Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans
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СКАЧАТЬ Diese Perspektive, die entlang des Begriffs der Heterotopie entwickelt wird, soll für den weiteren Diskurs nutzbar gemacht werden. Ein weiterer Gesichtspunkt ist auch sein Diskurs über Pastoralmacht, der eine zunehmende pastoraltheologische Rezeption erfährt.

      Victor W. Turner hat eine Ritualtheorie entwickelt, die von einer ethnosoziologisch beschriebenen Zweiheit geprägt ist: der Zweiheit von Communitas und Liminalität. Mit seiner Ritualtheorie lassen sich die strukturell bestimmten Überschreitungserfahrungen und Aussagen der Frauen einordnen und weiterführend behandeln.

      Mit der Konzeption von Hans-Joachim Sander wird am Ende dieses Kapitels bewusst wieder der Bogen zur Theologie gespannt. In seinem ekklesiologischen Entwurf kommt die Kirche in ihren Formen und Grammatiken als Religions- und Pastoralgemeinschaft in den Blick. Auf dieser konzeptionellen Grundlage können Frauenliturgiegruppen als Pastoralgemeinschaften identifiziert werden. Durch ihre Praxis fragen sie die Religionsgemeinschaft an, in der sie und ihre Rituale zu kurz oder gar nicht vorkommen. Sie bringen religionsgemeinschaftliche Schwächen und das Ungenügen in der Repräsentanz der Lebenswirklichkeit der Frauen zum Ausdruck. Zentral ist an diesem Punkt dann die Schlussfolgerung, die die Kirche und die Frauen ziehen: Praktizieren sie den Ausschluss oder versuchen sie den anstrengenden, jedoch lohnenden Weg der Balance? Am Ende dieses Kapitels wird eine balancierte Pastoral der Kirche am Ort der Frauen entwickelt, die die Grammatik des Ausschlusses überwindet und Perspektiven für die Religions- und Pastoralgemeinschaft bietet.

      Die Gegenprobe dieser balancierten Pastoral erfolgt im abschließenden fünften Kapitel. Es werden pastorale Felder und Entwicklungen vorgestellt, die ähnlich wie die Frauen vor dem Problem von Ausschließungen stehen, in denen sich jedoch Ansätze für Balancen ausfindig machen lassen. In diesen konkreten Zusammenhängen wird der Entwurf einer balancierten Pastoral überprüft und diskutiert. Diese Orte benennen pastorale Heterotopien und es geht um deren kreatives Erneuerungspotenzial für den christlichen Glauben. Dabei folgt die Untersuchung dieser Orte in zwei Richtungen: Die eine führt ad extra und ist den Menschen in der Welt von heute, dem Volk Gottes geschuldet. Die zweite führt ad intra, in die Religionsgemeinschaft hinein, die mit ihrer eigenen Botschaft konfrontiert wird, den auferstandenen Christus zu verkünden und die Menschen auf dem Weg zu ihrer Menschwerdung zu unterstützen. Abschließend fragt das letzte Kapitel nach ausbalancierten Zeichen der Präsenz Gottes im Leben von Menschen, nach balancierten Orten in der Pastoral und verweist letztlich auf die Katholizität als eine unaufgebbare Balance.

      1. Einleitung: Von der Not der Zweiheiten, aus der ein Segen werden kann. Das pastorale Problem der Balance und die Methode der Arbeit

      In Kapitel 1 werden die Zumutungen und Herausforderungen im Umgang mit Zweiheiten aus verschiedenen Ansichten in den Blick genommen und zugleich wird der allgemeine Rahmen der Fragestellung bearbeitet. Dies geschieht aus der Perspektive der Geschlechterdifferenz, des allgemeinen Wandels in den Biografien von Frauen und den daraus resultierenden Konsequenzen, wie der Entstehung einer Frauenliturgiebewegung. Auf der Basis des Vorausgegangenen werden dann methodische Konsequenzen für das Design der Arbeit gezogen.

      1.1 Die fehlende Balance der Geschlechter – ein bedrängendes pastorales Problem

      „Ohne Frauen geht es nicht, die Frauen sind wichtige Träger, wenn es um die Weitergabe des Glaubens an die kommende Generation geht, und wenn die auswandern, dann ist der Ofen wirklich aus“ (Sekretariat der DBK 1993, 98). Noch ist dieser Ofen nicht aus, man wird aber sagen müssen, immer weniger Holz wird nachgelegt. Frauen, und inzwischen sind es nicht nur die jüngeren Frauen, verlieren mehr und mehr ihre kirchlichen Bindungen. Dies hat u. a. die Konsequenz, dass die Frauen immer öfter nicht mehr der Rolle als Tradentinnen des Glaubens nachkommen (vgl. Foitzik 1993, 307–311). Gerade diese Entwicklung wird längerfristig erhebliche Auswirkungen haben, denn sie hat zur Folge, dass immer weniger Kinder und Jugendliche in einem von religiösen Überzeugungen geprägten Umfeld aufwachsen werden. Freilich sind noch immer mehr Frauen als Männer in den Pfarrgemeinden engagiert. „Sie arbeiten haupt-, neben- und ehrenamtlich in den Bereichen religiöser Erziehung und Katechese, engagieren sich pfarrlich in diversen Arbeitskreisen und Aktionen sowie in sozial-diakonischen und liturgischen Zusammenhängen. Keinen Zugang hingegen haben sie zur Ordination und deshalb zur umfassenden Leitungsvollmacht. In der Kirche bleibt also den Frauen ihr gelebtes Christ-sein, ihr Engagement in der Alltagsseelsorge, ihre Frömmigkeit (und deren Weitergabe), den Männern aber die definitorische und institutionelle Macht“ (Aigner/Bucher 2004, 64). Wohl auch angesichts dieser Tatsachen ist eine zunehmende Reserviertheit von Frauen (vor allem jüngeren Frauen) in Bezug auf die Kirche feststellbar. Und die Kirchenbänke, die sie verlassen, werden aller Voraussicht nach auch vakant bleiben. „Die Entfeminisierung der Kirchen ist nicht mit einer ‚Re-Maskulinisierung‘ gepaart, sie ist vielmehr eine generelle Entkirchlichung“ (Wolf 2000, 81). Angesichts dieser Prognose ist es verwunderlich, wie zögernd die katholische Kirche auf die neuen Frauenbiografien reagiert und dass sie sie nur rudimentär begleitet. Damit entzieht sie sich der Herausforderung, das Evangelium aus der Perspektive der Frauen zu entdecken und die „neue“ Wirklichkeit der Frauen mit dem Evangelium und der Tradition zu konfrontieren (vgl. Aigner/Bucher 2004, 70).

      Diese Ausgangslage ist problematisch und prekär zugleich. Problematisch in dem Sinn, dass es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Frauen diese Form der Arbeitsteilung in der Kirche aufkündigen. Prekär ist diese Entwicklung deswegen, weil so die Perspektive der Frauen als Bereicherung, Ergänzung und Konfrontation in der Kirche verloren gehen kann. „Der Preis, den das Patriarchat Kirche und Gesellschaft kostet, muss offenkundig werden – nicht nur, dass es für Frauen Unterdrückung und Ausgrenzung impliziert, sondern es bedeutet auch für die Männer die Entbehrung weiblicher Qualitäten als Bereicherung, Ergänzung und Konfrontation. Den subtilen Fallen und Verstrickungen, denen eine patriarchale Kultur unterliegt, auf die Spur zu kommen, wäre die Aufgabe von Männern und Frauen in einer Kirche, die Interesse daran hat, einen Gott zu verkünden, der den Menschen jenseits von Geschlecht, sozialer Stellung und religiöser Herkunft (Gal 3,28) nahe ist“ (Aigner/Bucher 2004, 78). Diesen Gedanken ernst zu nehmen und umzusetzen würde bedeuten, in dieser prekären Situation auch eine Chance zu sehen. Die Praxis wird darüber entscheiden, ob diese Möglichkeit letztlich obsiegen wird (vgl. Bucher 2004c).

      Dabei ist die Frauenfrage ein Zeichen der Zeit. Diese Einsicht wurde erstmals von Papst Johannes XXIII. formuliert.1 Zeichen der Zeit sind keine markanten Phänomene des Verfalls und Niedergangs, sondern Wegmarken, die die Botschaft vom Reich Gottes immer wieder neu herausfordern. Sie bezeichnen spezifische gesellschaftliche Ereignisse und Prozesse, die den Rahmen des Gewohnten sprengen. Sie bezeichnen gefährdete und bedrohte Existenz. Sie decken Zustände auf, in denen die Würde von Menschen und der Schöpfung auf dem Spiel steht. Sie bringen zum Ausdruck, wie es um die Existenz von Menschen und der Welt, in der sie leben, bestellt ist. Zugleich verweisen sie aber auf die Potenziale von Menschen, sich diesen Gefährdungen zu widersetzen (vgl. Wustmans 2000, 325–327).

      „Wer diese Zeichen benennt, wird dazu genötigt, sich mit den Menschen zu solidarisieren, die in diesen Zeiterscheinungen um die Anerkennung ihrer Würde ringen. Wer also auf die Zeichen der Zeit verweist, wird dazu getrieben, im Modus von Solidarität bei diesen Menschen eine alternative Lebensperspektive zu unterstützen oder ihnen eine solche anzubieten. Mit dem Benennen von Zeichen der Zeit werden zum einen Zeichen auf kritische Orte in den realen Lebensverhältnissen des Lebens gelegt wie zum anderen Zeichen für alternative Lebensverhältnisse gesetzt, die im Modus der sprachlich wie tatkräftig ausgeführten Solidarität bereits anwesend sind. Die Zeichen der Zeit und das, was in der Botschaft Jesu das Reich Gottes genannt wird, gehören deshalb zusammen. Es handelt sich um Heterotopien an den Orten, an denen die Menschwerdung von Menschen gefährdet ist“ (Sander 2005b, 868).

      In diesem Sinne ist die Aufgabe, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“ (GS 4, DH 1965, 4304), keine beiläufige und zu vernachlässigende СКАЧАТЬ