Der Engel mit den blutigen Händen. D. Bess Unger
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Название: Der Engel mit den blutigen Händen

Автор: D. Bess Unger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783741882692

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СКАЧАТЬ er, sich an den Felsen festzukrallen. Vergeblich, er rutschte über die Felskante, fiel, schlug auf den Felsvorsprung auf, mitten in das geronnene Blut, das die Ziege hinterlassen hatte. Mit einem hässlichen Krachen brach das rechtes Bein.

      Vasilios verlor, wie es ihm vorkam, nur für Sekunden das Bewusstsein. Doch als er wieder zu sich kam, war es spätabends, die Sonne war untergegangen. Er sah sich auf dem Felsvorsprung liegen, ahnte den gähnenden Abgrund neben sich, spürte grausame Schmerzen in der Brust und in dem Bein. Blut floss über sein Gesicht. Ein Blick nach oben zeigte ihm, dass er aus eigener Kraft dort niemals hinaufkommen würde, auch ohne gebrochenes Bein und ohne gebrochenen Rippen. Als angehender Mediziner wusste er auch, dass er höchstwahrscheinlich eine Gehirnerschütterung hatte, wenn nicht noch etwas Schlimmeres. Was waren die Anzeichen einer Gehirnerschütterung? Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, Orientierungslosigkeit. Er stellte sich laut Fragen: »Wer bin ich? Wo bin ich? Was ist heute für einen Tag? Was ist passiert?« Seine Aussprache war fehlerfrei, die Antworten korrekt, eine schwerwiegende Hirnverletzung lag nicht vor. Doch schwindelig war ihm, verdammt schwindelig. Das war schlecht.

      Schliefe er ein oder verlöre erneut das Bewusstsein, würde er den morgigen Tag nicht mehr erleben. Ein Wunder, dass er nicht schon in seiner Ohnmacht in den Abgrund gestürzt war. Eine verführerische Stimme in seinem Inneren flüsterte ihm zu. »Dreh dich und lass dich fallen und alle Schmerzen sind vorbei.« Eine leisere widersprach: »Durchhalten und kämpfen.«

      Stocksteif blieb er liegen und versuchte wachzubleiben. »Akylas wird mich finden oder sein Hund Iason«, stöhnte er. Nein, sie würden erst am Morgen vorbeikommen, auch seine Mutter würde ihn erst am Morgen vermissen, da er in den Bergen hatte übernachten wollen.

      ›Zumindest bin ich hier vor Wölfen in Sicherheit‹, tröstete er sich.

      Ein Rauschen wie von riesengroßen Flügeln ließ ihn zusammenfahren, ein grausames Stechen jagte durch seine Brust. Er sah nach oben. Zwei blassbräunliche Vogelköpfe mit gebogenen, blutverschmierten Schnäbeln und nackten bläulichen Hälsen schoben sich über die Felskante. Gierige Augen fixierten ihn. Aasgeier! Schaudernd wandte er den Kopf ab.

      Vasilios wusste, solange er bei Bewusstsein war, würden sie ihn nicht anrühren. Er schloss die Augen, vorsichtig, mit arger Mühe, tastete er nach dem Rucksack. Seine Hände schmerzten, die gebrochenen Rippen taten ihm höllisch weh, doch er schaffte es, die Flasche herauszuziehen. Mutlos sank er zurück. Klar, sie war ja leer gewesen. Sein Körper rutschte einige Zentimeter in Richtung Abgrund. Der Durst peinigte ihn schrecklich, zum Glück war die Sonne schon lange hinter den Bergen verschwunden und die Luft wurde kühler. Die Nacht brach herein. Nur nicht einschlafen. Er legte die Hand schützend über die Augen. »Nicht meine Augen, ihr verfluchten Vögel, nicht meine Augen ...« Er versuchte, sich zu beruhigen, den Atem zu kontrollieren, vergebens, die Schmerzen ließen es nicht zu. »Nicht einschlafen, nicht einschlafen ...«

      »Schlafe ein und du spürst keine Schmerzen mehr«, ließ sich die Stimme in seinem Inneren vernehmen, sie klang verführerischer als zuvor. Er war mit der Kraft am Ende. Vor seinen Augen wurde es schwarz, die gnädige Ohnmacht trug ihn hinaus in eine schmerzlose Nacht. Er spürte nicht mehr, dass der linke Arm über der Felskante im Leeren baumelte, dass die Hand von den Augen gerutscht war, die sich jetzt schutzlos den Geiern darboten.

      Die saßen wie aus Stein gemeißelt. Ruckartig breiteten sie ihre Schwingen aus und stürzten sich auf ihr Göttermahl.

      Vasilios wurde von einer betörenden Musik geweckt. Er lag gebettet auf flauschigem Heu, über sich Sterne, im Südosten stand der Vollmond, der sanfte Nachtwind trug den strengherben Geruch von Thymian heran.

      ›Wo bin ich? Wieso spüre ich in der Brust keine Schmerzen? Was ist mit meinem Bein los? Wieso kann ich es bewegen?‹ Jählings packte Vasilios eine ungeheure Erleichterung: ›Ich habe das alles nur geträumt, habe mich nur ausgeruht, bin eingeschlafen.‹ Doch die Gedanken rasten und eine andere Idee wurde ihm zur entsetzlichen Gewissheit: ›Nein, nein, nicht eingeschlafen, ich bin gestorben.‹

      Er versuchte, sich mit den Armen abzustützen und den Oberkörper aufzurichten. ›Nanu, wieso geht das? Woher kommen die zauberhaften Töne?‹ Er blickte in die Richtung, aus der die fremdartige Musik zu kommen schien. Als er sah, was sich da gegen den Nachthimmel im bleichen Licht des Vollmondes abhob, geriet sein Weltbild aus den Fugen.

      Auf der Anhöhe stand eine Gestalt aus der Sagenzeit der Antike: ein Kentaur, ein Mischwesen aus Mensch und Pferd. Er hatte ein überraschend jugendliches Gesicht, wallende Haare, um seine Schulter lag ein braunes Widderfell. Er hielt eine Lyra in der Form einer Schildkröte in den Händen, die Arme des Instrumentes waren wie Hörner gebogen.

      Vor dem Kentaur saß auf dem Ast eines abgestorbenen Bäumchens ein stattlicher Rabe, mit schräggelegtem Kopf schien er der Musik zu lauschen.

      Der Kentaur schlug die Saiten und entlockte der Lyra eine Musik, die Vasilios mit seiner Seele in Einklang brachte. Er spürte eine heilende Kraft, die Schwingungen der Töne umhüllten sein Äußeres und durchdrangen sein Inneres.

      Vasilios hörte Worte in der altüberkommenen Sprache seines Landes. Worte und Musik verschmolzen zu einer Einheit, einem wunderbaren Lied, es nahm ihn mit auf eine Reise durch die Zeit.

       Bei Tag und bei Nacht

      Durchwandere ich das Gebirge,

      Unbemerkt von Mensch und Tier.

      Die Jahreszeiten,

      im ewigen Wechsel, doch niemals gleich.

       Der erste Schnee fällt.

      Bald schon sind die Wälder

      Mit zart purpurfarbenen Anemonen übersät,

      Die Wiesen geschmückt

      Mit lavendelfarbenen Winterkrokus.

      Bauschige Wolken, weiß und rosa,

      Der Mandelblüten

      Übersäen die Hügel.

       Die purpurblaue Iris leuchtet in der Morgensonne.

      Die köstlich duftende, gelbe Narzisse,

      Verschenkt in Massen den Nektar.

      Orchideen, kostbar wie geschliffene Edelsteine, leuchten.

      Die ersten Zikaden begrüßen den Sonnenglanz

      Des nahenden Sommers.

      Judasbäume verspritzen rot über das Land,

      Ginster verschenken an die Hügelhänge ihr Gelb,

      Goldene Ringelblumen decken die Felder.

       Thymian, Minze und Salbei blühen und duften,

      Zur Freude der Bienen.

      In der Luft hängt der schwüle Duft der Robinien,

      Delphinium strahlt in Violett.

      Gelben Königskerzen schmücken sich

      Mit bunten Schmetterlingen.

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