Название: Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild
Автор: Gustav von Bodelschwingh
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Dazu kam nun ein reiches Freundschaftsleben. „Mit der jüngeren Generation”, schreibt er, „hatte ich damals schon bemoostes Haupt nicht sehr viel Umgang, weil ich niemals den Tabaksdunst der Pfeife vertragen konnte und darum die studentischen Versammlungen gern mied. Doch gab es in der Studentenverbindung „Schwyzer Hüsli” eine Anzahl lieber frischer junger Leute. Sie nahmen mich, wie es in der Studentensprache hieß, als Konkneipant bei sich auf, und mit einigen von ihnen knüpfte ich ein enges Freundschaftsband.
Ganz besonders aber zog mich ein Student an, der nicht diesem Kreise angehörte. Er stand, wie ich, im ersten Semester und hieß Jakob Riggenbach. Er gehörte einer alten Baseler Kaufmannsfamilie an, hatte sich zunächst dem Kaufmannsstande gewidmet und war erst später, ebenso wie ich, zur Theologie übergegangen. Er war eine hohe, Achtung gebietende Gestalt, noch fünf Jahre älter als ich. Heiße Kämpfe des Leibes und der Seele standen in seinem Angesicht geschrieben. Da er in der reformierten Kirche die persönliche Seelsorge vermißte und namentlich den Gebrauch der Löseschlüssel in der Privatbeichte, so hatte er sich eine Zeitlang zur irvingianischen Gemeinde geflüchtet; doch hatte er auch dort nicht gefunden, was er suchte, und sich mit großem Mut wieder von ihr getrennt. Schließlich hatte der Friede Gottes aber die Oberhand bei ihm gewonnen, und sein freundliches, mildes Auge hatte etwas besonders Anziehendes für mich. Er konnte es nicht viel und lange in den Kollegien aushalten, und mir ging es ebenso. Deswegen streiften wir miteinander oft in den nahen Bergen umher, manchmal mehrere Tage ausbleibend, wobei wir auch befreundete Pfarrhäuser in der Landschaft besuchten. Immer führten wir die Schrift mit uns und besprachen sie gegenseitig.
Bei einer solchen Wanderung kehrten wir auch einmal bei einem Pfarrer ein, in dessen Gemeinde viel geistiges Leben war. Der Pfarrer selbst aber hatte einen großen Schmerz, der damals schon anfing, sein Vaterherz zu zerreißen. Er hatte einen 15 jährigen Sohn, der sich auf das entschiedenste gegen den Geist des Elternhauses auflehnte. Da der Sohn die höhere Schule in Basel besuchte, so bat mich sein Vater, ihm doch nachzugehen. Ich wußte, daß der Sohn Wege ging, die ihm sein Vater verboten hatte. Aber ich war auch nicht einverstanden mit dem Vater, daß er dem Sohn mehr verbot, als er halten konnte.
Der Junge hatte einen glühenden Zug zum Theater und verwandte darauf jeden Groschen, den er erübrigen konnte. Sein Vater aber hatte ihm den Theaterbesuch verboten. Nun stellte ich mich eines Abends in der Nähe des Theaters auf, wo der Junge durchkommen mußte. Und richtig, es dauerte nicht lange, da kam er mit scheuen, hastigen Schritten dahergestürzt. Er erschrak, als ich ihn beim Arm faßte. Flehentlich bat er, ich möchte ihn doch nicht zurückhalten; er müsse ins Theater. Ich sagte ihm dagegen, daß er nichts gegen das klare Verbot des Vaters tun dürfe, versprach ihm aber, mich bei seinem Vater zu verwenden, damit er die Erlaubnis bekäme, mitunter einmal mit gutem Gewissen ins Theater zu gehen. Der Junge heulte laut, gab aber endlich doch nach.
Leider erreichte ich beim Vater nichts. Die Schule in Basel schickte schließlich den Jungen fort; und nun ging es immer mehr mit ihm bergab. Ich hörte lange nichts von ihm, bis er mir eines Tages aus einem jener schrecklichen Lazarette schrieb, in denen die Soldaten der afrikanischen Fremdenlegion untergebracht sind. Als ich den Brief an seinen Vater weitergab, antwortete er mir mit einem durchdringenden Schmerzensschrei. Aus Haß gegen das Christentum ging der unglückliche Mensch schließlich so weit, daß er Mohammedaner wurde. Er ist dann gestorben und verschollen – ich weiß nicht, wo. Dies Erlebnis aber war mir ein schmerzliches Warnungszeichen dafür, daß christliches Leben niemals gewaltsam aufgepreßt werden darf, wie es bei diesem unglücklichen Sohn seitens des Vaters geschehen war.
Unter den jüngeren Freunden, mit denen ich in Basel zusammen studierte, war auch Theodor Zahn, der, während Riggenbach mir um fünf Jahre voraus war, mir um sieben Jahre nachstand, denn er war damals erst 17 Jahre alt. Er wohnte ganz in meiner Nähe, und wir arbeiteten öfters zusammen. Doch war er mir an Tüchtigkeit weit überlegen, und ich konnte ihm in der Schnelligkeit seiner Auffassung auf wissenschaftlichem Gebiete nicht folgen. Auch gingen unsere Anschauungen, nicht sowohl über das Eine, was not ist, – denn er war ein lieber, entschieden gläubiger Jüngling – wohl aber über die Art der Vorbereitung auf das Predigtamt weit auseinander. Ihm war es in Basel nicht wissenschaftlich genug. Wir sind später zusammen nach Erlangen gezogen, haben dort in einem Hause gewohnt und an einem Tisch gegessen. Aber auch hier war mir sein wissenschaftlicher Flug zu hoch. Er ist denn auch in der Tat nach den ihm von Gott verliehenen Gaben einen andern Weg gegangen als ich. Er ist jetzt Professor in Erlangen und steht als ein treuer biblischer Theologe in rechtem Ansehen.
Auch mein Freund Gustav Bossart, der zuletzt an meinem Krankenbett in Berlin gesessen hatte, stellte sich in den ersten Baseler Sommerferien zu einer Fußwanderung ein. Er hatte sein Assessor-Examen gemacht und von seinem Vater das Geld zu einer Reise in die Schweiz und nach Italien bekommen. Unsere Wege waren inzwischen weit auseinander gegangen; nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Als wir das Aare-Tal hinaufwanderten, fragte ich ihn, ob er mir erlaube, jeden Morgen und Abend ein Kapitel aus dem Neuen Testament mit ihm zu lesen. Er bat aber, daß ich ihm diese Qual nicht antun möge; er habe mit allem, was die Schrift enthielte, völlig gebrochen. Dagegen gelobe er, daß er seinerseits während unserer Wanderschaft sein Kneipenleben aufgeben wollte.
Auf dem Wege nach dem Rhonegletscher hinauf hatten wir unter emsigem Gespräch nicht genau auf den Weg geachtet und uns verirrt. Umkehren wollten wir nicht, weil wir weiter oberhalb einen Richtweg zu erreichen hofften. Aufwärtssteigend und an den Büschen uns festhaltend, schien uns der Weg nicht zu gefahrvoll. Aber bald kamen wir an eine Stelle, an der ein weiteres Vorwärtsdringen ganz unmöglich war. Als wir rückwärts blickten, fing uns an zu schwindeln. Denn unter uns gähnte der Abgrund, den wir beim Hinaufklimmen übersehen hatten. Da klebten wir nun an der Felswand und wußten weder vorwärts noch rückwärts zu kommen. In diesem Augenblick fing mein Freund an zu fluchen. Ich gewann den Mut, ihn ernstlich zu strafen. Es sei kein Augenblick zum Fluchen, sondern es gälte, zu Gott zu rufen. Mein Freund ließ sich meine Strafe gefallen, und Gott ließ es uns gelingen, ohne daß unser Fuß glitt, die sichere Straße wieder zu gewinnen.
Wir kamen auf diese Weise bis Mailand und Genua, wo wir von einem kleinen Boot aus, das wir uns gemietet hatten, im Mittelländischen Meer badeten. Der Rückweg führte uns ins Engadiner Land, wo mein Freund Riggenbach in Vertretung eines Pfarrers einer kleinen einsamen Gebirgsgemeinde in einem stillen Dörfchen zu dienen hatte. Mit großer Herzlichkeit wurden wir aufgenommen, und mit großer Unbefangenheit hielt Riggenbach seine einfachen köstlichen Andachten, bei denen er auf den Knien zu beten gewohnt war. Ich merkte, daß mein Freund sich hiervon nicht abgestoßen fühlte; denn es kam kein Wort des Widerspruchs über seine Lippen. Nachts schliefen wir zusammen in einem Bett, denn Riggenbach hatte nur eins.
Riggenbach begleitete uns bis ins Rheintal und erzählte unterwegs ergreifend von einem Sterbenden, der noch etwas Schweres auf dem Gewissen hatte und zum Frieden kam, als er es glücklich über seine Lippen gebracht hatte.
Als Bossart und ich in Zürich am schönen Seeufer entlang schlenderten, traf mein Freund einen alten Bekannten aus Berlin, der mit dem Züricher Leben und Treiben genau vertraut war. Dieser bat ihn, ihn doch den Abend zu besuchen. Ich ahnte nichts Gutes. Und wie ich es gefürchtet, so kam es. Mein Freund hatte versprochen, bald wiederzukommen. Aber er blieb aus. Da ich mancherlei zu lesen und zu schreiben hatte, legte ich mich nicht schlafen, sondern blieb auf. Endlich um drei Uhr morgens polterte es die Treppe herauf. Ein Mensch in jämmerlicher Verfassung kam herein, dem ich sogleich zu Bett helfen mußte, ohne daß ich ihm natürlich ein Wort des Vorwurfs sagte. Den andern Tag lag tiefe Scham auf seinem Angesicht; ja, mehr als das.
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