Название: Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild
Автор: Gustav von Bodelschwingh
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Ich fand auf dem Petersplatz bei ein paar alten Fräulein ein gar freundliches Zimmer, das ich auch die anderthalb Jahre nicht wieder verlassen habe. Die beiden alten Damen hatten eine württembergische Magd, die auch schon bei Jahren war. Sie hieß Rösli Schwarz. Es war für mich, der ich nach ernster Sammlung und stillem Studium verlangte, eine große Wohltat, durch diese Magd alle Mahlzeiten im Hause bekommen zu können, auch mein Mittagbrot. Ich hatte aber auch außerdem manchen Segen durch diese treue Person. Sie hatte eine Schwester, die an einen Missionar in Afrika verheiratet war, und sie trug die Heidenmission, die ja auch mir so sehr anlag, unablässig auf betendem Herzen. Sie war eine von den Verborgenen und Stillen im Lande, durch die Gott gewiß nicht die kleinsten Taten tut.
So oft eine frohe Nachricht aus den Heidenländern kam, konnte ich es ihr gleich anmerken; denn dann glänzte ihr Angesicht vor Freude. So oft aber auf dem Missionsfelde etwas Schmerzliches vorgefallen war, ging sie gebeugt einher als eine, die selbst an solcher Niederlage mit schuld war, weil sie, wie sie sich selbst anklagte, im Wachen und Beten nachgelassen habe. Es ist selbstverständlich, daß ich bei solchem Herzenszustande an ihr eine mütterliche Pflegerin hatte, und bis auf diese Stunde (1887), wo sie als eine bald 80 jährige Pfründnerin zu Fellbach bei Stuttgart lebt, bekomme ich von ihr alljährlich die rührendsten Gaben und Liebeszeichen. Durch sie wurde ich auch mit manchen Württemberger Zuständen näher bekannt, namentlich mit dem lieben Korntal, wo sie längere Zeit ihres Lebens gewohnt hatte.
Ebenso angenehm wie mein kleines Zimmer und meine häusliche Verpflegung war auch die Umgebung meiner Wohnung. Dicht vor meinem Fenster ragten die schönen hohen Ulmen und Linden des großen Petersplatzes empor. An der linken Seite, von der die Treppe nach der Unterstadt hinabführte, lag die Peterskirche, an der der würdige Pfarrer La Roche stand. Schaute ich rechts zu meinem Fenster hinaus, so begrenzte hier der alte Wall meine Aussicht. Ich brauchte aber nur den Kamm des Walles zu übersteigen, so sah ich auf der andern Seite des Wallgrabens den großen Friedhof der Stadt liegen und darüber hinweg die Vogesen. Wenn ich quer über den Petersplatz ging, so hatte ich von der andern Seite des Platzes aus nur noch ein kurzes Gäßchen zu durchschreiten, dann stand ich an dem schönsten Tor der Stadt, dem alten Spalentor, vor dem jetzt das neue Missionshaus liegt. Damals war jenseits des Tores noch freies Feld. So suchte ich mir dort in der Frühlings- und Herbstzeit jeden Morgen zwischen den grünen Matten die schönsten Wege auf, um in der Stille ein Kapitel in meinem griechischen Neuen Testament zu lesen. Da habe ich unbeschreiblich köstliche Feierstunden zugebracht.
Die alte Universität von Basel lag dicht über dem Rhein, oberhalb der Rheinbrücke. Die Hörsäle blickten fast sämtlich vom steilen Abhang herunter in den lieben Rheinstrom hinein, der in einem prachtvollen Bogen die Stadt durchströmt. Ein wenig oberhalb der Universität liegt das herrliche Münster von Basel, aus rotem Sandstein gebaut, in das ich oft und gern eintrat und in dem ich manche wertvolle Predigt gehört habe.
Es war damals gute Zeit in Basel, so gut, wie sie vorher und nachher Studenten vielleicht kaum erlebt haben. Ein kleiner Kreis frommer Männer hatte seit längerer Zeit aus freiwilligen Mitteln dafür gesorgt, daß immer ein entschieden biblischer Theologe an der Universität angestellt war. Als Nachfolger des trefflichen Beck, der nach Tübingen gegangen war, stand damals Professor Auberlen in seiner vollen Liebesglut. Er war einer von denen, die, wie Woltersdorf und Hofacker, ihre Kraft im Dienste ihres Herrn verzehrten. Denn nur bis in den Anfang seiner dreißiger Jahre hat er seine Pilgerschaft geführt, und man merkte es ihm an, daß er seinen Lehrerberuf nahe vor den Toren Jerusalems trieb. Unangetastet von allen kritischen Grübeleien, ließ er die ganze Schrift von Anfang bis zu Ende in herzlichster Freude stehen, wie sie stand. Er hatte eine ungemein einfältige biblische Belesenheit, und seine frischen, warmen Vorträge fanden lebendigen Widerhall in den Herzen seiner Zuhörer.
Aber als entschlossener Freund biblischer einfältiger Theologie stand er nicht einsam da. Da war unser lieber Professor Joh. Riggenbach, der vorher während seines neunjährigen Pfarramtes sich auf dem Boden der Praxis aus den Irrgängen des Rationalismus zum fröhlichen Glauben durchgerungen hatte, eine rechte Johannesnatur, nicht streitbar, aber reich an Liebe und Demut. Da war der alte Preiswerk, unser Hebräer, den wir Levi nannten. (Da ich auf dem Gymnasium kein Hebräisch getrieben hatte, so wurde ich ihm zu besonderem Dank verpflichtet, weil er mich fast allein in die hebräische Grammatik einführte.) Er war neben seiner Professur Prediger an St. Leonhard und predigte damals stets über das Alte Testament, kurz und kernig und immer so, daß er zum Schluß mit wenigen Worten von der Weissagung auf die Erfüllung hinwies und aus dem Schatten des Alten Bundes in das Licht und die Helligkeit des Neuen Testamentes eintrat. Da war Hagenbach, der ausgezeichnete Kirchenhistoriker, und schließlich der Lizentiat Stockmeyer, später Antistes der Baseler Kirche, dessen scharfsinniger und gewissenhafter Auslegung paulinischer Briefe ich manches verdanke.
Außerdem war gerade damals ein junger Philosoph Steffensen aus Kiel nach Basel gekommen, fast noch ein Jüngling mit wallendem Haar und ausdrucksvollem, schönem Gesicht. Er war von seinem Beruf durch und durch ergriffen und trug die Geschichte der Philosophie mit einer Glut der Begeisterung vor, daß man aus den verschiedenen Fakultäten in sein Kolleg lief. Dabei hatte er eine prachtvolle Diktion, sprach völlig frei und oft mit solcher Anstrengung, daß er am Schluß ganz erschöpft war. Doch hatte ihn keineswegs seine Philosophie so berückt, daß er sich nicht hätte gefangen geben können unter den Gehorsam des Glaubens. Mit einigen von uns ging er gelegentlich spazieren, wobei wir über dies und jenes Problem disputierten.
Aber wieviel gesunde Speise damals auch die Universität bot, noch lieber war mir das Missionshaus. Auf die Fürsprache von Hoffmann in Berlin, dem früheren Missionsinspektor, war es mir gestattet worden, an dem Unterricht der Missionszöglinge teilzunehmen. Da ging es dann freilich weniger gelehrt, aber doch noch inniger und zutraulicher zu als auf der Universität. Es war besonders der Pfarrer Geß, später Generalsuperintendent in Posen, der uns mit seiner Tiefe und Einfachheit in die Heilige Schrift einführte. Wir lasen das Alte und Neue Testament im Urtext, und zwar so, daß wir nicht nur selbst übersetzten, sondern auch selbst auszulegen versuchten, Geß uns aber verbesserte.
Später nahm ich an den Predigtübungen teil, die Inspektor Josenhans leitete. Aber auch zu allen andern Gelegenheiten stand mir das Missionshaus offen. Besonders lieb waren mir immer die Abschiedsfeiern der ausziehenden Missionare. Ich lernte hier mit steigender Freude die Seligkeit eines Dienstes in der Nachfolge Christi kennen, in der man um seinetwillen Vater und Mutter, Vaterland und Freundschaft verlassen kann und dabei in der Gewißheit eines beständigen Beisammenseins vor seinem Angesicht kurze irdische Scheidestunden nicht zu achten braucht. Wenn ich an solche Feiern und überhaupt namentlich an meine Sonntage im lieben Basel denke, so fällt mir ein, daß ich oft am Abend so voll Freude über alles Erlebte war, daß ich mit Jauchzen und Springen in meine Wohnung eilte und über dem, was Gott schon auf Erden schenkt, manchmal in der Nacht vor Freude nicht schlafen konnte.
Unter denen, die zu dieser meiner Freude beitrugen, steht mir besonders das Angesicht des lieben alten Missionars Graf Zaremba vor Augen. Wir pflegten wohl zu sagen, daß, wenn man ihn ansehe, man unmittelbar in den Himmel hineinsehe. Sodann war es Dr. Ostertag, der Bibelmann, der, schon an seinen Augen erblindend, sich doch noch am Unterricht der Missionszöglinge beteiligte und mit seinen köstlichen Predigten viel dazu beitrug, daß uns die Augen aufgeschlossen wurden für die Herrlichkeiten des Reiches Gottes. Unter den Lehrern am Missionshaus war auch noch ein junger Kandidat Haug, bei dem ich zwar keinen Unterricht hatte, der mich aber oft aufsuchte und mit mir spazieren ging. Einmal an einem Pfingstmorgen sagte er mir: „Heute vor vier Jahren habe ich mein Augenlicht wiederbekommen, und zwar auf das Gebet des lieben Pfarrers СКАЧАТЬ