Vom Lieben und vom Sterben. Bertram Dickerhof
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Название: Vom Lieben und vom Sterben

Автор: Bertram Dickerhof

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783429065263

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СКАЧАТЬ style="font-size:15px;">       Der Erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite Mensch stammt vom Himmel.

       Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden.

       Damit will ich sagen, Brüder: Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben; das Vergängliche erbt nicht das Unvergängliche.

      Die notwendige Voraussetzung für Auferstehung ist der Tod. Jedoch hat der überirdische, himmlische, unverwesliche Auferstehungs„leib“ – er ist Geist – mit dem irdischen, verweslichen Leichnam nichts zu tun.

      Die Aussageabsicht der Texte Mk 16,1–8 und seiner Parallelen bei Lukas und Matthäus kann also nicht die Mitteilung der historischen Tatsache des leeren Grabes sein, weil aus ihr für eine Auferstehung nichts folgt. Doch was ist sie dann? Ich meine, dass es um die Einführung der Idee „Auferstehung“ geht, sowohl als Konzept für den Tod Jesu, der in seine Auferstehung hineinstirbt, als auch als Beschreibung der Disposition, in der Menschen, Frauen, eine solche göttliche Idee einfallen und in ihnen aufgehen kann.

      Gehen wir dieser Vermutung nach, indem wir uns zunächst die Lektüre des ältesten Osterevangeliums zu Gemüte führen: Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wohin man ihn gelegt hat. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat. Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich (Mk 16,1–8).

      Auf den ersten Blick scheint unser Text wie ein Tatsachenbericht daherzukommen. Doch können bereits seine ersten Zeilen Zweifel daran wecken, ob er das wirklich ist: Die Salbung eines bereits in Tücher eingewickelten und beigesetzten Toten, also das, was die drei Frauen beabsichtigen, kam bei den Juden ganz und gar nicht vor.11 Ihre Absicht ist jedenfalls als Ausdruck ihrer großen Sehnsucht und Liebe zu werten, Jesus nochmals zu berühren, intensiv einzutauchen in ihre Beziehung zu ihm. Zwar waren sie bei seinem Sterben und seiner Beisetzung zugegen. Doch diese musste ganz schnell erfolgen wegen des herandrängenden Sabbats. Zeit zum Abschiednehmen hatte es nicht wirklich gegeben. Das wollen sie nun nachholen. Möglicherweise spielt auch das Motiv mit, ihre Beziehung zu Jesus auf dem bisherigen Stand zu konservieren; immerhin wollen sie „etwas zur Erhaltung des Leichnams tun“12. Wie dem auch sei: Den sie berühren werden, ist ein Toter, kalt und starr. Er ist nicht mehr „ihr“ Jesus. Wie immer ihre Motive sein mögen, ihre Aktion wird zu einem wichtigen Schritt dahin, das Gewesene los- und sich verwandeln zu lassen.

      Um ihren Plan ausführen zu können, treffen sie Vorsorge: Am Abend des Sabbats kaufen sie die wohlriechenden Öle, die sie brauchen. Merkwürdig ist jedoch, dass ihre Vorsorge sich nicht auch auf den Stein erstreckt, mit dem das Grab Jesu verschlossen ist. Mit der Öffnung des Grabes steht und fällt doch ihr ganzes Vorhaben! Wieso beziehen die Frauen ihn nicht in ihre Vorkehrungen ein?

      Als mein Bruder in der Ferne gestorben war, wollte ich den Toten unbedingt vor seiner Beisetzung sehen und Abschied nehmen. Ein leichter Gang war das dennoch nicht. Neben der Liebe war da auch tiefer Schmerz. Der Verlust tat so weh! Die Aussicht war schlimm, nun alleine weitergehen zu müssen, ohne seine Begleitung und sein Verständnis. Ich fühlte mich einsam und leer. So in etwa wird auch den Frauen das Wiedersehen mit dem Leichnam Jesu nicht leichtfallen, und der Verschlussstein steht für ihren Widerstand dagegen und die Kraft, die seine Überwindung kostet: vielleicht mehr, als sie aufbringen können. Diesen Widerstand schieben die Frauen gerade nicht weg, er ist ihnen bewusst, sie sprechen davon und halten ihn aus. Sie gehen ihren Weg, doch gehen sie ihn mit der Frage, wer ihnen hilft, ins Grab hineinzukommen, d. h., sie gehen ihn im Bewusstsein ihres Widerstandes.

      Doch dann, am Grab, ist alles anders als gedacht: Die Sonne geht gerade auf und ein frischer Tag bricht an. Der Verschlussstein und damit die Last, die auf ihnen lag, ist weg. In ihnen breitet sich eine gewisse Leichtigkeit aus, durch die sie sich öffnen. Das aufgegangene Grab wirkt nun geradezu wie eine Einladung, hineinzugehen. Drinnen erblicken sie als Erstes einen jungen Mann in weißem Gewand und erschrecken. „Hier ist Göttliches am Werk“, will die Geschichte uns vermitteln: Alles atmet Neubeginn, Reinheit, Zukunft, ist faszinierend und gleichzeitig erschreckend, das typische Erleben, wenn Menschen dem Göttlichen begegnen:13 Rudolf Otto hat in seinem Klassiker14 das Heilige als „Fascinosum et Tremendum“, als faszinierend und erschreckend beschrieben. Einladung, Anziehung und Erschrecken charakterisieren das Erleben der Frauen, und ihnen geht auf: Jesus ist auferstanden; er ist nicht hier. Das ist keine Fantasie, keine Einbildung, kein Ergebnis eines schlussfolgernden Denkens. „Auferstehung“ wird ihnen mitgeteilt in einem göttlichen Einfall, den sie empfangen können, weil sie offen sind. Die aufgehende Sonne, der Tag, der neu anbricht, der junge Mann im weißen Gewand – all das beschreibt das innere Milieu der Frauen, in dem sie fasziniert und ins Tiefste getroffen die Botschaft von der Auferstehung Jesu erhalten. Eine Erfahrung dieser Art ist Menschen nicht unbekannt. Zum Beispiel beschreibt Ignatius von Loyola sie in seinen Geistlichen Übungen als beste Möglichkeit einer „heilen und guten Wahl“. Diese ist dann gegeben, „wenn Gott, unser Herr, den Willen so bewegt und an sich zieht, dass eine Ihm ergebene Seele, ohne zu zweifeln oder auch nur zweifeln zu können, dem folgt, was ihr gezeigt worden ist.“15 Der „Seele“, die offen und empfänglich ist, widerfährt etwas. Sie wird „bewegt“ und „gezogen“, und zwar zu Gott, d. h. ist erfüllt von dem Glück, das sie ersehnt. Ihr wird etwas „gezeigt“, und dem folgt sie. Sie hat verstanden. Sie zweifelt nicht daran, ja, sie kann es gar nicht. Sie ist pure Einsicht und Zustimmung. Etwas in der Art werden auch die markinischen Frauen erleben. Durch die Art und Weise, wie die Idee der Auferstehung sich ihnen vermittelt, ist ihnen unmittelbar klar: Jesus gehört zur Sphäre des Himmels, er lebt bei Gott, er ist in das Göttliche eingegangen.

      Doch damit ist der innere Weg der Frauen noch nicht zu Ende. Die Idee der Auferstehung, die zunächst in Spannung steht zu ihrer Alltagswirklichkeit, trachtet danach, integriert und damit in der Welt fruchtbar zu werden. Als Erstes können sie nun sehen, dass das Grab leer ist, dass der Leichnam Jesu nicht dort ist, wo er sein sollte. Das ist mehr als irritierend: Wie kann der Leichnam des Menschen Jesus plötzlich weg sein? Natürlich, weil er auferstanden ist. Es passt alles zusammen. Doch diese Ungeheuerlichkeit der Auferstehung drängt die Frage auf: Wer war der Jesus, mit dem nun derart Unerhörtes geschieht, wirklich? Kann das Bild denn stimmen, das die Jüngerinnen und Jünger sich aus ihren Erlebnissen mit ihm gemacht hatten? Oder waren ihre Deutungen zu kurz gegriffen, Werk ihrer eingeschränkten Sicht? Sollte Gott, der Jesus am Ende aus dem Tod in seine Herrlichkeit auferweckt, schon in Jesu irdischem Leben in einer bisher unvorstellbaren Weise „da“ gewesen sein? Ihrem bisherigen Verständnis von Jesus, vom Ende der Toten im Schattenreich der Scheol, von Gott, den keiner geschaut hat und den sie doch in Jesus hätten sehen können, wenn sie nicht so blind gewesen wären …, wird der Boden weggezogen. Sie hatten die Welt, wie sie sie zu sehen gewohnt waren, selbstverständlich für die Wirklichkeit gehalten und merken nun, dass sie ihre Welt ist, ein Bild der Wirklichkeit, das sie sich gemacht haben. Der mittelalterliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225–1274) sieht in diesem Aufwachen eine Erkenntnis unseres Erkennens: „Was auch immer wahrgenommen wird, es wird auf die Weise des Wahrnehmenden wahrgenommen.“16 In der Tat werden Sinneseindrücke vielfach be- und verarbeitet – physiologisch, unbewusst, bewusst –, bis sie Baustein der Welt eines Menschen werden. Was ihm zu fremd ist, dafür hat СКАЧАТЬ