Der Aktionskreis Halle. Sebastian Holzbrecher
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СКАЧАТЬ Briefsendungen um Möglichkeiten der innerkirchlichen Meinungsbildung.146 Die Korrespondenz-Gruppe, der Name ergab sich aus der angestrebten Aufgabe, war keine geschlossene Gemeinschaft und besaß aufgrund der Vielfalt der Fachrichtungen ihrer Mitglieder ein durchaus heterogenes Meinungsbild.147 Allen gemeinsam war das Bemühen, angesichts einer stagnierenden Situation nach dem Aufbruch des Konzils und der zunehmenden „Ratlosigkeit und Resignation“148 über das Verhältnis zum sozialistischen Staat, Veränderungen in der kirchlichen Situationsbewertung in Gang zu setzen.

      Geprägt vom Modell eines innerkirchlichen Pluralismus und der konziliaren Erneuerung verpflichtet, verstand sich die Gruppe als „eine Gemeinde neuen Typs […die] unmittelbar als Sauerteig eines neuen Kirchenbewusstseins wirken“149 wollte. Ihre Intention bestand vor allem darin, „eine Gemeinschaft von kritisch Gesinnten zu stiften, die im offenen Dialog miteinander umgehen. Gemeinsam die Angst vor Repressalien des DDR Staates zu überwinden. Kritische Texte, vor allem zu Fragen des innerkirchlichen Dialoges zu verbreiten und zur Diskussion zu stellen.“150 Doch nicht nur das Versenden von Briefen sollte das Wirken der Korrespondenz bestimmen. Mit der „theoretischen Arbeit müsste in stärkerem Maße eine praktische Einflussnahme verbunden werden“151, zu der es aber letztlich nicht kam. Ihr Credo - „Brecht euren Acker von Grund auf um und sät nicht auf Dornen“ (Jeremias 4,3) - das alle Briefsendungen kennzeichnete, stand paradigmatisch für ihren Anspruch: Kritik zu üben und Anfrage an das kirchliche Selbstverständnis in einem sozialistischen Staat zu sein, um einen Bewusstseinswandel im offiziellen und privaten Verhältnis von Staat und Kirche zu implementieren. Die Korrespondenz kann daher als eine der ersten Gruppierungen im DDR-Katholizismus gelten, die sich für Formen innerkirchlicher Demokratisierung und für die Anerkennung des Sozialismus einsetzte.152

      Durch mehr als zehn offene Briefe versuchten die zum Teil noch aktiven Mitglieder der Thomas-Morus-Studentengemeinde „ihre Meinung zu verschiedenen Fragen des kirchlichen Lebens, insbesondere zu Problemen des Christen und seiner Kirchen in der DDR, einer größeren Öffentlichkeit vorzutragen.“153 Ausdrücklich wurde in den Briefen um Rückantwort gebeten, um die „Korrespondenz“ zu einer Gesprächs- und Informationsplattform zu entwickeln.154 Dieser Versuch scheiterte an der zu geringen Zahl von schriftlichen Rückmeldungen auf die mit einer Auflage von bis zu 200 Exemplaren an einen weiten Kreis von Empfängern in Ost- und Westdeutschland verschickten Briefsendungen.155 Das mangelnde oder zögerliche Interesse dürfte sich aus verschiedenen Quellen gespeist haben. Dem vielfach konstatierbaren Informationsbedürfnis vieler Katholiken dürften das freimütige Auftreten der Gruppe mit Nennung von Namen und Adressen der jeweiligen Autoren sowie die Intention der Aussagen und die teils radikal formulierten Forderungen entgegengestanden haben. Der latente Verdacht kirchlicher Stellen, dass die „Korrespondenz“ mit staatlichen Stellen kooperiere, und die kirchenamtliche Kritik an den Aussagen des Kreises dürften zur mangelnden Rezeption nicht unwesentlich beigetragen haben.156 Auslöser für das Ende der „Korrespondenz“ war nach der Niederschlagung des Prager Frühlings ein Zerwürfnis über die Opportunität eines Beitrages zur Volksabstimmung über die DDR-Verfassung und das Bekenntnis eines Mitgliedes zu seiner Stasi-Mitarbeit.157 Da die Auffassungen der Korrespondenz-Gruppe der offiziellen Kirchenpolitik diametral widersprachen, zeichneten sich ihre Beiträge durch einen „den Verhältnissen entsprechend, relativ negativ-kritisch[en]“158 Ton aus, verfolgten aber nach eigenem Bekunden im Grunde eine „positive Absicht.“159 Trotz verschiedener Beziehungen zur „Berliner Konferenz“ und den Herausgebern der Zeitschrift „Begegnung“ war die „Korrespondenz“ insgesamt um Distanz zu diesen Organisationen bemüht.160 Die Frustration über die ausbleibende Resonanz dürfte die Auflösungserscheinungen noch begünstigt haben. So stellten die Herausgeber 1968, nach nur zweijähriger Tätigkeit, das Erscheinen auf eigenen Entschluss hin ein. Das Potential der Mitglieder kanalisierte sich teilweise im späteren AKH.

      1.2.3„Erfurter Gesprächskreis“

      Eine kommunikative Basis für einen Informationsaustausch zwischen Bischöfen, Priestern und Laien in der DDR stellte der 1968 durch den Görlitzer Priester Dr. Paul Schimke initiierte innerkirchliche Dialogkreis dar, der später die Bezeichnung „Erfurter Gesprächskreis“ (EGK) erhielt.161 Unter Zustimmung und Beteiligung der Bischöfe Hugo Aufderbeck162 und Gerhard Schaffran163 kam es im April 1968 zum ersten von insgesamt drei Treffen des im DDR-Katholizismus einzigartigen Gremiums. Ein zweites Treffen fand im Oktober 1968 auf Einladung von Bischof Aufderbeck statt. Im Februar 1969 schaltete sich Kardinal Bengsch in den Diskurs ein und nahm an der letzten Sitzung des Kreises am 15. Februar 1969 teil.164 Unter den 21 Teilnehmern der ersten Sitzung befanden sich unter anderem Dr. Wolfgang Trilling, drei Erfurter Professoren165 und auch Adolf Brockhoff und Winfried Schülke von der „Korrespondenz“ sowie Dr. Peter Willms166 aus Halle; die drei Letztgenannten sollten später dem AKH angehören. Die in diesem Kreis debattierten Themen deuten auf eine offene Gesprächsatmosphäre hin. Während sich Wolfgang Trilling dafür einsetzte, dass der Christ in der DDR ein kritisches Ja zum Sozialismus sagen könne und müsse und damit an Positionen der Korrespondenz oder der Paulus-Gesellschaft anknüpfte, wurde Adolf Brockhoff ganz seiner Rolle als kritischer Querdenker gerecht. Sein Referat mit dem Thema „Die religiöse Substanz in der DDR“ gliederte er anhand dreier markanter Thesen: „1. Die Kirche in der DDR ist geschichtslos; 2. Die Kirche in der DDR ist tatenlos; 3. Die Kirche in der DDR ist einfallslos.“167 Ein für Kardinal Bengsch verfasster Bericht dieser Sitzung hält nicht nur die Breite der kirchenpolitisch zum Teil höchst brisanten Diskussionsthemen - Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR, Auseinandersetzung mit dem Sozialismus, Einführung einer Synodalverfassung in der Kirche, Verzicht auf Mercedes-Dienstwagen der Bischöfe - kommentierend fest. Er resümiert abschließend die Bedeutung dieser Zusammenkunft und die Rollen zweier unliebsamer Protagonisten: „Es ist sicher gut, dass der Kreis zusammengekommen ist, um sich mal zu artikulieren. Es ist sicher besonders bei den Laien erkennbar geworden, dass die Situation der Kirche nicht in einer Richtung simplifiziert werden kann, wie es von Vertretern wie Pfarrer Brockhoff und Dr. Trilling immer wieder geschieht…“168 Der Bericht notiert zudem eine für die weitere Entwicklung nicht unbedeutende Einschätzung hinsichtlich der progressiv orientierten Priester. Sie seien der Überzeugung, „dass nach dem Beispiel von Westberlin und Westdeutschland eine kleine Gruppe genügt, um das Bewusstsein zu ändern, wenn sie sich nur genügend ‚akzentuiert und artikuliert‘. Was dort im politischen Raum möglich ist, müsste auch für den Raum der Kirche in der DDR gelten, und in der Erfüllung dieses Zieles sei dann auch die geschichtliche Sendung der Kirche in der DDR erkennbar…“169 Der Erfurter Gesprächskreis tagte nochmals im Oktober 1968 und im Februar 1969. Die Themen der beiden ersten Treffen hatten offensichtlich eine gewisse Toleranzgrenze erreicht, wenn nicht überschritten.170 Denn an der dritten Sitzung, die auch die letzte sein sollte, nahm Kardinal Bengsch persönlich teil.171 Gegenüber einem stark erodierten Teilnehmerkreis von nur noch vier Laien erteilte der Kardinal den bisher geäußerten Reformvorschlägen eine klare, vor allem kirchenpolitisch begründete Absage.172 Im Fokus der nunmehr bischöflichen Kritik befanden sich, wie der nachträglich von Bengsch autorisierte Bericht ausweist173, die kritischen Anfragen von Adolf Brockhoff, Wolfgang Trilling und der Korrespondenz hinsichtlich einer stärkeren Beteiligung und Mitverantwortung von Priestern und Laien an Entscheidungen der Berliner Ordinarienkonferenz.174 Zwar hatte die Berliner Ordinarienkonferenz (BOK) auf Anregung des Erfurter Gesprächskreises ein beratendes Priester- und Laiengremium für wenige Jahre berufen.175 Es ist allerdings Forschungskonsens, dass die kurzzeitige Existenz dieser Gremien einen „gewollten Leerlauf seitens der BOK“176 darstellte.177 Offensichtlich war, wie sowohl das Schicksal des Erfurter Gesprächskreises als auch das der beiden bischöflichen Beratungsgremien ausweist, die Halbwertzeit innerkirchlicher Diskussionsforen unter Beteiligung von Bischöfen und Laien äußerst gering. Ob dies mit den debattierten Themen oder der bischöflicherseits präsumierten Gefährdung der innerkirchlichen Einheit durch offenere Kommunikationsformen in Zusammenhang steht, ist bislang noch СКАЧАТЬ