Vom Lieben und vom Sterben. Bertram Dickerhof
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Название: Vom Lieben und vom Sterben

Автор: Bertram Dickerhof

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783429065263

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СКАЧАТЬ ins Reich Gottes gelangt (Mk 10,25), jagt den Jüngern Schrecken ein: Streben nicht alle nach Sicherheit und nach dem Besitz der dazu nötigen Mittel? Da müssen sie auch um sich selbst fürchten, auch wenn sie alles verlassen haben, um Jesus nachzufolgen. Oder folgendes Wort aus der sogenannten Brotrede (Joh 6,53f): Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. Viele konnten dieses Wort nicht verstehen – sollte das eine Anleitung zum Kannibalismus sein? – und wenn sie es verstanden, konnten sie nicht akzeptieren, dass das ewige Leben, das sie suchten, nur über Gleichwerden mit Jesu Tod zu finden sein sollte. Um den Tod zu finden, waren sie doch nicht mit Jesus gegangen: Sie wollten Leben in Fülle! So verließen ihn viele, die bisher mit ihm gewandert waren. Die Zwölf blieben, aber kaum unbeschwerten Herzens.

      Oft verstanden sie ihn nicht: Wieso wehrte er ab, als Messias bezeichnet zu werden? Seine Gleichnisse musste er ihnen ebenso privat erklären wie sein Verständnis der damals von den Pharisäern gepushten kultischen Reinheit: Die wirkliche Unreinheit vor Gott kommt von den bösen Regungen des Herzens. Nicht der Dreck an Händen und Schüsseln trennt den Menschen von Gott, sondern Taten aus inneren Impulsen, in denen einer das Seine auf Kosten anderer sucht. Sie verstanden nicht, wieso Jesus die Gefährlichkeit der Lehren der Pharisäer und des Herodes mehr beschäftigte als die unmittelbar bedrängende Frage nach dem täglichen Brot für sie selbst (Mk 8,15). Nicht nur die synoptischen Evangelien, auch das Johannesevangelium lässt immer wieder durchblicken, dass die Jünger mit ihrem Verständnis Jesus hinterherhinken: Philippus möchte den Vater gezeigt bekommen und Jesus reagiert mit einer Spitze: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater (Joh 14,9). In den sogenannten Abschiedsreden im Johannesevangelium (Joh 14–16), dem letzten Zusammensein mit Jesus, wollen die Jünger die letzte Gelegenheit nutzen, ihre offenen Fragen zu klären (Joh 14,5.8.22; 16,5.17), und glauben schließlich, Jesus nun endgültig zu verstehen. Doch erweist sich auch diesmal ihr Verstehen als vorläufig, und es hat auch nicht die Kraft in sich, dass sie in der Versuchung bei ihm bleiben können (Joh 16, 31f). Denn der Jünger muss immer weiter wachsen, um die Botschaft Jesu immer mehr tragen zu können (Joh 16,12). Ist das nicht merkwürdig, ja paradox, wenn eine frohe Botschaft getragen, ja ertragen werden muss? Das zu oberflächliche Erfassen oder gar Missverstehen von Wort und Person Jesu hat dann wohl eine Funktion, einen geheimen Zweck, der darin bestehen dürfte, keine Verunsicherung oder Angst ertragen zu müssen. Denn gründliches Verstehen setzt voraus, sich selber in Frage stellen zu lassen, dabei zu entdecken, dass manche eigenen Vorstellungen von der Welt einfach nicht stimmen, dass diesen entsprechende Bestrebungen Verfehlungen sind: Das kann das eigene Selbstverständnis schon sehr erschüttern, vielleicht es sogar sterben lassen.

      Als Jesus den Weg nach Jerusalem einschlägt, spitzen sich Verunsicherung und Spannung der Jünger zu. Ja, eine gewisse Entfremdung tritt ein. Doch die Jünger bleiben dennoch bei ihm. Der Zwiespalt beginnt damit, dass Jesus ihnen offen mitteilt, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen (Mk 8,31). Spricht so ein Messias, der die Römer vertreiben und soziale Gerechtigkeit herstellen will? Das Wort vom „Auferstehen“ beschäftigt sie, und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen (Mk 9,10). Sie verstehen es nicht, können es nicht in sich verankern. „Auferstehen“ muss ihnen deswegen aus dem Blick geraten und kann in ihrem Denken keine Rolle mehr spielen. Ihr Verständnis endet bei der Ankündigung des schmählichen Untergangs ihres Messias in Jerusalem. Das wäre der Zusammenbruch aller Hoffnungen der Jünger, der Zusammenbruch ihrer Vorstellung vom Messias.

      Israel kannte vor dem Exil (587 bis 538 v. Chr.) in Babel keine Auferweckung der Toten. Die Verstorbenen waren in der Scheol in völliger Bewusstlosigkeit. Sie waren kraftlose, von Gott vergessene Schatten. Diese Auffassung änderte sich zunächst durch Exilspropheten wie Jesaja – Deine Toten werden leben, die Leichen stehen wieder auf; wer in der Erde liegt, wird erwachen und jubeln (Jes 26,19) – und Ezechiel – So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zurück in das Land Israel (Ez 37,12): Die Rückführung Israels aus dem Exil wird hier als seine Auferweckung begriffen. Die Weisheitsliteratur5 wird sie ab dem 2. Jh. v. Chr. als leibliche Auferstehung Israels deuten. Die frühjüdische Apokalyptik, die wesentlich mit dem um etwa 165 v. Chr. geschriebenen Danielbuch verbunden ist, kommt in ihrer Konzeption zu einer individuellen Auferstehung der Toten: Auf Grund der aggressiven Hellenisierung, die alles Jüdische unter Todesstrafe stellte, zerbrach die Gewissheit, dass Jahwe sein Volk immer beschützt. Da die schreckliche Gegenwart nicht zukunftsfähig sei, so der Prophet Daniel, kann die Zukunft nicht in Kontinuität zur Vergangenheit stehen. Gott, der allein die Zukunft bewirkt, werde daher die gegenwärtige Geschichte beenden und einen neuen Äon der himmlischen Vollendung heraufführen, in den hinein Lebende und Verstorbene des Gottesvolkes gerettet würden. Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten. Du aber geh nun dem Ende zu! Du wirst ruhen und am Ende der Tage wirst du auferstehen, um dein Erbteil zu empfangen (Dan 12, 2f.13). An dieser Stelle begegnet erstmals der Gedanke einer individuellen Auferweckung der Toten durch Gott am Jüngsten Tag. Nur die eindeutig Bösen werden für immer Tote bleiben, alle anderen werden auferstehen, um individuell, je nach ihren Taten, gerichtet zu werden.

      Im Hellenismus gab es keine begründete Hoffnung auf ein persönliches Weiterleben nach dem Tod, außer im Gedächtnis der Angehörigen. Er schrieb den Lebensgenuss deswegen groß: „Bäder und Liebe und Wein, sie richten uns freilich zugrunde, aber Bäder und Liebe und Wein sind das Leben“, war ein geflügeltes Wort. Jedoch kannte die griechische Mythologie Konzepte von Auferstehung in den Mysterienkulten und im Schicksal der Halbgötter Herakles, Asklepios, Dionysos, die nach ihrem Tod in den Himmel erhoben, unsterblich und vergöttlicht wurden, nachdem sie sich auf Erden verdient gemacht hatten. Die Sadduzäer, die Partei der Oberschicht und der Priester, lehnte den Gedanken sowohl eines neuen Äons als auch einer Auferstehung der Toten ab. Anders die Pharisäer: Sie waren eher die Partei der kleinen Leute und erhofften eine Auferstehung aller Toten zum Jüngsten Gericht.

      Zurück zu Jesus und seinen Jüngern: Wenn Jesus von Auferstehung sprach, mussten die Jünger also annehmen, dass er die Auferstehung am Jüngsten Tag meinte. Damit gerieten sie in ein Dilemma: Stand der Weltuntergang unmittelbar bevor und damit auch ihr eigener Tod? War das aber nicht der Fall, was sollte dann Auferstehung bedeuten und was erbrachte sie für die Erwartung eines politischen Messias Jesus? Die Rede Jesu von seinem Ende und seiner Auferstehung musste die Jünger verwirren und verunsichern. Lieber wollten sie davon nichts wissen.

      Insgesamt drei Versuche unternimmt Jesus nach den Synoptikern, um mit den Jüngern über sein Ende in Jerusalem und damit auch über den Konflikt mit Petrus ins Gespräch zu kommen: Petrus hatte auf Jesu erste Ankündigung seines Leidens und Todes in Jerusalem mit einer Zurechtweisung reagiert: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! (Mt 16,22). Da fährt Jesus ihn an: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen (Mt 16,23). Ja, natürlich, wir Menschen wollen Leiden für uns selbst und unsere Lieben auf alle Fälle vermeiden. Gott etwa nicht auch? Für Petrus und die anderen Jünger muss sich hier ein erschreckender Abgrund auftun, in dem ihre und unsere Vorstellung eines „lieben Gottes“ schlicht untergeht. Kein Wunder, dass die Jünger sich auf dieses Thema nicht einlassen. Sie blocken ab. Ob die „Drei“-Zahl hier tatsächlich die konkrete Anzahl der Leidensankündigungen Jesu bedeutet, ist fraglich. Eher könnte gemeint sein: Immer wieder macht Jesus Anläufe, bis er die Aussichtslosigkeit einsieht, mit den Jüngern über sein Ende sprechen zu können, und seine Versuche СКАЧАТЬ