Название: Vom Lieben und vom Sterben
Автор: Bertram Dickerhof
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783429065263
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Diese Lücke schließt 1 Kor 15,3–8. Dieser Text verknüpft die Auferstehungsbekenntnisse mit Erscheinungen des Auferstandenen, die damit zur Quelle des Wissens von der Auferweckung Jesu werden. 1 Kor 15,3–8 ist eine gebündelte Zusammenfassung von Traditionen und Inhalten der Auferweckungspredigt und reicht weit in die mündliche Überlieferung zurück: Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der Missgeburt.
Paulus sieht seine eigene Bekehrung als Erscheinung des Auferstandenen an. „Ohne die Erscheinungen hätte es keine Zeugen und keine Zeugnisse für die Auferstehung des Herrn gegeben. Sie sind unersetzlich“ (Scheffczyk). Wie diese Erscheinungen zu verstehen sind, wird uns später beschäftigen.
Zwanzig und mehr Jahre später, also ab etwa 70 n. Chr., sind die Ostererzählungen der Evangelien verschriftlicht worden. Diese sind keine historischen Berichte, sondern „Geschichten um Geschichte“, d. h., sie enthalten Historisches, sind aber vor allem Verkündigung. Diese muss die Adressaten, Menschen des letzten Viertels des ersten Jahrhunderts, Juden- und Heidenchristen in unterschiedlichen Gemeinden an verschiedenen Orten der Welt, mit jeweils ihrem Vorwissen, ihrem Denkhorizont und ihren Fragen dort abholen, wo sie stehen. Auch das Verständnis der Verkündiger der Osterbotschaft hat sich entwickelt, vertieft und akzentuiert. So lassen sich ansatzweise die Unterschiede in den Osterevangelien verstehen. Gemessen an der fundamentalen Bedeutung der Osterbotschaft, sind die Texte der Osterevangelien spärlich; so spärlich, dass sie sich hier im Überblick präsentieren lassen:
• Das älteste Osterevangelium ist Mk 16,1–8, das um etwa 70 n. Chr. entstanden sein dürfte. Es schildert lediglich, wie ein weiß gekleideter junger Mann den Frauen, die auch bei Kreuzigung und Grablegung Jesu zugegen waren, im leeren Grab die Auferstehung Jesu mitteilt und ihnen den Auftrag gibt, seine Jünger nach Galiläa zu schicken, wo sie den Auferstandenen sehen werden. Die von Schrecken und Entsetzen gepackten Frauen fliehen vom Grab und sagen niemandem etwas. Dieses Ende des Evangeliums wurde als so unbefriedigend empfunden, dass es nach 100 n. Chr. durch eine Zusammenfassung aus den beiden anderen synoptischen Evangelien ergänzt wurde.
• Lk 24,1–53 ist in den frühen 80er Jahren geschrieben worden. Lukas benutzt Markus als Vorlage, aber bei ihm führen die Frauen den Auftrag der beiden Engel aus. Allerdings werden die Jünger nicht nach Galiläa geschickt, vielmehr sollen sie in Jerusalem bleiben. Darüber hinaus erzählt Lukas die Geschichte von den Emmausjüngern, in der sich die Gegenwart des Auferstandenen durch Schrift und Brotbrechen im Aufgehen der Augen und Brennen der Herzen vermittelt. Außerdem setzt Lukas sich besonders mit der Art der Leiblichkeit des Auferstandenen auseinander.
• Etwas später als Lukas ist Mt 28,1–20 entstanden, etwa 80–90 n. Chr. Auch Matthäus verarbeitet die Markusvorlage: Bei ihm eilen die Frauen nicht nur voll Furcht, sondern auch in großer Freude vom Grab davon, um den Jüngern die Auferstehung Jesu mitzuteilen und sie gemäß dem Auftrag des Engels nach Galiläa zu schicken. Auf dem Weg kommt Jesus selbst ihnen entgegen, grüßt sie und bestätigt den Auftrag seinerseits. Diesem am meisten jüdisch geprägten Evangelium liegt ferner die Universalität der Sendung der Jünger zu allen Völkern am Herzen und die Zusicherung des Auferstandenen, bis zum Ende der Welt bei ihnen zu bleiben. Ein weiteres Thema ist die Entstehung des Gerüchts, die Jünger hätten den Leichnam Jesu gestohlen, um dann angesichts des leeren Grabes seine Auferstehung zu behaupten.
• Eine eigene, von den Synoptikern unabhängige Tradition liegt im gegen Ende des 1. Jahrhunderts geschriebenen Kapitel 20 des Johannesevangeliums vor. Maria aus Magdala, die in allen Evangelien beim Kreuz Jesu steht, entdeckt das leere Grab und holt Petrus und den „anderen Jünger“. Als sie dann schließlich selbst ins Grab hineingeht, erscheint ihr Jesus, den sie zunächst nicht erkennt (Joh 20,11–18). Am Abend erscheint der Auferstandene den Jüngern, die sich aus Furcht vor den Juden eingeschlossen hatten. Später wurde dem Johannesevangelium noch ein weiteres Kapitel als zweiter Schluss angefügt. Damit nehmen seine Erscheinungserzählungen mehr Raum ein als in den synoptischen Evangelien, und mehr als dort werden Begegnungen und Dialoge des Auferstandenen mit Einzelpersonen – mit Maria Magdalena, Thomas, Petrus, dem Lieblingsjünger – berichtet.
Die Unterschiede zwischen den Osterevangelien und den Auferstehungszeugnissen der Bekenntnistradition sind auffällig: In allen Osterevangelien kommt das leere Grab vor, die ersten Adressaten sowohl der Osterbotschaft als auch der Erscheinungen des Auferstandenen sind Frauen.10 Von einer Erscheinung vor Frauen im Sinne der Osterevangelien und von einem leeren Grab weiß Paulus nichts. Allerdings mag er, wo er in 1 Kor 15,3–8 von „allen Aposteln“ spricht, auch an Junia (Röm 16,7) und Priska (Röm 16,3; 1 Kor 16,19; 2 Tim 4,19) gedacht haben. Und unter den 500 „Brüdern“ könnten sich auch Frauen befunden haben, da das Maskulin für Männer und Frauen stehen dürfte. Ebenso fehlt bei Paulus die Emmauserzählung (Lk 24,13–35). Auf der anderen Seite kennen die Evangelien weder die Erscheinung vor 500 Brüdern noch vor Jakobus noch vor „allen Aposteln“, womit Paulus nicht nur die Zwölf, sondern alle Verkünder des Evangeliums im Blick hat.
3.2 Die Entstehung des Konzepts „Auferstehung“
Wieso taucht in den Evangelien das leere Grab auf, von dem in der Bekenntnistradition nie die Rede war? Um die Zeit der Abfassung der Evangelien, also 70 bis 100 n. Chr., starben die letzten Zeitzeugen Jesu, die dann etwa auch in diesem Alter gewesen sein müssen. Deswegen könnte ein vertieftes Interesse an der Frage entstanden sein, wie jene zu ihrem Glauben an die Auferstehung Jesu gekommen waren. Den Aposteln stand, als Jesus starb, das Konzept „Auferstehung“ nicht aktiv zur Verfügung, denn sie hatten Jesus nicht verstanden, als er davon sprach, und auch nichts Genaueres wissen wollen. Es kommt ihnen auch nicht zu Bewusstsein, als die Frauen sie zum leeren Grab rufen. Tja! Es ist halt leer. Kein Licht geht ihnen auf: Der lukanische Petrus geht voll Verwunderung wieder nach Hause; das Johannesevangelium fügt erklärend hinzu, dass Petrus und Johannes noch nicht die Schrift verstanden [hatten], dass er [Jesus] von den Toten auferstehen müsse (Joh 20,9f). Die beiden werden sich wohl der naheliegenden Vermutung von Maria Magdalena anschließen, dass jemand den Leichnam Jesu aus dem Grab weggeschafft haben muss. Tatsächlich folgt aus der historischen Tatsache eines leeren Grabes nichts für die Auferstehung des darin beigesetzten Toten. Wie sollte nämlich jemand zur Erklärung des leeren Grabes auf die Idee kommen, der Tote sei deshalb nicht da, weil er auferweckt wurde und nun zur Rechten Gottes sitzt? Eine noch abstrusere Erklärung ist kaum denkbar. Das Faktum des leeren Grabes legt weder die Idee einer Auferstehung nahe noch ist es ein Beweis dafür, dass Jesus in einer vollkommen neuen Weise bei Gott lebt und von ihm zum Herrn und Messias gemacht wurde.
Im Kontext von „Auferstehung Jesu“ ist das leere Grab nicht erforderlich. Denn es stimmt ja auch nicht, dass der tote Körper Jesu für dessen Auferstehung gebraucht würde: Weder ist Auferstehung eine Wiederbelebung des Körpers und seine Rückkehr in die irdische Geschichte, um dann am Ende des Lebens ein zweites Mal zu sterben, noch bedarf der Auferstehungsleib der Materie des Leichnams, um entstehen zu können. Paulus widmet der Frage Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? eine lange Antwort in 1 Kor 15,35ff: Irdischer und auferweckter Leib gehören zwei ganz verschiedenen Ordnungen an. Der Blumensamen, den wir in unseren Balkonkasten säen, hat in seiner Gestalt eines Korns nichts gemein mit der Gestalt der Blume. Same und Blume gehören unterschiedlichen Welten an, die lediglich im Tod des Samens einander berühren. Ohne diesen Tod keine Blume. So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich.
Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib.