Der Engel mit den blutigen Händen. D. Bess Unger
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Название: Der Engel mit den blutigen Händen

Автор: D. Bess Unger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783741882692

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СКАЧАТЬ hatte es ihr oft genug erzählt – dieser Stein war an der Küste von Zypern in einer einsamen Bucht, die den Roma heilig ist, gefunden worden. Die uralten Symbole bewirkten einen Zauber, der für Nachkommen der Roma sorgte. »Wenn der Stein unserem Stamm verloren geht«, hatte er verkündet, »ist er ohne jede Zukunft.«

      Athina ahnte, was geschehen war: Biglia war sterbenskrank gewesen, hatte es trotz seiner Magie nicht mehr geschafft, zu ihr zu kommen. Da hatte er erst Kali mit der Kralle getötet, sich die Adern aufgeschlitzt, den Anhänger, die Adlerkralle und den Fruchtbarkeitsstein im Sand verborgen, sodass nur Eingeweihte sie fänden.

      Nachts bei Vollmond ging Athina zu Biglias Grab. Im schäbigsten Teil des Friedhofs, umgeben von Gräbern, auf denen vergilbte Plastikblumen lagen, hatten die Behörden seine Knochen verscharrt. Mit bloßen Händen grub Athina ein Loch, legte die Gebeine von Kali hinein, strich die Erde glatt und steckte magische Plättchen in den trockenen Sand. »Lebe wohl, mein einziger Geliebter«, flüsterte sie. »Lebe wohl Kali, du treue Begleiterin.« Sie legte Biglias Talisman um ihren Hals und ging, ohne sich umzusehen, davon.

      Die Magierin Athina besuchte das Grab nie wieder.

      20. Mai, Sonntag, drei Jahre später

      Vasilios Manoli wurde am Morgen vom Meltemi, der heftig an den klapprigen Holzläden rüttelte, geweckt. Schon als Kind hatte er in den Sommermonaten immer dann heftige Migräne bekommen, wenn dieser Schönwetterwind von Norden kommend über das Ägäische Meer herfiel.

      Beim Aufstehen erinnerte sich Vasilios an die Ereignisse des letzten Sommers. »Los Vasilios, komm mit!«, forderten ihn zwei Studienfreunde auf. »Wir segeln nach Santorin, das Wetter ist prächtig.«

      Morgens hatte er aus Südwest Blumenkohlwolken am Himmel aufziehen sehen, die sich zu vorgerückter Stunde mit hohen Schäfchenwolken abwechselten. Als der Hirte Akylas ihm vom Wetterleuchten am nördlichen Nachthimmel erzählte, wusste Vasilios, dass der Wind, der ihm Kopfweh brachte, aus dem nördlichen Balkan heranzog.

      »Nein, segelt ohne mich los, ich muss für mein Physikum büffeln«, hatte er gelogen und die Beiden waren ohne ihn zu dem Segeltörn aufgebrochen. Am Abend hörte er in den Nachrichten, dass ein Boot in der Meerenge zwischen Euböa und Andros von einer gigantischen Fallbö erfasst und zum Kentern gebracht worden war. Nur einen der beiden Segler hatte man retten können, der andere war vom Meer verschlungen worden.

      Dass der Meltemi ihm schon im Monat Mai Ärger machte, kam nicht in jedem Jahr vor. Vasilios wusste, oben in den Bergen des Piliongebirges würden die Auswirkungen des Windes für ihn erträglicher sein. Er packte Brot, Käse, eine Zwiebel und eine Handvoll Oliven in den Rucksack und holte einen Krummstab, der hinter der Haustür stets bereitstand, hervor.

      »Ich gehe Akylas besuchen«, rief er vom Flur her seiner Mutter zu, die in der Küche herumwerkelte. »Warte nicht auf mich, ich übernachte in den Bergen.« Hastig zog Vasilios die Tür ins Schloss, er war nicht in Stimmung, sich auf ihre Bedenken einzulassen.

      Er trat auf die Straße hinaus und hoffte auf keine Nachbarn zu treffen, die ihn in ein Gespräch verwickeln konnten. Eine Windböe wirbelte Sand auf, er spürte die aufprallenden Körner wie Nadelstiche auf der Haut. Schützend hielt er eine Hand vor die Augen.

      »Pass auf, wo du hinläufst, du Trampel!«, fuhr ihn eine wütende Stimme an.

      Erschrocken blieb er stehen, rieb sich die Augen und blickte auf. Vor ihm standen zwei Frauen, die eine schob einen Kinderwagen. ›Wer hat mich derart unbeherrscht angefahren?‹, fragte er sich. Beide Frauen boten einen ausnehmend erfreulichen Anblick, schienen knapp über dreißig Jahre, waren schick gekleidet, blonde und schwarze Locken umrahmten perfekt geschminkte Gesichter. ›Bestimmt nicht die Blondine mit dem engelsgleichen unschuldigen Gesicht, eher die Schwarzhaarige‹, unterstellte er.

      Die blonde Schöne machte mit der linken Hand eine seltsam fließende Bewegung in Vasilios’ Richtung. Im Unterbewusstsein nahm er wahr, dass ihre Handflächen mit roten Punkten übersät waren. ›Hat sie in Dornen gegriffen?‹, wunderte er sich. Schlagartig erweiterte sich der bisher halbseitige Schmerz auf beide Gehirnhälften, im Bereich von Stirn, Schläfe und Auge pulsierend. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht, er begann leicht zu schwanken.

      »Ist Ihnen nicht wohl?«, hörte er eine dröhnende Stimme in seinem Kopf. »Wollen Sie sich setzen? Da drüben steht eine Bank.« Er fühlte eine Hand, die sich ihm stützend unter den Arm legte. »Athina, übernimm den Kinderwagen, ich glaube, ich kenne den Mann.«

      Urplötzlich ließ der heftige Schmerz in der Stirn nach. »Danke, es geht schon, der Meltemi macht mit zu schaffen«, murmelte er. Erstaunt starrte er auf die Hände der blonden Schönheit. ›Nanu, sie trägt ja mit einem Mal Handschuhe, habe ich mir die Verletzungen ihrer Hände nur eingebildet?‹ Es waren Kurzfingerhandschuhe aus feinem roten Leder mit aufgenähten Applikationen aus edlen Steinen. ›Wozu Handschuhe im Mai, dazu noch so komische Dinger? Und die Schwarzhaarige, ist das nicht die Schwester meines Schulfreundes Filippos? Atridi Papaluka, die Rechtsanwältin aus Volos? Die ist Mutter geworden? Bei ihrem Lebenswandel? Ein Kind passt zu der doch wie die Faust auf’s Auge. Die Blonde muss somit ihre stadtbekannte Freundin sein, ohne die sie keinen Schritt tut. Vor mir steht das berüchtigte geile A-Duo!‹

      Die zügellosen Gerüchte, die über die Frauen umliefen, waren bis in sein Dorf gedrungen. Man munkelte, es seien Lesben. Mehrmals im Jahr sollten sie mit der Familienjacht der Papalukas auf große Fahrt gehen. In den angesagten Häfen von Skiathos, Mykonos, Santorin, Piräus, Kos und Rhodos sollten sie Jagd auf gutaussehende Sexpartner machen. In der Regenbogenpresse las man von ausufernden Partys in Diskotheken, von Einladungen auf Jachten berühmter Hollywoodgrößen, von Flirts mit Millionären und Sängern. Man hörte von Reisen in die reichen Golfstaaten, ins südliche Afrika, Neuseeland und Australien.

      Dass Athina ihre schlechte Laune an dem Dorftrottel ausließ, war verständlich. Sie hatte seit einiger Zeit das unbestimmte Gefühl, dass ihr Einfluss auf die reiche Freundin ihr allmählich entglitt. Zum einen machte Atridi sich in der Rechtsanwaltskanzlei immer unentbehrlicher, zum anderen war Lena, die einjährige Tochter ihres abgöttisch geliebten Bruder Filippos, ins Spiel gekommen.

      Seit der Geburt des Balges hatte das Baby Atridi voll in Beschlag genommen. Die Kreuzfahrten mit der Nemesis waren spärlicher geworden, die langgeplante Tour nach Nepal war auf die lange Bank geschoben worden. Das wurmte Athina mächtig, das Aufspüren von Sternenstaubträgern glich immer mehr der Suche einer Nadel in einem Heuhaufen. Weitläufige Hoffnung hatte sie darauf gesetzt, im Himalaya auf Träger unberührter magischer Energie zu stoßen. Ihr Vorrat ging allmählich zu Neige, Atridis Körper schien immun gegenüber ihrer Unterwerfungsmagie zu werden, immer höhere Dosen an Sternenstaub mussten investiert werden.

      Und das war nicht ihr einziger Kummer gewesen! »Schau, meine Nichte! Ist sie nicht niedlich?«, hatte Atridi an dem Morgen geflötet, als sie ihr Lena erstmals präsentierte.

      Pflichtschuldig hatte Athina das Kind angelächelt. Nur mit Mühe hatte sie einen Aufschrei unterdrücken können. Genau über der rechten Augenbraue des Babys war ein fünfzackiger Stern aufgeblitzt, leuchtender noch als der von Biglia, wenn er mit Sternenstaub proppenvoll aufgeladen war! ›Mein Gott, das Kind trägt fantastisch viel unberührten Sternenstaub in sich‹, wurde ihr schlagartig bewusst. Nicht auszudenken, wenn das älter gewordene Balg ihren Stern sah und es brühwarm ihrer Tante erzählte! Das würde Getuschel geben, Mutmaßungen und Verdächtigungen würden in die Welt gestreut, ihr sorgfältig gehütetes Geheimnis könnte in Gefahr geraten, entdeckt zu werden. Ihre Freundin war nicht auf den Kopf gefallen, sie konnte eins und eins zusammenzählen.

      »Ich kenne dich doch«, hörte sie Atridi zu dem Tölpel sagen. »Du bist Vasilios, der Schulfreund СКАЧАТЬ