Название: Der Aktionskreis Halle
Автор: Sebastian Holzbrecher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061265
isbn:
2.1Konfliktreiche Rahmenbedingungen
Im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg lassen sich in den Jahren 1969/70 im Wesentlichen drei Aspekt benennen, die auf innerkirchliche Reformambitionen Auswirkungen hatten: innerkirchliche Bestrebungen zur Bischofswahl, kirchenpolitische Emanzipationsbemühungen der DDR sowie persönliche Differenzen einzelner Bischöfe in der DDR.
Die innerkirchlich-theologische Situation war auf und nach dem Konzil unter anderem durch die Frage nach einem möglichen Anteil der Priester und Laien an der Bischofswahl geprägt.197 Durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte hindurch gab es unterschiedliche Formen zur Besetzung eines vakanten Bischofssitzes.198 Eine Beteiligung des Presbyteriums oder der Laien bei der Auswahl und Benennung eines Bischofs wird in der katholischen Kirche spätestens seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr praktiziert.199 Im 20. Jahrhundert wurde das freie päpstliche Ernennungsrecht zur gemeinrechtlichen Regel erhoben und die Möglichkeit zur Bischofswahl war fortan nur noch eine Konzession an zumeist deutschsprachige Konkordatspartner des Heiligen Stuhls.200 Von diesen Regelungen ist das Prozedere für die Ernennung eines Auxiliarbischofs zu unterscheiden, da dieser entsprechend einer einzureichenden Vorschlagsliste vom Vatikan ernannt wird.201 Das II. Vatikanum ließ keinen Zweifel daran, dass es am geltenden Modus zur Bestellung der Bischöfe festhalten und staatliche Einflussmöglichkeiten zurückgedrängt wissen wollte.202 Nach 1965 kam es weltweit zu Forderungen von katholischen Priestern und Laien, ihre Ortsbischöfe selbst wählen bzw. ein Mitspracherecht bei der Kandidatenaufstellung wahrnehmen zu dürfen.203 Die Nachfolge der Erzbischöfe in New York, Paris und Köln204, um nur einige Beispiele zu nennen, sollte dementsprechend geregelt werden.205 Aufgrund der exzellenten Verbindungen der Magdeburger Priester und Laien nach Westdeutschland - hier ist besonders der Freckenhorster Kreis206 zu erwähnen207 - waren diese Entwicklungen in der DDR präsent.208 Nicht zuletzt die theologische Diskussion dieser Frage hatte diese Ansprüche auch auf die Agenda einzelner ostdeutscher Priester und Laien gesetzt. Dabei waren es gerade keine theologischen Außenseiter, die auf die mangelnde Beteiligung der Ortskirche bei der Bestellung eines Bischofs hinwiesen und für geeignete Formen der Partizipation eintraten.209 In Ostdeutschland hatte unter anderem die Meißner Diözesansynode eine entsprechende Beteiligungsmöglichkeit der Ortskirche eingefordert.210
Die kirchenpolitische Situation in der DDR in den späten 1960er Jahren war wie im gesamten Ostblock äußerst angespannt. Der Grund hierfür lag in einer diffizilen Gemengelage unterschiedlicher außen- und innenpolitischer Interessen der Staaten unter sowjetischer Hegemonie. Umrahmt wurden diese Entwicklungen von der „Vatikanischen Ostpolitik“211 und der Deutschlandpolitik der linksliberalen Bonner Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt.212 Der SED-Staat drängte im Hinblick auf das zwanzigjährige Jubiläum der Staatsgründung auf eine Anerkennung seines völkerrechtlichen Status als zweiter deutscher Staat und übte dafür auch Druck auf die Kirchen aus. Während sich die evangelischen Kirchen in der DDR bereits 1965 von der bundesdeutschen EKD getrennt hatten, galt dies für die katholische Kirche als inopportun. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die katholischen Bischöfe der mitteldeutschen Bistümer alles darangesetzt, die durch die Interzonen- und spätere Staatsgrenze herbeigeführte politische Teilung pastoral abzumildern und die kirchliche Verbindung nicht abreißen zu lassen. Dies zeigte sich besonders deutlich in der Personalpolitik. Friedrich Maria Rintelen, Priester und Generalvikar der Erzdiözese Paderborn, wurde am 12. Dezember 1951 durch Papst Pius XII. zum Titularbischof von Chusira ernannt und am 24. Januar 1952 zum Paderborner Auxiliarbischof geweiht. Kardinal Jaeger entsandte ihn am 1. Januar 1952 als Erzbischöflichen Kommissar nach Magdeburg, wo er den östlichen Diözesanteil im Auftrag von Kardinal Jaeger weitgehend selbstständig leitete.213 Auch in Erfurt, Meiningen und Schwerin waren bischöfliche Kommissare im Amt, die mit delegierten Vollmachten im Auftrag ihrer Ortsordinarien agierten und so die jurisdiktionelle Verbindung über Staatsgrenzen hinweg aufrechterhielten.214 Diese Regelungen waren nötig geworden, da der SED-Staat sukzessive die Kontakte zwischen den ost- und westdeutschen Diözesanteilen einzuschränken versuchte und die westdeutschen Bischöfe schließlich ab 1966 mit einem totalen Einreiseverbot in die DDR belegte.215 Das staatliche Ziel war die Loslösung der katholischen Kirche in der DDR von den bundesdeutschen Diözesen, analog zur Entwicklung in den evangelischen Kirchen.216 Die Kirche musste deshalb fürchten, dass sich der SED-Staat infolgedessen in ihre inneren Angelegenheiten einmischen könnte. Bereits 1962 hatte das Staatssekretariat für Kirchenfragen in der DDR signalisiert, dass es dem Souveränitätsanspruch des SED-Staates zuwiderlaufe, wenn er bei Fragen die Katholiken in der DDR betreffend, mit westdeutschen Bischöfen in Kontakt treten müsse.217 Diesen Entwicklungen folgend hatte sich der Berliner Erzbischof und Vorsitzende der Berliner Ordinarienkonferenz Alfred Kardinal Bengsch 1966 in Rom für eine ernsthafte Erwägung der „Sicherung der kirchlichen Administration und Jurisdiktion im Gebiet der DDR“218 eingesetzt. Um die Jurisdiktion in diesen Gebieten auch weiterhin gewährleisten zu können, schlug Bengsch in Rom vor, im Zusammenhang mit der Ernennung von Apostolischen Administratoren für Westpolen auch in Ostdeutschland derartige Regelungen zu treffen.219 In Vorbereitung auf den zwanzigsten Jahrestag der Gründung der DDR 1969 forcierte der SED-Staat im Rahmen seiner gesteigerten Souveränitätsbestrebungen eine Loslösung und Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR.220 Höhepunkt dieser Strategie war die am 14. Mai 1969 von Staatssekretär Hans Seigewasser abgegebene Erklärung, dass im Todesfall eines Weihbischofs der von Westdeutschland ernannte Nachfolger von der DDR-Regierung nicht mehr anerkannt werden würde.221 Der Paderborner Erzbischof hatte bereits 1967 Vorkehrungen getroffen, die im Falle einer Paderborner Sedisvakanz die Stabilität und Kontinuität in Magdeburg sichern sollten. Das Amt des Generalvikars würde zwar wie kirchenrechtlich vorgeschrieben mit Erledigung des Paderborner Bischofsstuhls erlöschen, jedoch nicht Rintelens Amt als Erzbischöflicher Kommissar. Dazu hatte ihm Erzbischof Jaeger alle Vollmachten übertragen, die ein Bischof delegieren kann.222 Schwieriger zu beantworten war hingegen die Frage, wie im Falle eines alters- oder gesundheitsbedingten Rücktritts der Kommissare in der DDR zu verfahren sei. Dem kirchenrechtlich vorgesehenen Ablauf folgend, hätte die Ernennung eines Nachfolgers das Eingreifen des zuständigen westdeutschen Bischofs erfordert. Aufgrund von Sondierungsgesprächen mit staatlichen Repräsentanten war Kardinal Bengsch zu der Auffassung gelangt, dass, sollten die Nachfolger zu westdeutschen Weihbischöfen ernannt und anschließend in die DDR geschickt werden, der SED-Staat sie als westliche Beauftragte ansehen und möglicherweise in ihrer Amtsführung behindern würde.223 Gerade im Vorfeld des zwanzigsten Jahrestages der Staatsgründung mussten die ostdeutschen Bischöfe daher besonders darum bemüht sein, „dass den staatlichen Behörden keine Möglichkeit gegeben wird, sich in die kirchliche Verwaltung unter dem Vorwand ihrer Souveränitätspolitik einzuschalten.“224
Die ohnehin konfliktreichen innerkirchlichen und politischen Rahmenbedingungen spitzten sich schließlich drittens durch persönliche Faktoren zu. Weihbischof Rintelen hatte gegenüber der Berliner Ordinarienkonferenz und gegenüber Kardinal Jaeger mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er „mit Erreichen des 70. Lebensjahres die Leitung des Kommissariates niederlegen“225 würde. Dies entsprach den durch das Konzil erneuerten Altersgrenzen zur Emeritierung von Bischöfen.226 Da Friedrich Maria Rintelen 1899 geboren wurde, wurde diese Frage spätestens im Dezember 1969 akut. Darüber hinaus hat es auf verschiedenen kirchlichen Ebenen Kritik an Rintelens Führungsstil im Kommissariat Magdeburg gegeben. Dies dürfte etwaige Nachfolgeplanungen zusätzlich motiviert haben. Klagen über den Führungsstil des Magdeburger Weihbischofs breiteten sich nicht nur innerhalb des Erzbischöflichen Kommissariates aus. Sie gelangten auch nach Paderborn und Berlin. Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte sich in bestimmten Magdeburger Kreisen ein „Unbehagen gegen den Weihbischof“227 entwickelt. Ob es sich hierbei nur um eine Minorität im Klerus gehandelt hat, lässt sich nicht zuverlässig eruieren. 1965 berichtete der Hallenser Studentenpfarrer und Leiter des Sprachenkurses Adolf Brockhoff dem Paderborner Erzbischof von der Unzufriedenheit verschiedener Gruppen und Kreise mit der СКАЧАТЬ