Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
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Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

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СКАЧАТЬ sehen Sie mal zu, wie Sie das rauskriegen. Bis 15 Uhr ist ja noch Zeit … Vielleicht fällt es Ihnen ja ein, während alle anderen Pause machen.« Frau Schneiderer warf ihr die Durchschläge auf den Tisch und verschwand.

      Es war 12.28 Uhr. Die Tür öffnete sich und Manfred merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Mara saß stocksteif, als starre sie auf eine Schlange, die Bürokolleginnen arbeiteten übereifrig wie Menschen, die gerade mit einer Sache nichts zu tun haben wollen. Langsam kam er näher.

      »Du musst die Runen benutzen, Kindchen!«, sagte eine der Frauen, doch Punkt 12.30 Uhr hörten die anderen auf und verließen das Büro.

      »Du musst noch arbeiten?«

      Mara nickte, den Tränen nahe.

      »Soll ich dir wenigstens eine Bulette holen? Mit Senf?«

      Das Mädchen senkte tonlos den Kopf und hob ihn wieder. Lebensmittelmarken hatte sie ja dabei. Manfred stellte sich hinter sie und sah auf die Tastatur. Sein Arm reichte an ihr vorbei und sie roch einen leichten Seifengeruch.

      »Siehst du? Da sind die Sig-Runen.« Er zeigte auf die Taste ›3‹. »Ich habe eine Triumph Norm, da liegen sie auf der 5, aber hier auf dieser amerikanischen Maschine … ich habe noch nie gesehen, dass sie auf der 3 liegen. Aber sei‘s drum. Wie du das schreibst weißt du? Wenn du die hier gedrückt hältst, dann …«. Er presste eine Taste nach unten und Mara ihrerseits die ›3‹ und plötzlich erschienen die gesuchten SS-Runen auf dem Papier. Ihre Finger berührten sich.

      Sie nickte stumm und stierte vor sich hin. Sie war wütend. Ärgerlich und außerdem traurig. Ein wilder emotionaler Sturm tobte durch sie. Am schlimmsten war, dass man sie behandelte wie ein dummes Kind. Hätte man sie nicht in normalem Ton darauf hinweisen können? Und ihr zeigen, wie das funktioniert? Dann wäre sie längst fertig und könnte mit Manfred eine Bulette essen. Sie hatte solchen Hunger.

      Er ging zur Tür und drehte sich um. Sagte und fragte nichts, aber Mara quälte sich ein Lächeln ab.

      Dann bearbeitete sie die Liste und war um kurz nach 13 Uhr fertig. Die anderen kamen langsam zurück, die Pause war vorbei. Mit der letzten der drei Schreiberinnen betrat auch Manfred die Stube, in der Hand eine Papiertüte. Mit einem entschuldigenden Blick in Richtung der Kolleginnen reichte er sie ihr. Als Mara zu ihrem Täschchen greifen wollte, schüttelte er den Kopf. Sollte sie ihre Bezugsscheine mal behalten. Dann ging er selber ins Nachbarbüro und schloss die Tür hinter sich.

      Schnell tippten die Frauen vor sich hin, während sie ihre Bulette aß und aufpasste, dass sie ja nicht die Unterlage oder ein Dokument beschmutzte.

      »Sie essen ganz schön laut«, murmelte eine vor sich hin und ein Kloß legte sich in ihren Magen. Die schrieben viel geräuschvoller, als sie selbst aß. Mit Sicherheit.

      Es war ein großer Happen übrig, den sie mit einer gewissen Vorfreude betrachtet hatte, während sie langsam ihre Bissen kaute. Sie hatte keine Pause mehr, aber das war ihr egal. Als sie ihre Finger ableckte und sich das letzte Stück zurechtlegte, drang ein tiefer Heulton durch Mark und Bein. Es war 13.23 Uhr. Die anderen sprangen auf und wollten das Büro verlassen. Mara blieb sitzen. »Sicher nur eine Luftwarnung«, sagte sie.

      »Und Sie wissen das?«, bemerkte eine der drei spitz. Auf dem Gang wurde es lebhaft. Also stand auch das Mädchen auf. Ihr Blick fiel auf ihre Verlustliste für die SS und sie wischte sich schnell die Hände ab, dann griff sie danach. Das Stück Bulette musste bis später warten. Sie war ohnehin schon kalt.

      Als sie in der offenen Tür verharrte, liefen Frau Schneiderer und Stabsfeldwebel Sauerland vorbei, ohne sie zu beachten. Manfred stand am Ende des Ganges und winkte ihr.

      »Hier, hier geht’s in den Keller.« Er nahm sie mit und ließ sie vorgehen. Hinter den dicken Brillengläsern sah er besorgt aus.

      »Das ist nur eine Luftwarnung«, flüsterte Mara.

      »Das kann man nie wissen«, raunte er zurück.

      Im Keller angekommen, spürte sie die kältere Luft unten und diesen Geruch, eine Mischung aus Feuchtigkeit und Staub. Es roch nicht gut. Sie fror, da sie nicht daran gedacht hatte, ihren Mantel mitzunehmen. Dann quetschte sie sich auf eine schmale Pritsche neben eine der drei Schreiberinnen und Manfred. Eine nackte Glühbirne erhellte das Dunkel trostlos.

      Schräg gegenüber saß die Büroleiterin, den Offizier konnte sie nicht sehen. Der Keller war niedrig und angefüllt mit Menschen, die sie gar nicht kannte. Und doch gab es leere Plätze. Normalerweise arbeiteten hier viel mehr Personen. Das langsame An- und Abschwellen der Luftschutzsirenen tönte durch jede Ritze, etwas anderes war aber schlimmer.

      »Da«, hauchte sie, aber niemand reagierte, denn alle erkannten das tiefe Dröhnen und Wummern der schweren viermotorigen Bomber der Amerikaner, die neuerdings tagsüber kamen, während die Engländer sich die Nacht vorbehielten. Wie Kanonenschläge hämmerten die Flugabwehrgeschütze los. Dies musste der Flakbunker am Zoo sein, der war relativ nahe und die Geschütze waren hoch über der Stadt. Deren Echo rollte in alle Richtungen durch die Straßen, bis es sich in der Ferne verlor oder abgelöst wurde von den anderen Abwehrbatterien.

      Sie konnte in dem Halbdunkel keine Uhren erkennen, doch das Dröhnen nahm nicht ab, sondern schwoll weiter an, es wurde sogar lauter. Wie lange ging das schon so? Es fühlte sich ewig an. Dabei konnten es kaum mehr als zehn Minuten sein, eine halbe Stunde war seit dem Alarm vergangen, wenn überhaupt. Wo blieben die Einschläge? In regelmäßigem Abstand feuerte die Flak gegen das anschwellende Motorenbrummen, begleitet von den Sirenen – eine unheimliche Sinfonie der Todesverheißung. Mara hatte mit der Hausgemeinschaft oft im Keller gesessen und hin und wieder mit ein paar Reisenden im Bahnhof, aber nie mit so vielen Personen. Dadurch wurde es beängstigender. Unten im Dunkel sahen alle Uniformen grau aus – wie die Gesichter. Hier saßen Soldaten und versteckten sich wie Mäuse vor der Katze. Warum kamen die Bomber überhaupt so weit? Der Kontinent war eine Festung, hieß es doch stets!

      Ihre eigene Unruhe setzte sich plötzlich fort und leises Getuschel hob langsam an, obwohl auf den Wänden stand ›Ruhe bewahren. Nicht sprechen. Rauchverbot!‹ Man fragte sich, warum es so viele Flugzeuge wären und wer das Ziel sei. Würde Mitte bombardiert, hätten sie es schon längst gemerkt. Bald erstarben die wenigen Gespräche und alle harrten nur bange aus. Gegen 15.30 Uhr nahm der Motorenlärm ab, der Zoo schoss nicht mehr. Leise war aus der Ferne noch Gefechtslärm einer Flak zu vernehmen, vermutlich die Türme in Friedrichshain und Humboldthain.

      Um 15.50 Uhr wurde Entwarnung gegeben. Alle standen auf, reihten sich in eine Schlange und gingen schweigend zurück an ihre Arbeitsplätze. Aus vielen Büros war das Klingeln von Telefonen zu hören.

      »Dienstliche Gespräche. Nur dienstliche Gespräche«, schrie die Schnatterer immer wieder über ihren Gang.

      Etwas später steckte Manfred den Kopf durch die Tür. »Erkner, sagte er hastig. Außerdem die südlichen und östlichen Außenbezirke. Die Luftabwehr hat 470 Feindflieger gezählt.« Mit diesen Worten verschwand er und sie hörte ihn ein Büro weiter das gleiche sagen. Keiner im Raum sprach, alle schienen erleichtert. Offensichtlich kam niemand aus Erkner.

      Kaum hatte sich die Stimmung beruhigt, öffnete sich die Tür wieder und Frau Schneiderer sah durch den Spalt. »Die Liste, Fräulein Prager?«

      Mara hielt sie ihr hin, die andere schüttelte den Kopf. »Sie hatten die mit im Keller. Ich habe es genau gesehen. Das ist eine dienstliche Verschlusssache. Die hat am Arbeitsplatz zu bleiben und darf nicht entfernt werden.«

      »Sie wollten sie haben und СКАЧАТЬ