Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh страница 22

СКАЧАТЬ Ruhetage im lieben Velmede zu Ende gegangen. Die Ferienzeit war vorüber, und da man nach den damaligen Bestimmungen mindestens ein Jahr auf einer preußischen Universität studieren mußte, so richtete ich meinen Pilgerweg nach Berlin. An der Ecke der Artilleriestraße, hart an der Spree, mit der Aussicht auf den Monbijou-Garten, eroberte ich mir glücklich ein stilles Stübchen, wo ich mein letztes Studienjahr zuzubringen dachte.

      Es war damals auch in Berlin schöne Zeit. Neander, den ich in meinem ersten Semester neben meinen physikalischen und botanischen Studien gehört hatte, war schon heimgegangen; aber Strauß, Hengstenberg und Nitzsch standen noch in frischester Kraft. Bei Nitzsch besuchte ich das praktische Seminar, wo wir Predigtübungen zu halten hatten; und ich besinne mich noch gut, wie er solche Studenten, die mit oberflächlichen Redensarten und schönen Worten ihre Predigt füllten, als eitle Gecken abzutun wußte und ihnen den Hoffartsteufel austrieb.

      Ich blieb übrigens bei meiner Predigt, die ich vor ihm zu halten hatte, stecken und mußte demütig mein Konzept herauslangen. Umgekehrt ging es mir bei meiner Katechese in der Propstei-Schule an der Nikolaikirche so gut, daß mein lieber Nitzsch mich besonders in sein Herz schloß und mich auch zu seinem regelmäßigen Studenten-Familienabend einlud.

      Indessen wurde in diesem ersten Wintersemester aus meinem Studieren nicht sehr viel. Denn für meinen Dienst unter den Heiden mußte ich versuchen, mir einige Kenntnisse in der Krankenpflege und in der Arzneilehre zu erwerben. Pastor Müllensiefen, den ich noch aus der Zeit her kannte, wo er meine Vettern Diest als Hauslehrer unterrichtet hatte, und der jetzt Pastor an der Marienkirche war, machte mich mit seinem Freunde, dem Regimentsarzt Dr. Lauer, dem späteren Leibarzt des alten Kaisers Wilhelm, bekannt. Dieser nahm mich als Lazarettgehilfen in das Lazarett des Kaiser-Franz-Regiments auf. Jeden Morgen besuchte ich zunächst mit dem Assistenzarzt die einzelnen Kranken und ließ mir von ihm zeigen, wie Verbände angelegt und die chirurgischen Dienstleistungen verrichtet werden. Hernach nahm ich an der Visite des Regimentsarztes selbst teil und lernte dann die angeordneten Arzneien in der Apotheke bereiten.

      Auf dem Wege zum Lazarett begegnete mir eines Tages ein früherer Schulkamerad vom Joachimstalschen Gymnasium, namens Blankenburg. Ich sah ihm gleich an, daß Schmalhans bei ihm Küchenmeister war. Er war teils wegen seiner schlechten Ernährung, aber auch wegen seiner schlechten Wohnung an seinen Nerven krank geworden. Ich wußte ihm nicht besser zu helfen, als daß ich ihn einlud, ob er bei mir wohnen wollte. Das wurde mit Freuden angenommen. Aber die Aufgabe war nicht klein; denn die Nerven meines Freundes wurden mir förmlich zu Haustyrannen, nach denen ich mich in allen Stücken richten mußte.

      Trotzdem wurde ich meinem Stubengenossen bald zu großem Dank verpflichtet. Er machte mich nämlich auf eine große Lücke in meiner Ausbildung aufmerksam. Was ich an Bibelsprüchen und Kirchenliedern auf der Schule und im Konfirmandenunterricht gelernt hatte, war über alle Maßen wenig gewesen. Blankenburg zwang mich nun, sowohl Kirchenlieder als auch ganze Stücke der Heiligen Schrift wörtlich auswendig zu lernen. Ich war inzwischen mit dem Lazarettkursus fertig geworden, und so wurde neben den übrigen Studien diese Arbeit in der Tat mit allem Fleiß betrieben. Jeden Morgen ging ich in den einsamen Monbijou-Garten, und dort, auf dem schönen Wege, der an der Spree entlang führt, prägte ich mir Kirchenlieder und ganze Kapitel aus der Bibel ein, und wenn ich nach Hause kam, überhörte mich mein lieber Blankenburg.

      Inzwischen war mein letztes Semester – Sommer 1857 – herangekommen. Der jüngere Bruder meines Vaters, mein Onkel Karl, legte mir nahe, für den Rest meiner Studienzeit zu ihm überzusiedeln. Ich war in der Tat in meinen Ernährungsverhältnissen etwas zurückgekommen, da ich mit meinem Freunde Blankenburg zusammen etwas zu sparsam hatte leben müssen, um uns beide durchzuschlagen. Zudem wünschten meine Verwandten um ihrer beiden jüngsten Söhne willen, die noch auf dem Gymnasium waren, meine Gegenwart, da sie selbst den größten Teil des Sommers abwesend sein mußten. So zog ich denn gleich nach Ostern in meine alte Heimat, in das Finanzministerium, hinüber.

      Von meinen Baseler und Erlanger Freunden hatte mich nur noch einer nach Berlin begleitet. Es war ein Pfarrerssohn aus der Schweiz, mit Namen Endres. Er hieß gewöhnlich nur „der kleine Schwyzer” und kam meist am Nachmittag zu einer Tasse Kaffee und einer Partie Schach ins Finanzministerium herüber. Auch beteiligte er sich wohl an den kleinen Fußtouren, die ich mit meinen beiden jungen Vettern in die Umgegend von Berlin unternahm. Sonst war bei der strammen Arbeit, die das letzte Semester mit sich brachte, kaum irgend ein anderer Verkehr möglich. Nur einige Male ging ich in das theologische Studentenkränzchen, das ähnlich wie in Erlangen auch hier seine Zusammenkünfte hatte. Hier feierten mein Freund Endres und ich auch den Abschiedsabend unserer Universitätszeit. Reiche, köstliche drei Jahre lagen hinter mir, als ich Anfang August 1857 von meiner letzten Musenstadt Abschied nahm und mit dem Nachtzuge nach Hamburg hinüberfuhr!”

      Als Kandidat. 1857–1858

      „Mein Angesicht stand zunächst nach dem dicht bei Hamburg gelegenen Wandsbeck, der Heimat des alten Matthias Claudius, der mir mit seinen Schriften der treuste Freund meiner Jugend gewesen war und mir über so viel öde Zeit, namentlich während meiner landwirtschaftlichen Laufbahn, hinweggeholfen hatte und den ich fast auswendig konnte. Nach einer köstlichen stillen Morgenstunde in dem Wandsbecker Waldtal wanderte ich, der Stimme eines Glöckchens folgend, in einer halben Stunde hinüber zum Rauhen Hause. Ich blieb den ganzen Tag unter der fröhlichen Kinderschar und ihren ebenso fröhlichen Pflegern und lernte an der Hand meines freundlichen Führers, des Hausvaters Pastor Riehm, die ganze Entstehung und das Wachstum der Anstalt, Station auf Station, kennen. Am Abend aber saß ich schon wieder im Postwagen und fuhr die Nacht durch hinüber nach Bremen und von da zu Schiff die Weser hinunter nach Geestemünde.

      Denn zwei Stunden von Geestemünde war einer meiner Baseler Studienfreunde Pastor geworden. Er war in Basel mein englischer Lehrer gewesen. Jeden Nachmittag war er für eine Stunde zu mir gekommen, um mit mir englisch zu treiben. Er war dazumal schon 28 Jahre alt, und sein Lebensgang war sehr gewaltsam gewesen. Eines Tages, kurz vor unserm ersten Baseler Weihnachtsfest, sagte er mir einmal: „Heute vor vier Jahren brachte ich die Nacht auf einer Fleischerbank in Neu-Orleans zu. Diese Bank war damals für längere Zeit mein Nachtquartier, denn eine Wohnung besaß ich nicht. Ich lebte von Spottgedichten, die ich für die Zeitungen lieferte. Zigarren und Branntwein waren meine Hauptnahrung.”

      Er war in der Schweiz als Hirtenbube in großer Armut aufgewachsen. Freunde, die seine Talente bemerkten, hatten ihn unterstützt und bis zur Universität gefördert. Mit eiserner Energie hatte er sich durch Stundengeben auf der Universität unterhalten, zu gleicher Zeit aber in seinem Trotz und seiner Wildheit solche Streiche gemacht, daß er sich unmittelbar aus dem Karzer in ein Schiff flüchtete, das ihn nach Amerika brachte. In jener tiefsten Zeit seines Lebens, als eine Bank auf dem Fleischmarkt sein Nachtquartier war, ergriff ihn Gottes Hand. Er erkrankte am gelben Fieber und stand nahe vor der Todestür. Da nahm sich ein unbekannter Fremdling, der aber ein entschiedener Jünger des Heilandes war, des gänzlich Verlassenen an. In seinem unbekannten Wohltäter trat ihm das Erbarmen mit solcher Macht vor die Seele, daß er, als er von seinem Krankenlager aufstand, entschlossen war, ein anderes Leben zu beginnen.

      Da er Jurisprudenz studiert hatte, so übersetzte er nun in kurzer Zeit das Gesetzbuch des Staates Indiana ins Deutsche und erhielt dafür eine sehr bedeutende Geldsumme. Diese wollte er benutzen, um Theologie zu studieren. Allein in seinem doch noch ungebrochenen Sinn verstand er nicht, mit dem Gelde umzugehen, und als er auf deutschem Ufer landete, war fast alles Geld schon wieder seinen Händen entschwunden. So war er genötigt, in Basel in einem Studentenheim Quartier zu nehmen, wo man für ein geringes Entgelt Wohnung und Nahrung erhielt. Abgemagert, in dürftigster Kleidung, und, um durch die Kälte das Einschlafen zu verhindern, ohne wärmenden Ofen saß er oft bis drei Uhr nachts auf und arbeitete mit einem wahrhaft staunenswerten Eifer, während er bei Tage Unterrichtsstunden gab, durch die er sich das nötige Kostgeld verdiente.

      Er trieb vor allem das Studium der alttestamentlichen Propheten, und ihre Donner gegen die Israeliten waren ihm ein besonderer Ohrenschmaus. Das unverständlichste Wort in der Schrift СКАЧАТЬ