Название: Gesammelte Werke
Автор: George Sand
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962816148
isbn:
Die Böhmen hatten immer nur die Absicht, das heilige Mahl in derselben Weise zu feiern, in welcher es die Apostel gefeiert und gelehrt hatten. Sie wollten die uralte, brüderliche Kommunion, das Mahl der Gleichheit, das Bild des Gottesreichs, das sich auf Erden erfüllen sollte, d. h. des Lebens in der Gemeinschaft.
Einst aber begann die römische Kirche, welche Völker und Fürsten ihrer despotischen und ehrsüchtigen Herrschaft unterworfen hatte, den Christen vom Priester, das Volk vom Priestertum, die weltliche Gemeinde von der Christlichkeit zu scheiden. Sie gab den Kelch in die Hände ihrer Diener, damit sie die Gottheit in mystischen Tabernakeln verborgen halten könnten, und durch wahnwitzige Auslegungen machten diese Priester die Eucharistie zu einem abgöttischen Cultus, an welchem die Laien nur nach Gefallen Teil zu nehmen brauchten. Sie rissen im Beichtstuhle die Schlüssel der Gewissen an sich.
Diese heilige Schale, die hochherrliche Schale, worin der Arme Verwandlung trinken und seine Seele wiedergebären sollte, ward in Schreine von Cedernholz und Gold verschlossen, aus denen sie nur hervorging, um die Lippen des Priesters zu benetzen. Er allein war würdig das Blut und die Tränen Christi zu trinken. Der Gläubige musste sich vor ihm in Demut niederwerfen und seine Hände lecken, um das Himmelsbrot zu essen.
Begreifen Sie es nun, weshalb das Volk wie mit einer Stimme schrie: Den Kelch! Gebt uns den Kelch wieder! Den Kelch den Niedrigen! Den Kelch den Kindern, den Weibern, den Sündigen, den Verwirrten! Den Kelch allen Bedürftigen, allen leiblich und geistig Elenden: dies war der Ruf des Aufstandes und der Vereinigung von ganz Böhmen.
Sie wissen das Übrige, Consuelo! Sie wissen, dass sich an diesen ersten Gedanken, der in ein religiöses Symbol den ganzen Jubel, und alle edlen Bedürfnisse einer stolzen, hochherzigen Nation zusammenfasste, in Folge der Gewaltmaßregeln und mitten unter furchtbaren Kämpfen mit den umwohnenden Völkern alle Gedanken vaterländischer Freiheit und Ehre knüpften. Die Erwerbung des Kelches zog die edelsten Erwerbungen nach sich und schuf eine neue bürgerliche Gesellschaft.
Und wenn nun die Geschichte, von unwissenden oder willkürlich deutenden Beurteilern ausgelegt, Ihnen sagt, dass nur Blutgier und Durst nach Golde diese unseligen Kriege entzündet haben, so glauben Sie fest, dass dieses eine Lüge ist vor Gott und Menschen. Es ist wahr, dass Einzelhass und Ehrgeiz die großen Taten unserer Väter befleckt haben, aber nur die alte Herrschsucht und Habgier, welche immer an den Herzen der Adligen und Reichen nagten. Sie allein gefährdeten und verrieten tausendmal die heilige Sache.
Das Volk, roh, aber aufrichtig, fanatisch aber voll Begeistrung verleiblichte sich in Sekten, deren schwunghafte Namen Ihnen schon bekannt sind. Die Taboriten, die Orebiten, die Waisen, die Brüder der Gemeinschaft – dies war die Schar, die das Martyrtum für ihren Glauben litt, sich flüchtend in die Schluchten des Gebirges, streng haltend an dem Gesetze der unbedingten Gleichheit und Gütergemeinschaft, an ein ewiges Leben der Seelen in den Bewohnern der irdischen Welt glaubend, die Wiederkunft und Verherrlichung Jesu Christi erwartend und die Wiederkunft des Johann Huß, Johann Ziska, Procopius Nasus und aller der unbezwinglichen Häupter, welche die Freiheit verkündigt und ihr gedient hatten.
Dieser Glaube ist keine Täuschung, meiner Meinung nach, Consuelo! Unsere Rolle aus Erden ist nicht so schnell ausgespielt, wie es gemeinlich angenommen wird und unsere Pflichten reichen über das Grab hinaus. Wegen der innigen und kindischen Anhänglichkeit an Formen und Formeln des Hussitismus, welche es dem Kaplan und vielleicht auch meinen guten, schwachen Anverwandten gefällt mir beizulegen, müssen Sie, auch wenn ich vielleicht in Tagen der Aufregung und des Fiebers Zeichen mit Sache, Bild mit Gedanken verwechselte, mich nicht zu sehr gering achten, Consuelo!
Im Grunde meines Wesens habe ich nie daran gedacht, diese alten, vergessenen Bräuche, welche heut zu Tage keinen Sinn mehr haben würden, wieder in mir aufleben zu lassen. Andere Formen, andere Zeichen müssten sich erleuchtete Menschen heut zu Tage setzen, wenn sie die Augen öffnen wollten und wenn das Joch der Sklaverei den Völkern verstattete, die Religion der Freiheit zu suchen.
Mit Härte hat man und falsch hat man meine Sympathien, meine Neigungen, meine Gewohnheiten ausgelegt. Müde, die Dürre und die Eitelkeit des Tichtens und Trachtens der Menschen in unserer Zeit mit anzusehen, habe ich das Bedürfnis gefühlt, mein mitleidendes Herz im Umgange mit einfältigen oder unglücklichen Geistern zu erquicken. Mit diesen Tollen, diesen Landstreichern, allen diesen aus dem Erbe der irdischen Güter und der Liebe ihrer Mitgeschöpfe verstoßenen Kindern pflog ich gern Umgang, um in dem unschuldigen Fantasieren derer, die man Irre nennt, die flüchtigen doch oft überraschenden Blitze des göttlichen Geistes zu erhaschen, und in den Bekenntnissen derer, die man Strafbare und Verworfene nennt, die tiefen, obwohl befleckten Spuren der in der Gestalt von Reue und Gewissensschlägen sich offenbarenden Gerechtigkeit und ursprünglichen Reinheit.
Wenn man mich so verfahren, wenn man mich am Tische des Ungelehrten und am Kopfkissen des Räubers sitzen sah, so hat man liebreich daraus geschlossen, dass ich ketzerische Praktiken und sogar Hexenkünste triebe. Was kann ich auf solche Beschuldigungen antworten? Und wenn mein Geist, hingerissen von Forschungen und Betrachtungen über die Geschichte meines Landes sich in Reden verriet, die wie Wahnsinn klangen und es vielleicht auch waren, so hat man Furcht vor mir gehabt, als vor einem vom Teufel Besessenen … Der Teufel! Wissen Sie, Consuelo, was das ist? Und soll ich Ihnen diese von den Priestern aller Völker geschaffene, geheimnisvolle Allegorie erklären?
– Ja, mein Freund! sagte Consuelo, die ganz zuversichtlich geworden und fast schon gewonnen, ihre Hand in Albert’s Händen vergessen hatte. Erklären Sie mir was Satan ist. Ihnen die Wahrheit zu sagen, so habe ich, obschon ich immer an Gott glaubte und mich nie offenbar wider das auflehnte, was mir gelehrt ward, an den Teufel dennoch niemals glauben können. Wenn er wäre, so würde ihn Gott gewiss so fern von sich und uns anketten, dass wir nichts von ihm erführen.
СКАЧАТЬ