Название: Gesammelte Werke
Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962816148
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Vier Jahre waren vergangen, seitdem der Professor Porpora und der Graf Zustiniani einander ihre »kleinen Musiker« vorgestellt hatten. Der Graf hatte seitdem nicht mehr an die junge Kirchensängerin gedacht und der Professor hatte nicht minder den schönen Anzoleto vergessen, an dem er damals bei einer ersten Prüfung nichts von dem gefunden hatte, was er bei seinen Zöglingen voraussetzte, nämlich vor allem eine ernste und geduldige Auffassungsgabe, sodann eine an Selbstvernichtung gränzende Demut des Schülers vor dem Lehrer, und endlich den völligen Mangel jeder vorgängigen musikalischen Unterweisung.
»Redet mir niemals«, sagte er, »von einem Schüler, dessen Kopf sich meinem Willen nicht wie eine unbeschriebene Tafel darbietet, wie ein reines Wachs, das von mir den ersten Eindruck zu empfangen hat. Ich habe nicht Zeit, meinem Schüler ein Jahr zum Verlernen zu schenken, bevor ich zu lehren anfangen kann. Soll ich auf eine Schieferplatte schreiben, so bringet sie mir rein; und damit nicht genug, bringet sie mir auch gut. Ist sie zu stark, so wird sie nicht empfänglich sein, ist sie zu schwach, so wird sie mir unter der Hand zerbrechen.«
Kurz, er gestand zwar dem jungen Anzoleto ausgezeichnete Mittel zu, erklärte aber beim Schlusse der ersten Stunde dem Grafen etwas verdrießlich, und mit einer ironischen Anspruchslosigkeit, sein Unterricht sei nicht für einen bereits so weit vorgerückten Schüler, und um – »die natürlichen Fortschritte und die unwiderstehliche Entwicklung dieser magnifiquen Anlage zu erschweren und zu hemmen« sei der erste beste Lehrer gut genug.
Der Graf schickte seinen Schützling zu dem Professor Mellifiore, welcher von der Roulade bis zur Kadenz und von dem Triller bis zum Gruppetto seinen glänzenden Fähigkeiten die vollständigste Entwicklung gab und ihn so weit brachte, dass, als er 23 Jahre alt sich in dem Salon des Grafen hören ließ, jedermann ihn fähig sprach, im Theater San Samuel mit großem Erfolg in den ersten Partien aufzutreten.
Eines Abends wurde nämlich die ganze kunstliebende Noblesse und was nur von Künstlern in Venedig einiges Renommé genoss, zu einer letzten und entscheidenden Probe eingeladen. Zum ersten Male in seinem Leben schälte sich Anzoleto aus seiner gemeinen Tracht, zog eine Atlasweste und ein schwarzes Staatskleid an, ließ seine schönen Haare frisieren und pudern, steckte seine Füße in Schnallenschuhe, gab sich eine feierliche Miene und schlich auf den Zehenspitzen an ein Klavier, wo er, bei dem Scheine von tausend Wachskerzen und angegafft von zwei- bis dreihundert Personen, erst mit den Augen dem Ritornelle folgte, sodann seine Lungen aufblies und sich mit seiner Dreistigkeit, mit seinem Ehrgeiz und mit seinem hohen Brust-C in die gefährliche Laufbahn schwang, auf welcher keine Jury, kein Kampfrichter, sondern ein ganzes Publikum in der einen Hand die Siegespalme, in der anderen das Pfeifchen hält.
Ob Anzoleto innerlich bewegt war, ist keine Frage; er ließ jedoch sehr wenig davon blicken, und nicht sobald hatten seine schwarzen Augen, welche verstohlen die der Frauen befragten, den geheimen Beifall, der sich einem so schönen Jünglinge selten versagt, erraten, nicht sobald hatten die Kunstliebhaber umher, überrascht von der Gewalt seiner klangreichen Stimme und von der Leichtigkeit seiner Vokalisation, ein beifälliges Gemurmel hören lassen, als Freude und Hoffnung sein ganzes Wesen durchglüheten. Jetzt zum ersten Male in seinem Leben fühlte Anzoleto, der bis dahin nur eine gewöhnliche Behandlung und gewöhnlichen Unterricht erfahren hatte, dass er kein gewöhnlicher Mensch sei und, von dem Triumphe, nach dem er dürstete und den er empfand, hingerissen, sang er mit einer Kraft, einer Eigentümlichkeit und einem Feuer zum Erstaunen.
Sein Geschmack war allerdings nicht immer rein und sein Vortrag nicht in allen Teilen des Stückes tadellos: aber er wusste sich stets durch kühne Würfe, durch Blitze der Auffassung und Schwung der Begeisterung wieder zu heben. Er verfehlte manche Effecte, welche der Komponist beabsichtigt hatte, aber er fand andere, an welche noch niemand gedacht, weder der Komponist, der sie vorgezeichnet, noch der Lehrer, der sie erläutert, noch einer der Virtuosen, die sie früher ausgeführt hatten. Diese Kühnheiten ergriffen und entzückten alle Welt. Zehn Ungeschicklichkeiten verzieh man ihm für eine Neuheit, zehn Verstöße gegen die Methode für eine eigen gefühlte Stelle. So wahr ist es, dass in der Kunst das kleinste Aufleuchten des Genies, der kleinste Anlauf zu neuen Eroberungen die Menschen mehr blendet als alle Hilfsmittel und alle Klarheit der Einsicht, die sich in den Schranken des Gewohnten hält.
Niemand gab sich vielleicht Rechenschaft von den Ursachen und niemand entzog sich den Wirkungen dieses Enthusiasmus. Die Corilla hatte die Unterhaltung mit einer großen Arie eröffnet, welche sie trefflich sang und welche lebhaft beklatscht wurde; der Erfolg des jungen Debütanten löschte nun aber den ihrigen so ganz aus, dass sie darüber im Innern wütend war. Jedoch als Anzoleto, mit Lobsprüchen und Liebkosungen überhäuft, wieder an das Klavier trat, wo sie saß, und zu ihr niedergebeugt mit einer Mischung von Unterwürfigkeit und Kühnheit sagte: »Und Sie, Königin des Gesanges, Königin der Schönheit, haben Sie nicht einen Blick der Aufmunterung für den armen Unglücklichem der Sie fürchtet und Sie anbetet?« da betrachtete die Prima Donna, erstaunt über eine solche Dreistigkeit, dieses schöne Gesicht in der Nähe, welches sie zuvor keines Blickes gewürdigt hatte; denn welche eitle und sieggewohnte Frau würde ein dunkles armes Kind ihrer Aufmerksamkeit wert halten? Jetzt endlich beachtete sie ihn; seine Schönheit überraschte sie, sein feuriges Auge drang in sie ein und ihrerseits besiegt, bezaubert, ließ sie auf ihn einen langen Glutblick fallen, gleichsam ein Siegel auf das Diplom seiner Berühmtheit gedrückt.
An diesem merkwürdigen Abend hatte Anzoleto sein Publikum beherrscht und seinen gefährlichsten Feind entwaffnet; denn die schöne Sängerin war nicht bloß Königin auf den Bretern, sondern auch in der Administration und in dem Kabinet des Grafen Zustiniani.
4.
Ein einziger Zuhörer, welcher auf dem Rande seines Stuhles mit gekreuzten Beinen und unbeweglich СКАЧАТЬ