Kleine Frau im Mond. Stefan Boucher
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kleine Frau im Mond - Stefan Boucher страница 17

Название: Kleine Frau im Mond

Автор: Stefan Boucher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754174128

isbn:

СКАЧАТЬ und wie peinlich es war, einfach abgehauen zu sein. Was musste Isolde nun denken? Ein Gedanke rief den nächsten hervor, als ein langsam anschwellender Alarmton die hauchzarten Wolken ersten Schlummers verscheuchte und gut einstudierte Verhaltensweisen hervorrief. Hastig griff sie im Dunkeln nach ihrem Uniformmantel und einem stets gepackten kleinen Koffer. Dann lief Mara auf den Flur und rüttelte an der Schlafzimmertür ihres Vaters. Von drinnen hörte sie nur undeutliches Gemaule.

      »Paps, aufwachen. Es ist Alarm!«, rief sie und stand schon neben seinem Bett. »Los, wir müssen runter.«

      Langsam rappelte er sich hoch. Er hatte wieder getrunken, das war deutlich zu riechen. Unablässig zerrte sie an seinem rechten Arm.

      »Jetzt lass mich schon«, schnauzte er sie urplötzlich an. »Ich bin nicht taub und aufstehen kann ich alleine!« Erschrocken wich sie zurück. Licht zu machen war verboten, die Vorhänge aufziehen? Das wollte sie lieber nicht. Sie wartete, während Vater raschelte und nestelte.

      »Hörst Du?«, fragte er im Dunkeln mit schwerer Stimme. Der Heulton sägte durch die Nacht.

      »Den Alarm? Natürlich«, sie verstand nicht.

      »Das ist eine Luftwarnung, kein Alarm. Sonst würden wir doch längst was hören.«

      Sie konzentrierte sich. Nein, ein Brummen der schweren Motoren von Bomberverbänden war da nicht. Aus dem Treppenhaus ertönten Gepolter und leise Rufe.

      »Die Winklers sind gleich unten, Papa.«

      »Lass sie, ich lege mich wieder hin.«

      »Vater!« Mara war ehrlich entsetzt. Und tatsächlich, es plumpste schwer, die Matratzen knarrten und nur Augenblicke später hörte sie das rasselnde Stöhnen ihres zurück in den Schlaf fallenden alkoholisierten Vaters. »Was der Professor kann, kann ich auch«, kam es brabbelnd gedämpft von unten.

      Einsam stand sie in dem dunklen Zimmer, das Köfferchen in ihren Händen, vor dem Becken verschränkt. Als müsste ihr Vater unbedingt recht behalten, verstummte der Alarm in dem Moment, wo sie alleine in den Keller gehen wollte. Doch bloß eine öffentliche Luftwarnung, kein Alarm.

      Sie schlich zurück in ihr Zimmer, die Wanduhr bekam etwas Mondlicht. Es war 3 Uhr morgens. Seufzend entkleidete sie sich und schlüpfte wieder unter ihre Decke. Dort war es noch warm. Der gestrige Tag ging ihr durch den Kopf. Alles so neu und fremd und aufregend. Die ersten Schreibübungen auf der Remington … einer amerikanischen Schreibmaschine. Sie spürte ihre Oberfläche sogar jetzt, den Druckpunkt der großen runden Tasten, deren kantige Ränder ein wenig in ihre zarten Fingerkuppen eindrangen, wenn sie tippte. Sie leisteten zunächst Widerstand, aber dann ergaben sie sich ihren Fingern und mit festem Schlag presste der Hammer die Buchstaben auf das Papier. Was für eine Freude und ein Genuss, das zu sehen. Die ersten Wörter, die ersten Zeilen. Als segelten sie wie Kolumbus in neue Welten, die sie selbst erschuf.

      Schwerer wurde ihr Geist, der Schlaf saugte sie an, aber ihre Gedanken waren im Büro. Frau Schneiderer tat immer etwas bitter, vielleicht war sie doch ganz nett. Sie hatte ihr eine Verordnung gegeben zum Abtippen. »Schreiben Sie das viermal und hängen Sie es an die Türen in diesem Gang und in der Etage unter uns.« Das waren ihre Worte. Dafür hatte Mara den halben Nachmittag gebraucht. Viel zu lang, meinte Frau Schneiderer später. Das war ein Test gewesen. Oder eine Übung? Sie wusste es nicht genau. Die anderen Schreiberinnen waren pünktlich um 17.30 Uhr gegangen, sie hatte länger arbeiten müssen und Frau Schneiderer und Stabsfeldwebel Sauerland waren sogar dort geblieben, als sie selbst um 19 Uhr das Haus verließ.

      Das letzte Bild, das in ihrem Kopf herumspukte, bevor sie einschlief, war ein Schuh. Einsam auf dem Kopfsteinpflaster liegend, wartend wie ein treuer Hund auf das Herrchen. Als sie am nächsten Morgen vom Klingeln des Weckers erwachte, hatte sie fast alles vergessen. Nur den Alarm nicht. Das Heulen fuhr ihr immer in die Knochen. Es war 6.30 Uhr, als ihr Vater aus dem Haus ging. Er sah traurig aus, fand sie. Aber er gab ihr einen Kuss und sagte, er nähme heute Frühstück im Stellwerk. Mara nickte.

      »Ich hatte gestern meinen ersten Tag in der Wehrmachtauskunftstelle!«

      Zunächst antwortete er nicht. Er tauchte sich in bedeutungsvolles Schweigen. »Erzähl mir später davon, Liebes«, mit diesen Worten zog er die Tür zum Hausflur hinter sich zu. Leise trappten seine schweren Schuhe nach unten, damit er bloß die Winklers nicht weckte. Gegen laute Schritte hatten die was.

      »Mache ich, Paps«, sagte sie mehr zu sich selbst und lief zu ihrem Zimmerfenster, den Vorhang zur Seite ziehend. Über den Dächern war es dunkel. Auf der Straße verschwand Vaters Schatten zwischen den Häusern. 6.33 Uhr – hinter ihr im Osten wäre bald das erste Hell des Tages zu sehen. Dann machte sie sich langsam fertig, damit sie pünktlich um acht Uhr in der Dienststelle ankäme.

      Es war kalt, aber Mara hatte sich dick angezogen und für eine schlichte Bluse entschieden. Dazu ein warmes Unterhemd und einen Rock. Darüber trug sie den Mantel ihrer Reichsbahnuniform, der wärmte besonders gut – das musste er ja auch, denn nicht selten stand man im Dienst aus irgendwelchen Gründen bei Wind und Wetter auf dem Bahnsteig. Als sie vom Hohenzollerndamm über die Kreuzung zur Nachodstraße lief, kam ihr aus Richtung des Viktoriaplatzes ein Mann entgegen, der fast mit ihr zusammenstieß. Augen hinter zwei dicken Brillengläsern sahen sie überrascht an. Es war Manfred.

      »Fräulein Prager!«, stieß er hervor. »Ich habe Sie überhaupt nicht gesehen.« Er schien ehrlich entsetzt und es war ihm peinlich, sie übersehen zu haben, aber Mara lachte nur, ohne etwas zu sagen.

      »Haben wir den gleichen Weg?«, fragte sie, obwohl es eine Feststellung war. Manfred hustete leicht und zeigte hinter sich.

      »Ja, der Bus. Ich fahre nur ein paar Stationen vom Bayerischen Platz und laufe den Rest.«

      Gemeinsam liefen sie weiter. »Da kann man ja gleich die ganze Strecke zu Fuß gehen«, stellte sie fest.

      »Kann man wohl«, meinte er. Sie betrachtete von der Seite seine braunen, in der Mitte gescheitelten Haare und die mächtigen Brillengläser und überlegte, ob er wirklich so schlecht sehen konnte.

      »Ich wohne in der Fasanenstraße«, sagte sie. »Bisher musste ich immer zum Bahnhof Zoo laufen und von dort aus nach Zehlendorf-West fahren, wo ich gearbeitet habe. Das ist jetzt bedeutend näher«.

      Für einen Moment trat Schweigen ein.

      »Ich habe Sie gestern gar nicht mehr gesehen«, sagte Manfred interessiert und Mara erzählte ihm von den Ereignissen des Tages.

      »Wie sind denn die anderen so im Büro?«, fragte sie ihn direkt heraus. Gerade passierten sie die Volksschule auf der rechten Seite.

      »Der Chef ist in Ordnung. Er lässt sich selten blicken. Er hat viel mit der Verlegung nach Thüringen zu tun. Er vertritt Kriegsverwaltungsrat Schülke und gleichzeitig Major von Börne. Von Börne ist sehr streng. Er ist schon in Thüringen, aber da er für die Aufklärung von Unstimmigkeiten zuständig ist, vermutet er überall welche und ruft dreimal am Tag bei uns an. Die Akten gestern, die ich rausgetragen habe, die gingen an ihn. Sie waren ihm zu unsauber geführt und wir mussten sie korrigieren.«

      »Nein«, staunte Mara ehrlich. Das schien ihr eine Verschwendung von Ressourcen zu sein. In diesen Zeiten. Manfred nickte nur.

      »Ich muss besser schreiben lernen«, sagte sie offen. Sie überquerten von der Nachodstraße aus die Passauer Straße und erreichten die Hohenstaufenstraße.

      »Die Straße runter«, er wies die gegenüberliegende Bamberger Straße hinab nach Süden, СКАЧАТЬ