prozess; aber Gisberts Vormundschaft blieb im Besitz. Davon hörte ich natürlich, und es war der erste Grund meines Hasses gegen ihn, obwohl wir beide noch Kinder waren.
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