Название: Handbuch Medizinrecht
Автор: Thomas Vollmöller
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Medizinrecht
isbn: 9783811492691
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Nach wie vor strittig ist das Rechtsverhältnis zwischen gesetzlich Krankenversicherten und Leistungserbringern. Während der BGH im Behandlungsvertrag ein Dienstverhältnis nach § 611 BGB ohne Honorierungspflicht des Dienstberechtigten sieht,[6] sieht das BSG lediglich ein gesetzliches Schuld-(und Haftungs-)Verhältnis.[7] Noch weiter gehend – aber in der Ableitung konsequent – sehen gewichtige Stimmen in der Literatur[8] die Vertragsärzte und Krankenhausärzte als Beliehene, die hoheitlich im Rahmen des Leistungserbringungsrechts den Anspruch des Versicherten nach Art, Umfang und Zeitpunkt konkretisieren.
2. Leistungsverpflichtung
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Aus dem Sachleistungsgrundsatz, wonach die Krankenkassen den Versicherten Leistungen zur Verfügung stellen, folgt, dass die von den Krankenkassen zur Sicherstellung herangezogenen Leistungserbringer verpflichtet sind, die Versicherten zu behandeln. Diese Pflicht besteht, wenn sie zur Auffassung kommen, dass Behandlungs- oder Leistungsbedürftigkeit besteht. Dies folgt aus § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V für die Krankenhäuser. Eine derartige Pflicht besteht gleichermaßen im Rahmen des Sachleistungssystems auch für die anderen Leistungserbringer. Ob letztendlich Behandlungsbedarf bestand, spiegelt sich in den Auswirkungen allein in der Behandlung des Honorierungsrisikos zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer wider.
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Der Versicherte schließt im Rahmen des Sachleistungsrechtes keinen die Honorierung umfassenden Behandlungsvertrag. Die Honorierung wird durch die Krankenkasse gegenüber den Leistungserbringern sichergestellt. In Einzelfällen ist das Leistungsbezugsrecht von der vorherigen Genehmigung der Krankenkasse abhängig gemacht.[9]
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Zur Sicherstellung und zur Gewährleistung eines Systems von Leistungen, die die Versicherten abrufen können, schließen die Krankenkassen nach § 2 Abs. 2 S. 3 SGB V Verträge mit den Leistungserbringern ab. In den Verträgen über die ambulante Versorgung nach §§ 27, 28, 72 SGB V, die stationäre Krankenhausversorgung nach §§ 39, 109 f. SGB V, die belegärztliche Versorgung nach § 121 SGB V, die Erbringung von Heil- und Hilfsmitteln nach §§ 124 ff. SGB V sowie in Verträgen über die Rehabilitation und ergänzenden Leistungen nach unterstützenden Leistungen nach §§ 40, 111 SGB V verknüpfen sich Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht zu einer unauflöslichen Einheit.[10] Die Verträge nach § 2 Abs. 2 S. 3 SGB V haben die Vergütung der Leistungserbringung zu regeln. Dies folgt für den Krankenhausbereich aus dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz und der Bundespflegesatzverordnung. Die Regelung der Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen erfolgt nach den Grundsätzen der §§ 82 und 83 SGB V durch Gesamtverträge nach § 85 SGB V. Teil dieser Gesamtverträge sind der Bundesmantelvertrag und einheitliche Bewertungsmaßstab nach § 87 SGB V.
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Sachleistungen werden in der Kranken- und Krankenhausbehandlung nach §§ 27, 39 SGB V grundsätzlich nicht durch Einrichtungen der Krankenkassen selbst erbracht, sondern durch Leistungserbringer im Auftrag der Krankenkassen zur Verfügung gestellt. Es gilt der Grundsatz der Fremderbringung. Eigeneinrichtungen der Krankenkassen, die vor 1989 bestanden hatten, dürfen gem. § 140 SGB V weiter betrieben werden. Rehabilitationskliniken können durch die Kostenträger betrieben werden. Der Kreis der Leistungserbringer ist durch § 11 Abs. 6 SGB V auch auf nicht zugelassene Leistungserbringer z.B. Privatkliniken ausgedehnt worden, die im Auftrag der Krankenkassen unmittelbar behandeln.
3. Kein Rückgriff
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Auch wenn die Krankenkasse gegenüber dem Versicherten Übernahme der Behandlungskosten bestandskräftig verweigert, hat dieser gegenüber den Leistungserbringern nicht für den Honorarausfall aufzukommen.[11]
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Selbst eine für den Fall der Verweigerung der Kosten durch die Krankenkasse in den Krankenhaus- oder in den Behandlungsvertrag aufgenommene Zahlungsverpflichtung begründet keine Leistungspflicht des Versicherten gegenüber dem Leistungserbringer. Sie ist unwirksam.[12] Die Unwirksamkeit einer Zahlungsverpflichtung für im Sachleistungssystem in Anspruch genommene Leistungen beruht nicht auf § 134 BGB, da kein Verbotsgesetz betroffen ist. Die Unwirksamkeit folgt auch nicht aus den §§ 305 f. BGB, sondern wie Knorr[13] zu Recht herausarbeitet, aus der sozialrechtlichen Nichtigkeitsklausel des § 32 SGB I. Nach dieser Norm sind privatrechtliche Vereinbarungen zum Nachteil des Sozialversicherungsberechtigten nichtig.
7. Kapitel Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung › C. Leistungsarten › II. Die Kostenerstattung
1. Wahlrecht: Kostenerstattung, § 13 Abs. 2 SGB V
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Gegenüber der Sachleistung lässt § 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 SGB V die Kostenerstattung nur ausnahmsweise zu. Sie bedarf ausdrücklicher gesetzlicher Normierung durch das SGB V oder SGB IX.
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Nach wechselvoller Gesetzgebungsgeschichte bestimmt § 13 Abs. 2 SGB V heute, dass die Versicherten ausnahmsweise Kostenerstattung wählen können.[14] Eine Einschränkung der Wahl auf die ärztliche Versorgung, die zahnärztliche Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist nach § 13 Abs. 2 S. 4 SGB V möglich. Die Leistungserbringer haben aber die Versicherten darüber zu informieren, dass die Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von ihnen selbst zu tragen sind. Die Versicherten haben dies schriftlich zu bestätigen.
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Das System lässt also einen Wechsel des Anspruchs auf unmittelbare, vertraglich zu vereinbarende Inanspruchnahme von Leistungen zu. Der Patient schließt einen Behandlungsvertrag mit dem Leistungserbringer, schuldet also die Gegenleistung selber. Er hat vorzufinanzieren. Die Ausnahme des Kostenerstattungsprinzips gegenüber dem Sachleistungsprinzip gibt eine gegenüber der unmittelbaren Inanspruchnahme für die Versicherten offensichtlich lästige Alternative vor, die praktisch kaum in Anspruch genommen wurde und wird.[15] Hieran dürfte sich auch durch die geringfügigen Änderungen durch das GKV-WSG nichts ändern.
2. Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V – Systemversagen
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Die Kostenerstattung ist gesetzlich ausnahmsweise auch für den Fall des sog. Systemversagens[16] vorgesehen. § 13 Abs. 3 SGB V regelt, dass der Versicherte dann Kostenerstattung erhält, wenn das Sicherstellungssystem dem Patienten die gebotene unaufschiebbare[17] Leistung ohne sachlichen Grund nicht oder nicht rechtzeitig trotz vorheriger Antragstellung zur Verfügung stellen konnte (oder wollte).[18] Die Anträge können durch die Versicherten selbst oder unmittelbar ohne Wahrung der Schriftform durch die Leistungserbringer gestellt werden (s. § 2 Abs. 1a S. 2 SGB V). Es müssen Behandlungsalternativen fehlen.[19] Palliativmedizinische Behandlungsmöglichkeiten stellen keine Alternative zu kurativen Behandlungen dar.[20] Die Fälle des Systemversagens sind nunmehr in § 2 Abs. 1a SGB V gesetzlich aufgegriffen.
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