Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh
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Читать онлайн книгу Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh страница 16

СКАЧАТЬ schenkt uns mitunter Zeiten in unserer Pilgerschaft, wo wir nicht im dunklen Glauben, sondern im seligen Schauen seiner Gnadenwege einhergehen können und wo jeder Tag uns ein neuer Beweis seiner Barmherzigkeit und Treue ist. Solch eine Zeit brach jetzt für mich an. Ich benutzte sogleich meinen ersten Sonntag, um mich, während die andern Kegel schoben, still in Gottes Wort zu vertiefen, das mir seit meiner frühsten Kindheit ja genug gepredigt worden, mir aber nicht wieder recht persönlich nahegetreten war. Ich stand auch wochentags eine Viertelstunde früher als sonst auf, um unter den alten Linden im Garten auf- und abzuwandeln und dort ungestört meine Morgenandacht zu halten. Jedes Wort der Schrift – ich pflegte jedesmal ein Kapitel aus dem Neuen Testament zu lesen – sah ich nun mit ganz andern Augen an als je zuvor.

      Dazu kam noch ein Erlebnis eigener Art. Ich hatte seit einiger Zeit die Gewohnheit, den Kindern, die mir beim Reinigen der großen Zuckerrübenfelder halfen, außer ihrem Lohn einen der kleinen Traktate zu geben, die entweder aus Stuttgart oder Straßburg oder auch aus Basel stammten und die ich von dem Kolporteur bezog, den der alte Herr von Senfft angestellt hatte. Viele Tausende dieser Traktate hatte ich schon verteilt, doch selbst gelesen hatte ich noch keinen.

      Eines Sonntagnachmittags aber, als die andern wieder am Kegelschieben waren, fiel mein Blick auf einen dieser kleinen Kindertraktate. Er hieß: „Tschin, der arme Chinesenknabe”, und kam aus Basel. Er erzählte von einem armen Chinesenkinde, das englische Soldaten während des bekannten Opiumkrieges der Engländer gegen China in Schutz genommen hatten, nachdem des Kindes Vater, weil er den Engländern Dienste geleistet hatte, von den Chinesen ergriffen und hingerichtet worden war. Um das arme Waisenkind zu retten, brachten es die Soldaten mit nach England. Hier nahmen sich christliche Freunde des armen Knaben an, er wurde treulich unterrichtet, kam zum kindlichen Glauben und wurde getauft. Dann aber erkrankte er, wie so viele Kinder des Südens, die in unser kaltes Land kommen, an der Lunge und siechte langsam dahin. Er hatte aber beständig nur ein Verlangen, nämlich daß er seinen Landsleuten auch von dem Heiland sagen könnte, den er selbst gefunden hatte, und er sprach es einmal mit großem, heiligem Ernst aus: „Was soll ich einmal am Tage des Gerichts sagen, wenn meine Brüder mich fragen würden, warum ich, obwohl ich den Weg des Heils gewußt, ihnen solches nicht mitgeteilt hätte?”

      In dem Augenblick, wo ich diese einfachen Worte las, war es plötzlich, als ob mir in bezug auf meinen Lebensberuf die Schuppen von den Augen fielen. Ich hatte bis dahin niemals auch nur einen leisen Gedanken in meinem Herzen gehabt, noch hatten es weder Vater noch Mutter noch irgend ein anderer Mensch mir je von fern nahegelegt, daß ich Pastor werden möchte. In diesem Augenblick aber wurde es mir so vollständig gewiß, daß mir Gott diesen Beruf geschenkt habe, daß auch kein leiser Zweifel von der Stunde an über mich kam, und ich konnte Gott mit Freudentränen dafür danken.

      Doch teilte ich zunächst keinem Menschen etwas von meiner Freude mit, auch nicht meiner Mutter, auch nicht meinem Freunde Mellin, sondern nahm mir vor, mir von Gott selbst weitere Fingerzeige geben zu lassen. Daran fehlte es dann auch nicht. Im Anschluß an jenes Büchlein hatten sich meine Gedanken zunächst auf die Arbeit unter den Heiden gerichtet. Dahin ging meine Sehnsucht.

      Inzwischen war die Erntezeit hereingebrochen. Es war eine gewaltige Ernte, die in den fünf großen Gütern einzubringen war. Es trat anhaltende Hitze ein. Das Korn reifte schnell und gleichzeitig, sodaß es auch möglichst schnell hintereinander geerntet werden mußte. Es wurde mir sehr bange, wo ich die Arbeiter für die Ernte herbekommen sollte, damit sie nicht verdürbe.

      Eines Tages hatte ich mich schon mit Tagesanbruch auf mein Pferd gesetzt, um in einem Nachbardorf Arbeiter für meine Ernte zu werben. Als ich damit fertig war, ritt ich hinüber nach dem kleinen Städtchen Bublitz, wo, wie ich wußte, eben ein Missionsfest gefeiert wurde. Die Feier neigte sich schon ihrem Ende zu. Ich band mein Pferd draußen an und trat, um doch noch einiges zu hören, in die Kirche ein. Ich merkte gleich, daß der Pastor den Text hatte: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige; bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende!” Herzandringend schilderte er die Not hinsiechender, sterbender, verderbender Menschenseelen und des Herrn Jammer über sie, und zuletzt fragte er mit großem Ernst, ob denn unter der ganzen Gemeinde, unter allen, die im Gehorsam gegen den Befehl Christi um Arbeiter in seine Ernte bäten, nicht auch ein solcher wäre, der sich selbst für diesen Dienst stellen wollte. Da hieß es laut in mir: „Ja, ja, ich will gern kommen.” Fröhlich, ja, frohlockend jagte ich heimwärts, um zunächst die irdische Erntearbeit in Gang zu bringen.

      In fliegender Eile gingen nun die letzten Monate meiner Gramenzer Zeit zu Ende. Mein Freund Ernst Senfft kam, um mich abzulösen. Die äußeren Verhältnisse hatten sich auch weiterhin entschieden gebessert. So konnte ich, da auch einige tüchtige Wirtschaftsinspektoren gefunden waren, meinem Freunde die Aufgabe getrost in die Hand legen. Am 11. Oktober nachts schnürte ich mein Bündel. Das Andachtsbuch meiner Eltern, der liebe Bogatzky, war inzwischen auch mein Freund geworden, und es war mir eine nicht geringe Stärkung meines Glaubens, was mir Bogatzky an diesem Abend mit auf den Weg gab, Apostelgeschichte 26, 17: „Ich will dich erretten von dem Volk und von den Heiden, unter welche ich dich jetzt sende.”

      Als Student

1. In Basel. 1854–56

      Die kleine Schrift, die die große Entscheidung für Bodelschwingh gebracht hatte, war aus Basel gekommen. Als es sich nun für den Beginn seiner theologischen Studien um die Wahl einer Universität handelte, fühlte er sein ganzes Herz nach Basel gerichtet. Da er aber nicht lediglich einem Gefühl folgen wollte, so fragte er in Berlin seinen alten Seelsorger Snethlage um Rat. „Gehen Sie nach Basel!” sagte dieser, schickte ihn aber zu seinem Kollegen, dem Domprediger Hoffmann, der bis vor kurzem Missionsinspektor in Basel gewesen war, um auch dessen Meinung einzuholen. Auch Hoffmann sagte: „Gehen Sie nach Basel!” Und so sah er seinen Weg entschieden.

      Er eilte zur Mutter. Sie stimmte der Wendung, die sein Lebensweg genommen hatte, aus tiefstem Herzen zu und sah darin die Erfüllung ihres verborgenen Herzenswunsches. Zugleich entdeckte sie ihrem Sohn, daß auch sein Vater, ohne es je seinem Kinde auszusprechen, die Hoffnung gehegt habe, daß einer seiner Söhne einmal das Studium der Theologie ergreifen möchte. Nur Ernst von Senfft war aufs tiefste erschüttert. Er hatte die geniale Begabung seines Freundes für das Praktische zur Genüge erkannt, und nun beschwor er ihn, bei dem alten Berufe zu bleiben. Er war überzeugt, daß der Entschluß seines Freundes nichts als das Aufwallen einer religiösen Stimmung sei, die ihn nur auf Abwege bringen könne.

      Aber die Stimme des Freundes konnte nichts mehr ausrichten. Wichtiger als seine eigene Entscheidung war ihm die Gewißheit, daß Gott über ihn entschieden hatte. Und wenn es auch Jahre dauerte, so erlebte er es doch schließlich bei seinem Freunde Senfft, daß, wenn jemandes Wege Gott gefallen, er nicht nur seine Feinde, sondern erst recht seine Freunde mit ihm zufrieden macht.

      So machte sich der im 24. Jahre stehende Student über Frankfurt a. M., wo sein Bruder Ernst stand, nach Basel auf.

      „Der Aufenthalt bei meinem Bruder Ernst”, so heißt es in den Erinnerungen weiter, „brachte mir eine besondere Erquickung. Ich war ja so ganz mit ihm aufgewachsen, so viele Jahre lang hatten wir ein Wohn- und Schlafzimmer geteilt, so viele Wege hatten wir miteinander zur Schule gemacht. Aber nun erst konnten wir unsere Herzen ganz gegeneinander aufschließen. Ernst war von einem unbeschreiblich kindlichen Zutrauen zu mir. Wir gingen in der Nacht am Ufer des Mains auf und ab, und er erzählte mir von den schweren Kämpfen, die er habe, um seinem Versprechen nicht untreu zu werden, das er zusammen mit seinem Freunde von Oidtmann Gott gegeben hatte, daß sie in ihrem Soldatenleben nichts tun wollten, was ihr Gewissen befleckte. Er bat mich brüderlich und herzlich, ihn in diesem schweren Glaubenskampf zu unterstützen und gemeinsame Sache mit ihm zu machen. Er sagte mir auch, daß es ihm von ganz besonderem Segen sei, den lieben Vater, der an ihm, seinem Benjamin, wie er ihn zu nennen pflegte, mehr noch als an seinen andern Kindern gehangen hatte, im Himmel zu wissen; denn er könne sich vorstellen, daß der Vater erfahre, wie er, sein Sohn, auf Erden wandele. Und dies sei ihm eine Stärkung im guten Kampf. Auch bat er mich, СКАЧАТЬ