Название: Handbuch Medizinrecht
Автор: Thomas Vollmöller
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Medizinrecht
isbn: 9783811492691
isbn:
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Dies ist in der allgemeinen und abstrakten Aussage sicherlich richtig. Problem ist aber, dass die umfassende Kompetenz zur Leistungskonkretisierung gerade auch die Zulassung und den Ausschluss von Leistungen bewirken kann. Die Entscheidungen des G-BA haben bezüglich des Anerkenntniserfordernisses neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und der Eingrenzung vorhandener Methoden auch Rationierungswirkung.[19]
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Die Richtlinienkompetenz des G-BA ist in der Gesetzesentwicklung von Reform zu Reform bis hin zum GKV-Modernisierungsgesetz v. 14.11.2003[20] immer weiter gestärkt worden. Der Versuch, den gemeinsamen Bundesausschuss als Organ der Selbstverwaltung zu schwächen und die Kompetenz stärker der Exekutive zuzuordnen, ist im Gesetzgebungsverfahren des GKV-WSG gescheitert. Nach dem GKV-VStrG wurde die Unabhängigkeit des G-BA gestärkt, gleichzeitig aber der Einfluss der Exekutive, d.h. des Gesundheitsministeriums vergrößert. Dieser Einfluss sollte durch verschiedene weitere Gesetze wie HHVG, TSVG und EIRD zu Lasten des G-BA extendiert werden. Gleichwohl kann weiterhin von einer zentralen korporativen „Superorganisation“ gesprochen werden.[21] Das Mandat des G-BA ist so umfassend und seine konkrete Gestaltungsmacht so groß, dass grundsätzliche Kritik hinsichtlich deren rechtsstaatlicher Legitimation laut wurde.[22] Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat im Dezember 2016 diese Kritik zum Anlass genommen, drei unabhängig voneinander zu erstellende Rechtsgutachten zur Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation des G-BA zum Erlass von Richtlinien und anderen normativen Entscheidungen in Auftrag zu geben.[23] Selbst angesichts der gesetzlichen Verbindlichkeitsweisung für Richtlinien des G-BA in § 91 Abs. 6 SGB V ist diese Kritik nicht verhallt.
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Die Macht des G-BA zur Definition der Teilhaberrechte der gesetzlich Krankenversicherten und der Leistungsrechte und Pflichten der zugelassenen Leistungserbringer betreffen unmittelbar die Grundrechte nach Art. 1 und 2 GG sowie das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Nach kritischen Auffassungen ist der G-BA weder demokratisch legitimiert noch auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage bzw. Ermächtigung handelnd. Beschlüsse und Richtlinien greifen durch Leistungseinschränkungen gegenüber den Versicherten, durch erhöhte Anforderung an Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung und durch Eingriffe in die Zulassungsfreiheit teilweise massiv in geschützte Grundrechtspositionen dieser Adressaten ein.[24] Die Entscheidungen bedürften der verfassungsrechtlichen Legitimation. Ob diese gegeben ist, mag zweifelhaft sein und steht im Zentrum rechtlicher Auseinandersetzung. Hintergrund waren die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.2015 (1 BvR 2056/12)[25] und 6.10.2016 (1 BvR 292/16.)[26] enthaltenen Hinweise, die Anlass zu einer rechtswissenschaftlichen Analyse der verschiedenen gesetzlichen Grundlagen zu den Regelungsaufträgen des G-BA gegeben haben.[27] Das BVerfG war im Nikolaus-Beschluss[28] noch den Fragen ausgewichen.[29]
b) Verfassungsrechtliche Anforderungen
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Folgende verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem Normsetzungsinstrumentarium werden erhoben:
– | Den Richtlinien des G-BA stehe nicht ein Numerus clausus der Normsetzungsformen gegenüber. Normen der Sozialversicherung seien formoffen möglich, es bestehe kein Typenzwang traditioneller Normsetzungsformen. Axer sieht eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung zu Normverträgen oder Richtlinien.[30] |
– | Kritik wird wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip geäußert.[31] |
– | Demokratische Legitimation verlangt eine personelle und materielle Legitimation. Axer hält diese personelle Legitimation gegenüber Versicherten und nichtärztlichen Leistungserbringern für defizitär.[32] Er sieht aber die Voraussetzungen aus Art. 87 Abs. 2 GG als gegeben an. Nach Art. 87 Abs. 2 GG sei die Normsetzung durch die Sozialversicherungsträger mit dem Demokratiegebot vereinbar.[33] |
– | Defizite werden auch wegen des Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot, d.h. den Parlamentsvorbehalt der hinreichenden Bestimmtheit von Inhalt, Zweck und Ausmaß untergesetzlicher Normen nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG benannt.[34] Demgegenüber sieht Haase[35] keine verfassungsrechtlichen, insbesondere auch keine Defizite hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots von Art. 80 Abs. 1 GG zum Gestaltungsspielraum des untergesetzlichen Normgebers.[36] |
c) Verfassungsrechtliche Grenzen im Einzelfall
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Durch die Entscheidungen des G-BA werden unmittelbar Rechte der Versicherten, aber auch Berufsausübungsrechte der Leistungserbringer gestaltet. Rechte werden bspw. durch Aufnahme bestimmter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eröffnet oder (durch Ausschlüsse) versagt. Behandlungspflichten der Leistungserbringer werden normiert. Die Grundrechtsbetroffenheit der Versicherten und Leistungserbringer ist evident. Grundsätzlich haben Versicherte keinen unmittelbaren Anspruch auf Krankheitsbehandlung aus der Verfassungsnorm des Art. 2 Abs. 2 GG, dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.[37] Andererseits entfällt der Schutzanspruch des Versicherten nicht allein durch Einschränkungen des Leistungserbringungsrechts, nur weil er grundsätzlich vorrangig ist und den Anspruchsrahmen absteckt.
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Die Grenzen hat das BVerfG jüngst gegenüber den Leistungserbringern aus dem Schutzanspruch des Grundrechts der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, entwickelt.[38] Unmittelbar zum Leistungsausschluss gegenüber Versicherten hat das Gericht[39] Grenzen aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 2 GG, dem Schutzauftrag zum Schutz von Leben und Gesundheit, entwickelt. Das BVerfG prüft also die Grenzen statusbeeinflussender Normen und die Grenzen von Leistungsausschlüssen im Einzelfall. Empfiehlt bspw. der G-BA objektiv willkürlich eine neue Behandlungsmethode nicht für die vertragsärztliche Versorgung, lehnt die Krankenkasse deshalb eine Kostenübernahme hierfür ab und beschafft sich ein Versicherter aufgrund dessen die für ihn notwendige Leistung selbst, kann er wegen Systemversagens Kostenfreistellung verlangen.[40]
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Das BSG hatte in verschiedenen Urteilen vom 16.9.1997[41] mit Hinweis auf den Vorrang des Leistungserbringungsrechts die Übernahme von Kosten nicht oder noch nicht anerkannter Krankheitsbehandlungen abgelehnt. Das BVerfG hat im sog. Nikolaus-Beschluss vom 6.12.2005[42] demgegenüber festgestellt, dass unter bestimmten Voraussetzungen bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich endenden Erkrankungen und bei fehlender therapeutischer Alternative nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als Leistung in Anspruch genommen werden könnten und von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen seien.[43] Das BVerfG hat mit diesem Urteil die verfassungsrechtlichen Grenzen der Beschränkung des Leistungsanspruchs herausgearbeitet. Das Urteil wirkt über den Einzelfall hinaus und umfasst das gesamte Leistungsrecht.[44] Die Versicherten haben also einen unverbrüchlichen Kernbestand an Leistungsansprüchen, die sich aus ihrem Status als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung unmittelbar verwirklichen können, wenn die Mechanismen der Leistungsbegrenzung zu restriktiv wirken. Das BVerfG leitet das Recht des Versicherten aus Art. 2 Abs. 1 GG – der allgemeinen Handlungsfreiheit als gesetzlich Krankenversicherter – und aus dem СКАЧАТЬ