Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans
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СКАЧАТЬ in der Auseinandersetzung mit ihnen wird die Kirche zur Kirche in der Welt von heute. „Das Handeln der Kirche zeigt, wo sie steht und wer sie ist. An ihren Taten wird gemessen, was sie sagt. […] Ihr Handeln besitzt Offenbarungsqualität im strikten Sinn“ (Klinger 2003, 139).

      Die Zeichen der Zeit fundieren in diesem Sinne die Pastoral und sie sind ein konstitutiver Faktor für die Darstellung des Evangeliums in der Welt von heute. Dabei kommt es darauf an, die Zeichen der Zeit vonseiten der Pastoral zu entschlüsseln und zu einem Paradigma für die eigene Praxis zu machen. Und diese Entscheidung wird nicht folgenlos bleiben. Eine solche Pastoral versteht ihre eigene Berufung und Aufgabe von denen her, die unerhört sind. Und damit stellt sie sich selber, wie die kirchliche Verkündigung überhaupt, vor die unbequeme, aber unausweichliche Frage, ob sie Befreiung ist oder sich der Menschwerdung des Menschen in der Gegenwart verschließt (vgl. Sander 1995, 93). Und so führen die Zeichen der Zeit letztlich auf Christus hin (vgl. Sander 2005b, 839). Angesichts der Zeichen der Zeit ist eine sinnvolle und bedeutsame Verkündigung der befreienden Botschaft vom Reich Gottes in der Welt von heute möglich. Und vor diese Aufgabe stellen die Frauen die Kirche und ihre Pastoral. Wenn die Kirche die Frauen als ein Zeichen der Zeit wahrnimmt, dann folgt daraus ein „Auszug aus altvertrauten Bastionen zugunsten von mehr Beziehung: zu den Frauen, aber auch unter den Männern, zu mehr Gemeinschaft, zu mehr ebenbürtiger Gegenseitigkeit und Identitätsgewinn“ (Aigner/Bucher 2004, 75). Sie fordern die Kirche und die Pastoral heraus, die Zweiheit von den Zeichen der Zeit und dem Evangelium in den Blick zu nehmen und eine Pastoral der Balance zu entwickeln.

      1.1.1 Der Mensch ist zwei – und die Rituale? Eine pastorale Frage der Geschlechterdifferenz

      Die Zweiheit ist eine Kategorie im feministischen Diskurs. Der Mensch ist zwei: Mann und Frau (vgl. Diotima 21993). Ein Faktum, eine Tatsache, die das Leben entscheidend prägt und Männer und Frauen immer wieder herausfordert.2 Das Heikle an der Geschlechterdifferenz besteht gerade darin, dass sie Männer und Frauen gleichermaßen betrifft. Leben aus der Perspektive der Geschlechterdifferenz gestalten bedeutet, gemeinsames Leben auf der Basis der Differenz zu entwickeln. Versuche, mit dieser Differenz umzugehen, finden sich im Patriarchat, im Matriarchat, aber auch in der Frauenbewegung.

      Im Rahmen der Frauenbewegung wird der Diskurs so geführt, dass das Ziel die Gleichstellung zwischen Mann und Frau ist. Im Kontext von Gender-Mainstreaming wird dieses Ziel nun allerorten diskutiert und quasi verordnet (vgl. www.gender-mainstreaming.net, 14. Februar 2011).3 Das Konzept der Gleichstellung von Mann und Frau ist jedoch voller Ambivalenzen und konnte noch immer nicht wirklich realisiert werden, denn es zeigt sich in der Gesellschaft, dass die Frau zwar als ein dem Mann gleiches Subjekt einbezogen wird, aber vielfach wird sie doch als unterlegenes Subjekt betrachtet und behandelt. „Die gleichen Rechte also, für die die Frauen kämpfen, greifen nicht eine Gesellschaft an, die auf der männlichen symbolischen Ordnung gründet; die Gleichheit de jure schwächt nicht die Herrschaft de facto“ (Cavarero 1997, 95).

      Vor diesem Hintergrund entstand unter Philosophinnen und Frauen aus Gewerkschaften und Politik zunächst in Italien ein neuer Diskurs, das Denken der Geschlechterdifferenz. Dieser Diskurs hat seine Impulse im Wesentlichen von der französischen Philosophin Luce Irigaray4 erhalten. Die Geschlechterdifferenz wird in diesem Denken zu einem Ort der Konstitution einer autonomen Subjektivität der Frauen. „Die Geschlechterdifferenz ist nicht nur ein biologischer, historischer oder ontologischer Begriff: sie ist all dies zusammen“ (Cavarero 1997, 96).

      Dieser Wechsel in den Diskursen von der Gleichheit zur Differenz ist signifikant, denn es zeigt sich hier sehr deutlich das Problem, mit der Zweiheit umzugehen. Jener Diskurs, der die Zweiheit über die Gleichheit ausschließen will, kommt an seine Grenzen, wie die Praxis zeigt. Er hat weder den Frauen noch den Männern all das gebracht, was er verheißen hat. Ob der Diskurs der Geschlechterdifferenz eine echte Alternative ist, wird sich noch erweisen müssen, aber es deutet sich an.

      Im Patriarchat wird Frau-Sein als Zeichen der Unterlegenheit gedacht, die die ‚natürliche‘ Rolle der Frau bestimmt und daher als eine Art Schicksal verstanden wird, das der Frau ihren Platz in der Familie und Gesellschaft zuweist. Das Denken der Geschlechterdifferenz geschieht aus der Perspektive der Frauen und es koppelt Frauen von der Unterlegenheit und Unterdrückung ab, um sie zu einem weiblichen Maßstab in der Welt zu machen. „Dies bedeutet nicht nur Solidarität und gegenseitige Hilfe, sondern vor allem, sich auf eine andere Frau zu beziehen, um eine weibliche symbolische Ordnung existieren zu lassen, in der die Tatsache, als Frau geboren zu sein, einen Sinn für sich hat (einen von den Frauen frei entschiedenen Sinn) in einer Welt zweier Geschlechter“ (Cavarero 1997, 96; vgl. Libreria delle donne di Milano 1991).

      Das Theorem der Gleichheit, das in der Frauenbewegung so zentral und wichtig war, ist im Denken der Geschlechterdifferenz nicht mehr das Ziel des politischen Projektes der Frauen. Im besten Fall ist es ein Instrument politischen Handelns. Das Denken der Geschlechterdifferenz erkennt an, was ist: dass es verschiedene Geschlechter gibt. Aber keines repräsentiert die ganze Menschheit. Das bedeutet, dass es strukturell und unleugbar eine Differenz zwischen Mann-Sein und Frau-Sein gibt. Diese Differenz ist erst dann in eine Balance zu bringen, wenn jedes der beiden Geschlechter an der Balance arbeitet, wenn von jedem der Geschlechter aus an der Balance gearbeitet wird. „Anders ausgedrückt: keines der beiden Geschlechter gilt als universal und auch für das andere Geschlecht als Modell oder Paradigma des ganzen Menschengeschlechts“ (Cavarero 1997, 99). Nicht Angleichung, die dann meist verstanden wird als Angleichung an das männliche Modell, ist die Basis des Zusammenlebens, sondern die Kenntnisnahme und Akzeptanz des konstitutiven Andersseins.5 Und von dieser Basis aus werden neue Dialoge und Prozesse nötig und möglich; dann treten die Geschlechter in eine Balance.

      Im Denken der Geschlechterdifferenz haben die Beziehungen der Frauen untereinander eine besondere Bedeutung (vgl. Markert 2002). Es lenkt den Blick bewusst auf die Frauen und versucht, Frauen in Unabhängigkeit zu Männern zu sehen. Dies bedeutet nicht, Männer zu leugnen, zu verdrängen, sich von ihnen zu separieren, sondern es wird vielmehr deutlich, dass die Männer nicht mehr länger der einzige Maßstab der Welt, des Denkens und Fühlens sind. Das Denken und Handeln von Frauen schiebt gewissermaßen die Männer von dem Vordergrund in den Hintergrund. In den Mittelpunkt rücken zunächst die Beziehungen der Frauen untereinander. Indem Frauen den Blick konsequent auf Frauen richten, überwinden sie den Mythos des Patriarchates von der schwachen, abhängigen Frau. Sie durchkreuzen das Denken, das Frauen zu Beherrschten, Unterlegenen, Opfern und Mängelwesen macht. Sie verabschieden sich konsequenterweise von Versuchen, Frau-Sein in Bezug auf Mann-Sein zu konstruieren.

      Das „Neue“ im Denken der Geschlechterdifferenz liegt darin, dass Frauen sich gegenseitig Wert und Bedeutung verleihen. Frauen brauchen Frauen, um ihren Weg ins Leben zu finden, um als Frau in der Welt zu sein (vgl. Günter 1996, 16). Die Beziehungen, die Frauen untereinander pflegen und entwickeln, sind Quelle für persönliche Stärke und soziales Eingebundensein. Die Beziehungen zu Frauen und die Bezugnahme auf Frauen werden zu einem Ort, an dem Frauen Kraft, Energie und Bestätigung für den eigenen unerhörten Lebensentwurf schöpfen können. Frauen machen ihre Erfahrungen zu einem Maßstab für die Welt, aus ihren Interessen ein Kriterium für die Welt und aus ihrem Begehren den Antrieb für die Veränderung der Welt (vgl. Libreria delle donne di Milano 1991, 150). „Um groß zu werden – in jeglichem Sinn – braucht sie [die Frau; H. W.] eine Frau, die größer ist als sie“ (ebd., 150). In diesem Wissen begeben sich Frauen auf die Suche nach weiblichen Vorbildern und Freundinnen und damit auch auf die Suche nach ihren eigenen Potenzialen und Möglichkeiten. Indem Frauen einander in gesellschaftlichen und religiösen Kontexten Autorität und Wert zuschreiben, verleihen sie sich selbst, der eigenen Erfahrung, ihrem eigenen Begehren Wert.

      Noch etwas ist „neu“ und von fundamentaler Bedeutung im Denken der Geschlechterdifferenz: Es denkt nicht nur die Verschiedenheit der Frauen zu den Männern, sondern auch СКАЧАТЬ