Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
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Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

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СКАЧАТЬ Mara vor ihrem Büro ab. »Was ich eben wollte, Fräulein Prager … ab Montag möchte ich Sie für die Benachrichtigung von Angehörigen einsetzen. Die Listen bleiben ihre Hauptaufgabe. Aber es gibt traurige Fälle, wo Angehörige von Volksgenossen keine ausführliche Würdigung des Kommandeurs des Gefallenen bekommen. In solchen Fällen schreiben wir einige Zeilen, die trösten sollen. Ich sage Ihnen dann noch einmal Bescheid. Aber bis dahin müssen Sie die Maschine gut beherrschen. Diese Briefe haben fehlerfrei zu sein und sie müssen trotzdem schnell erledigt werden. Alles klar? Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an die Kolleginnen oder den Obergefreiten Halber.« Sie betraten gemeinsam das Büro, die anderen nahmen keine Notiz, sondern taten beschäftigt.

      Mara nickte. »Den habe ich eben während des Alarms nicht gesehen.« Fragend sah sie die Büroleiterin an. Die schritt zu dem Nachbarbüro, öffnete die Tür und sah hinein.

      »Weiß jemand, wo Obergefreiter Halber ist?«

      Mara hörte die Antwort nicht, aber erkannte Ratlosigkeit, als die Schnatterer die Tür wieder schloss. »Nein, er ist gleich zu Beginn der Mittagspause weg und seitdem nicht aufgetaucht. Er soll es eilig gehabt haben.« Schnellen Schrittes verließ sie das Büro.

      »Was ist denn jetzt mit Manfred?«, lief sie ihr hinterher.

      »Ich muss Meldung machen. Und Sie gehen zurück an Ihren Arbeitsplatz. Sofort!«

      Sie fügte sich, das war keine Bitte gewesen. Manfred war Soldat der Wehrmachtsverwaltung. Wenn so jemand aus einer Pause nicht zurückkam, konnte das vieles bedeuten, insbesondere nach einem Luftangriff: Desertion, Sabotage, Unfall, Fahnenflucht, Tod …

      Mit wachsender Unruhe setzte sie sich wieder hin und tippte weiter Listen ab, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Mit hochrotem Kopf und schweißnassen Haaren stand Manfred draußen und winkte sie zu sich. Unfreundlich sahen die anderen Frauen ihn an, aber sagten nichts. »Ist dienstlich«, nuschelte er in deren Richtung und Mara begab sich zu ihm auf den Gang. Vorsichtig schloss er die Tür.

      »Hier«, reichte er ihr einen Umschlag. »Das habe ich dir mitgebracht.«

      Überrascht und ein wenig argwöhnisch griff sie zu und zog ein Heft heraus.

      »Jan Mayen, Nummer 96 Der grüne Tod«, las sie halblaut vor. »Manfred … wie …«

      Doch er schüttelte den Kopf. »Erzähl ich dir später. Ich bin kurz nach Hause gelaufen, aber als ich zurück wollte begann der Alarm und dann saß ich fest.«

      »Aber jetzt bist du hier!«, stieß Mara hervor. Und seine nassen Haare … er musste gerannt sein. Für sie?!

      »Ja, jetzt bin ich hier. Aber noch was. Der Luftangriff war schwer, sehr schwer. Ich habe es von einem Luftschutzwart erfahren. Getroffen wurden Lichtenberg, Zehlendorf und … Lichterfelde. Lichterfelde besonders.« Maras Herz krampfte sich zusammen. Er holte tief Luft. »Lichterfelde, Mara. Ist da nicht das Stellwerk deines Vaters?«

      »Ich … ich … glaube schon …«, ihre Gedanken rasten. Natürlich war Lichterfelde nicht gerade klein. Es wird ja nicht unbedingt ... In dieser Situation hätte sie kaum ihr Geburtsdatum aufsagen können. »Etwas außerhalb, aber wo genau …«

      »Arbeite weiter. Alles wird gut werden. Ich versuche etwas in Erfahrung zu bringen, denn es sollen ganz besonders Transportwege angegriffen worden sein. Und Wohngebiete.«

      »Nein«, hauchte sie und mit aufkeimender Panik dachte sie an gestern. Sollte ausgerechnet ein solcher Streit ihr letzter gemeinsamer Abend gewesen sein?

      Manfred erkannte ihre bebende Unterlippe und rieb beschwichtigend ihren Oberarm. Sie schaute auf seine Finger auf dem dünnen Stoff ihrer Bluse. Sie waren warm und schlank.

      »Ich muss weg!« Er löste sich.

      Sie nickte und ging ebenfalls zurück in ihr Büro.

      Zaghaft legte sie den Umschlag links neben die Schreibmaschine.

      »Pausen sind für die Pausen da«, sagte eine der Kolleginnen zu den anderen, so spitz und ironisch, dass klar war, wen sie meinte.

      Mara schluckte ihre Wut und ihre Angst herunter. Sie konnte sich vor Furcht um ihren Vater ohnehin nicht konzentrieren. Diese Ironie, diese unterschwellige Geringschätzung. Mara war so aufgewühlt, am liebsten hätte sie ihre Schreibmaschine nach denen geworfen, aber dafür war die gute Remington dann doch zu schade. Der Gedanke ließ sie sogar fast lächeln. Bis zum Dienstende hatte die Angst wieder vollends überhandgenommen. Manfred schien vor der Tür zu warten, sie rannte trotzdem, so schnell sie konnte, nach Hause. Die Nacht brach herein, als sie die Fasanenstraße erreichte. Es verblieben etwa einhundert Meter bis zur Hausnummer 59. Sie war immer schon flink, aber heute flog sie nahezu die Stufen des Treppenhauses hinauf, ihre Finger zitterten, als sie den Schlüssel in die Wohnungstür steckte und drehte und die kühle und dunkle Wohnung betrat.

      »Papa?«, vorsichtig ging sie durch die Räume. Sie war alleine. »Paps?«, fragte sie trotzdem immer wieder. Die Wanduhr zeigte 18.19 Uhr. Mara fühlte sich verwirrt. Vater war schon fort gewesen heute früh, er hätte also um 14 Uhr Feierabend haben müssen, wenn er nicht länger arbeitete. Eigentlich machte er das nicht, ohne ihr vorher was zu sagen. Ihre Finger zitterten. Sie warf ihre Tasche auf ihr Bett und kehrte zurück ins Treppenhaus. Es war still, sie hörte nur ihren hektischen Atem. Dann lief sie ein Stockwerk tiefer und klingelte bei den Winklers. Trotzdem sie einen Schatten hinter der Tür schnell hatte verschwinden sehen, tat sich erst einmal nichts. Als wüsste nicht jeder, dass die alte Winkler bei Tag und Nacht lauerte und lauschte. Glaubte sie, man wäre blind und könnte nicht ihre Silhouette durch den ornamentverzierten Glaseinsatz sehen, auch wenn es Milchglas war? Mara klingelte erneut und sie sah jetzt einen Arm zu der Klinke greifen und die Tür aufziehen. Wortlos schaute die Nachbarin durch einen Spalt.

      »Haben Sie meinen Vater gesehen, Frau Winkler?«

      Die Alte musterte sie von oben bis unten. »Meinen Sie, er würde sich bei mir verstecken? Herr Winkler hätte sicher etwas dagegen.«

      »Was? Nein!«, fast wollte es sie schütteln, doch sie riss sich zusammen. »Lichterfelde ist bombardiert worden und ich mache mir Sorgen.«

      »Oh. Aha«, sagte die Alte nur. »Nein, er ist nicht hier.« Damit schloss sie die Tür wieder. Mara war entsetzt. Die hatte gar nicht zugehört. Sie musste weiter fragen.

      Die Wohnung in der Dritten lag wie immer im Dunkeln, sie hatte dort noch niemals jemanden gesehen. In der zweiten Etage bei Professor Hübner brannte Licht und er öffnete höchstpersönlich die Tür und hörte sie an. Ehrliche Sorge trat auf sein Gesicht, doch er hatte keine Ahnung.

      Den Ingenieur ließ sie aus, einen letzten Versuch wollte sie bei den Butzkes starten. Mildred Butzke öffnete, eine Frau kaum bestimmbaren Alters, wenig verwöhnt vom Leben und sich selbst, mit grauer Haut aber wohlgenährt. Sie sah das Mädchen, drehte sich nur um und rief augenblicklich nach ihrem Paul.

      Hausmeister Butzke schlurfte heran und hörte ihr zu. »Ist er denn schon lange überfällig?«, fragte er.

      »Ich weiß nicht genau, ich denke ja. Er hatte Frühdienst.«

      Der Hausmeister grübelte und kratzte sich an der Stirn und zog die Nase hoch. »Dann sehe ich ihn meistens gegen 15 Uhr. Oder 16 Uhr, wenn er etwas besorgen musste.«

      Im Hintergrund erkannte sie Heinz, der sich aus einem Türrahmen schob und sie mit blassen Augen anstarrte. Er regte sich nicht und СКАЧАТЬ