Название: Vom Lieben und vom Sterben
Автор: Bertram Dickerhof
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783429065263
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Und schließlich ist noch ein drittes Fazit aus dem markinischen Osterevangelium zu ziehen: In das Missfällige hineingehen wie die Frauen, indem sie beim Kreuz Jesu stehen, bei seiner Grablegung dabei sind und schließlich sogar in das Grab selbst eintreten, kann nur, wer sich genügend sicher fühlt. Bei den Frauen ist eine „Stimmung“ da, die überzeugt ist, dass ihnen letztlich nichts passieren kann, was immer auch geschieht. Sie fühlen sich angenommen und bejaht. Sie reden sich das nicht ein oder reißen sich zusammen. Es geschieht mit ihnen. Unser Text drückt dies aus durch diese kleinen Fügungen: Der Stein, der Sorge bereitet hatte, ist weg; die ganze Szenerie atmet Neubeginn, Frische, Energie: Alles Dunkel ist vertrieben; im Grab werden sie geleitet von dem jungen Mann bzw. Engel, der sich ihnen verständnisvoll zuwendet. Durch all das teilt sich den Frauen ein Gefühl unbedingten Gehalten- und Angenommenseins mit, göttliche Liebe, die Basis des ganzen Prozesses. Damit stellt sich die Frage, wieweit die Sehnsucht nach der Erfüllung über alles hinaus letztlich Sehnsucht nach dieser unbedingten Liebe ist.
Exkurs: War das leere Grab tatsächlich leer?
Diese Frage konnte bisher offenbleiben, weil der Osterglaube sich nicht aus dem Faktum eines leeren Grabes ableiten lässt. In der Tat spielt das leere Grab weder in den Osterzeugnissen vor Paulus noch bei Paulus selbst eine Rolle. Röm 6,4 und 1 Kor 15,4 sind die beiden einzigen paulinischen Stellen, die überhaupt das Begraben-Sein Jesu erwähnen. Die Frage, ob das Grab am Ostermorgen leer war oder nicht, kommt in den neutestamentlichen Texten erst nach 70 n. Chr. auf. Für uns heute ist sie nicht eindeutig zu beantworten. Der Sachverhalt ist nicht mehr zu überprüfen. Aber die Argumente zu den möglichen Positionen sollen vorgestellt werden, so dass Leserin und Leser sich selbst ein Bild machen können.
Für die moderne Wissenschaft wird das Grab Jesu am Ostermorgen schwerlich leer gewesen sein. Aber auch die Wissenschaft kennt Irregularitäten. Ob das Licht als Welle oder als Teilchenstrom gedeutet wird, in jedem Fall gibt es Phänomene, die gegenüber der jeweiligen Deutung irregulär sind. Quanten, kleinen Materieteilchen, ist keine genaue Raum-Zeit-Stelle zuzuordnen. Der Urknall selbst ist eine Irregularität, nur seine Auswirkungen sind wissenschaftlicher Forschung zugänglich, nicht aber er selbst. Hinzu kommt, dass Wissenschaft nur allgemeine Aussagen machen kann: Der Einzelfall kann von der allgemeinen Gesetzmäßigkeit abweichen.
In seiner Pfingstpredigt (Apg 2,29–32) insinuiert Petrus die Leerheit des Grabes Jesu: David habe prophezeit, dass einer seiner Nachkommen, im Gegensatz zu ihm selbst, nicht der Unterwelt preisgegeben und sein Leib die Verwesung nicht schauen werde (Ps 16,10). Dieser Nachkomme sei Jesus, und sie, die Apostel, seien Zeugen dafür. Daraus folgt, dass Jesu Leib die Verwesung nicht schaut, sein Grab also leer ist, auch wenn das ausdrücklich nicht gesagt wird.
Wäre das Grab nicht leer gewesen, hätte es mit der Verkündigung der Auferstehung schwer werden können. Denn der Hebräer unterscheidet traditionell nicht zwischen Leib und Seele. Eine Auferstehung von den Toten ist für ihn mit der Belebung seines irdischen Leibes verbunden. Noch im nach 160 v. Chr. geschriebenen 2. Buch der Makkabäer (2 Makk 7) finden wir einen Niederschlag dieser Überzeugung. Ein Gefolterter hofft, zu ewigem Leben auferweckt zu werden, und zwar mit unversehrtem irdischem Leib. Wäre Gegnern der Auferstehungsverkündigung der Nachweis gelungen, dass der Leichnam Jesu im Grab liegt, hätte die Botschaft dann Glauben finden können? Von den daraus sich ergebenden Kontroversen findet sich jedoch in der Überlieferung keine Spur.
Andererseits hat natürlich auch in Israel hellenistisches Gedankengut Einzug gehalten, das Auferstehung ohne Wiederherstellung des irdischen Leibes denken konnte. So erhofft Ijob bereits im spätestens 200 v. Chr. vorliegenden gleichnamigen Buch (19,25–27) die Schau Gottes außerhalb eines irdischen Leibes: Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen. Und im zwischen 80 und 30 v. Chr. erschienenen Buch der Weisheit wird von den Seelen der Gerechten gesprochen, die in Gottes Hand sind und [die] keine Qual … berühren [kann]. Sie sind in Frieden … ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit (Weish 3,1–4). Diese Texte können ein Leben nach dem Tod ohne den irdischen Leib denken. Und auch Jesus geht unter Zustimmung eines pharisäischen Schriftgelehrten (Mk 12,28) davon aus, dass die von den Toten Auferstandenen wie Engel im Himmel sind (Mk 12,25) und nicht mehr benötigen, was einmal ihr irdischer Leib war. Darf man nach über 300 Jahren hellenistischer Beeinflussung annehmen, dass für die meisten Zeitgenossen Jesu die Frage des leeren Grabes nicht mehr relevant war? Schon gar nicht angesichts der Verkündigung einer Auferstehung, deren Ton ja nicht auf dem persönlichen Fortleben Jesu liegt, sondern darauf, dass dieser Jesus aus Nazareth der Herr und Messias (Apg 2,36) ist, [den ihr] durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht (Apg 2,23) habt, dass er der Sohn Gottes ist, der Kunde gebracht hat vom „Vater“, der Gottheit, deren Namen kein Zeitgenosse Jesu wagte auszusprechen.
Das ist ungefähr der Stand der Diskussion. Die Frage ist nicht zu entscheiden, für mich selber und meinen Glauben ist sie nicht relevant, ein historisch leeres Grab wäre kein Gewinn. Doch hat die Botschaft vom „leeren Grab“ eine Bedeutung immer gehabt: Sie lässt aufmerken und fordert zur Auseinandersetzung heraus.
9 Weitere Belege aus der Mitte des 1. Jahrhunderts sind: Gal 1,1; 1 Kor 6,14; 15,12.15.20; 2 Kor 4,14; Röm 4,24.
10 Bei Johannes und Matthäus sind Maria Magdalena (Joh 20,11–18) bzw. diese und eine „andere Maria“ (Mt 28,9f) die ersten, denen der Auferstandene erscheint.
11 Gnilka, EKK II/2, S. 340.
12 Ebd.
13 Ex 20,18–20; СКАЧАТЬ