Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
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Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

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СКАЧАТЬ Bücher, ihrer liebsten Bücher. Eines, das sie geistig beflügelte und beruhigte.

      Vor Wut stockte die Stimme, Tränen schossen über ihr Gesicht und sie gurgelte mehr, als dass sie sprach.

      »Das war …«, schrie sie und stürmte an ihm vorbei in den Flur und auf die Haustür zu. »Das war dein Buch. Dein Buch!!!!! Das Oberth-Buch!« Sie riss die Wohnungstür auf und rannte die Treppe herunter, vorüber an Frau Winkler, deren faltiges Gesicht sich hastig zwischen ihre Türpfosten zurückzog, so dass Mara sie nicht bemerkte.

      Eilig übersprang sie mehrere Stufen bis nach unten, vorbei an der dunkel liegenden Wohnung der Butzkes, in den Hausflur und durch die Haustür ins Freie. Die große hölzerne Jugendstiltür schlug gegen die Wand und der Glaseinsatz erzitterte, aber brach nicht. Ihre Augen waren voller Tränen, sie weinte nicht und schrie nicht, jedoch von allem. Vor allem durchwühlte sie das Gefühl, tief beschämt worden zu sein, in ihrem eigenen Zimmer durch den eigenen Vater, der zerstören wollte, was ihr Halt gab.

      Sie lief auf die im Dunkeln liegende Fasanenstraße hinaus, was durch die hohen Bäume verschlimmert wurde. Wenige Straßenlaternen spendeten spärliches Licht. Die Verdunkelung galt ab Einbruch der Dunkelheit oder auf jeden Fall bei zu befürchtendem Alarm. Die Laternen konnten ohne Vorwarnung jederzeit abgeschaltet werden. Leise wimmernd wischte sie sich die Tränen aus den Augen und versuchte, das Buch zu finden. Fest richtete sie ihre Blicke auf den Boden und bemerkt den Mann nicht, der neben ihr herlief.

      »Suchen Sie das, junge Dame?«

      Als die Anwesenheit einer anderen Person endlich in ihr Bewusstsein drang, erschrak sie. Sie atmete schwer und hustete zwischendurch. Inmitten des Schleiers aus Tränen bemerkte sie eine Hand, die einen schwarzen Einband hielt, der nahezu vollständig von weißer Schrift bedeckt war. Sie rieb sich das Gesicht trocken. Die Rakete zu den Planetenräumen.

      »Das ist meines!«, stammelte sie. Dann wanderte ihr Blick an der Gestalt hoch. Ein Mann in hellbrauner Lederjacke stand vor ihr. Um den Hals ein karierter Schal, das Gesicht spitz mit einer langen und leicht knolligen Nase. Eng stehende Augen unter einer von wuscheligen Haaren verdeckten Stirn. Er war nicht rasiert, aber er sah sie freundlich an.

      »Da, habe ich gefunden.«

      Ohne ein Wort zu sagen, entriss sie ihm das Buch und wandte sich um, zurück zum Haus. Sie presste es vor ihren Oberkörper, als sie langsam die Treppe hinauflief und sich dabei Schritt für Schritt beruhigte. In der vierten Etage fiel ihr hinter dem Milchglaseinsatz der Wohnungstür der Winklers ein Schatten auf, doch sie ignorierte die Alte.

      Oben angekommen verweilte sie für einen Moment vor ihrer eigenen Tür. Die Beine zitterten und ihr Hals tat weh. Sie fühlte sich schwach. So viel wütende Emotion auf einmal hatte sie selten gespürt. Sie nahm sich ein Herz und betrat die Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Eigentlich wollte sie in ihr Zimmer gehen und dort den Rest des Abends bleiben, aber die vollkommene Stille wunderte sie. Zunächst sah sie in die Küche rechts, dann ins Wohnzimmer. Das Schlafzimmer ihres Vaters war dunkel. Langsam öffnete sie die Tür und hörte schwache Atemzüge.

      »Paps?«, fragte sie leise. Und als sie keine Antwort bekam etwas lauter: »Paaps?«

      »Es tut mir leid, Mara. Es tut mir so leid.«

      Sie sagte nichts. Für einige lange Augenblicke hörten sich Vater und Tochter nur gegenseitig atmen.

      »Ich liebe das Buch von Hermann Oberth!«, kam es leise aus dem Dunkeln. »Als ich jung war, wollte ich auch die Sternenräume bereisen, Mara. Ich habe es gekauft gleich als es herauskam. 1923.«

      »Ich weiß, Paps.« Dann fügte sie hinzu: »Du hast mir auch aus dem Buch von Otto Willi Gail vorgelesen, als ich klein war.«

      Im Dunkeln kicherte es leise. »Du hast das Raketenauto von Max Valier geliebt, Mara. Und den Raumschiffstart, der im Buch beschrieben wird. Den musste ich immer mit Geräuschen nachspielen.«

      »Kommodore Hart sendet der Erde Grüße nach der Mondumrundung«, zitierte sie aus dem Gedächtnis und beide schwiegen zufrieden.

      »Verzeih mir Mara«, wiederholte er.

      »Ich verzeihe dir«, antwortete sie. »Natürlich tue ich das. Und ich nehme ernst, was du geleistet hast, Paps. Und immer noch leistest. Und deine Sorgen um mich.«

      »Danke, Kind«, drang es aus dem Dunkel. »Ich weiß oft nicht weiter, Mara. Henni fehlt mir so.«

      Sie räusperte sich. »Mir fehlt Mama auch.« Einen Moment dachte sie nach, dann zog sie seine Tür zu. »Gute Nacht, Paps.«

      Sie löschte das Licht im Flur und hörte im Radio noch die Nachrichten. Die östlichen und südlichen Außenbezirke der Stadt waren getroffen worden, so wie sie es gleich heute Nachmittag in der Dienststelle erfahren hatte. Über Verluste lagen keine Informationen vor, aber die Zerstörungen sollten zahlreich sein. Außerdem meldetet der schwedische Rundfunk, dass seit Kriegsbeginn siebenundsechzig ausländische Kampfflugzeuge zur Landung gezwungen worden waren, da sie den Luftraum des Landes verletzt hatten, und in Wales waren Bergarbeiter in den Streik getreten. Teilnahmslos schaltete sie den Volksempfänger aus. Dann drehte sie das Buch von Hermann Oberth in den Händen. Auf der Rückseite, unten rechts, hatte es einen Schlag bekommen und dadurch war die Bindung ein wenig lädiert, aber ansonsten schien es intakt. Ein kleines Wunder, fand sie. Sie blätterte durch die Seiten und schloss immer wieder die Augen, bis sie merkte, dass sie einschlief. Den Band auf den Tisch legend ging sie Zähne putzen und dann zu Bett. Der Tag war ausgesprochen anstrengend gewesen und hatte leider turbulent geendet.

      Als sie schon schlief, schlich ein Schatten zu ihrer angelehnten Zimmertür und schob sie leicht auf.

      Ihr Vater beobachtete sie in dem spärlichen Licht, das durch einen Spalt in das Zimmer fiel, weil sie den Vorhang nicht richtig zugezogen hatte. Als er merkte, dass sie eingeschlafen war, ging auch er zu Bett. So hatte er es fast jede Nacht getan, seit Henni gestorben war.

      Donnerstag, 9. März 1944

      Manfred war ihr bereits aufgefallen, noch bevor er die Nachodstraße erreicht hatte. Er kam heute die Prager Straße herauf, obwohl das doch für ihn ein Umweg sein musste. Genoss er die Einsamkeit der Straßen zu dieser frühen Morgenstunde oder legte er es darauf an, sie länger zu begleiten? Mara winkte, er schien überrascht, aber irgendetwas ließ sie spüren, dass er seine Überraschung nur spielte. Lächelnd wartete er auf sie, der Tag war noch gar nicht richtig angebrochen und das Dämmerlicht warf Schatten unter seine dicken Brillengläser.

      »Guten Morgen«, grüßte sie ihn. Heute früh war sie mit leichten Bauchschmerzen aufgewacht. Spätfolgen der Aufregung gestern. Ihr Vater war da schon längst zur Frühschicht aufgebrochen.

      Manfred nickte freundlich.

      »Ich lese gerne die Weltraumromane von Otto Willi Gail«, sagte sie unvermittelt. »Und manchmal Hans Dominik. Früher habe ich Walther Kabel gelesen und mich sogar an Thea von Harbou versucht. Das war mir aber zu schräg. Gerade lese ich im Oberth.«

      Manfred blieb stehen. Sie sah ihn überrascht an. »Du wolltest doch gestern wissen, ob ich lese. Ich lese Gail …«

      »Das ist toll«, sagte er schnell, um die Wiederholung zu unterbrechen. »Ich hätte niemals geglaubt, dass du so etwas liest.«

      »Was dachtest du denn? Liebesromane?«

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