Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans
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СКАЧАТЬ nichtsdestoweniger sehr ernsthaften Religiosität koexistieren – und dies beileibe nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Individuum und eben wohl auch im Katholizismus“ (Bucher 1999, 97).

      Auf diese Entwicklungen hat die Kirche bislang nur unzureichend reagiert. Zum einen hat sie seit den 70er Jahren versucht, mit einer enormen Professionalisierung und Pluralisierung ihrer Angebote verlorenes Terrain gutzumachen. „Man weitete den nicht-klerikalen Teil des kirchlichen Personals bedeutend aus und besetzte viele Stellen mit hauptamtlich tätigen, zunehmend auch professionell qualifizierten und professionell entlohnten Personen. Wesentliche Teile des von der Kirche beschäftigten Personals, etwa in den Bereichen Diakonie, Aus- und Weiterbildung, Erwachsenenbildung oder auch Religionsunterricht, werden in Deutschland und Österreich von professionell ausgebildeten Laien gestellt“ (Bucher 2001, 268). Die Rolle des Pfarrers, der sich als Hirte um alle Belange seiner Herde kümmert, wurde durch den neuen Typ des Hauptamtlichen ausdifferenziert. Kirchliches Handeln geschieht heute eben nicht mehr nur in den Pfarreien, sondern in Schulen, Beratungsstellen, sozialen Einrichtungen, Betrieben, Krankenhäusern usw. durch hauptamtliche pastorale Mitarbeiter/-innen. Die Kirche hat in diesem Bereich die Pluralität aus ihrem Außen in ihr Innen getragen. Jedoch zeigt die Praxis inzwischen, dass oftmals die einzelnen Bereiche wenig oder nichts voneinander wissen. Vielfach gibt es keinen Austausch zwischen den einzelnen Systemen und im schlimmsten Fall machen sie sich gegenseitig Konkurrenz (vgl. Bucher 2004b, 114).

      Die Lage ist prekär und zunehmend wird deutlich, dass die katholische Kirche im deutschsprachigen Kontext eben auch mit dem Abstieg ihrer altbewährten Sozialformatierungen zurechtkommen muss. Besonders die Pfarrgemeinden stehen massiv unter Druck. Es fehlt an Priestern und auch die Aktiven kommen ihnen mehr und mehr abhanden. Zudem sind sie davon gekennzeichnet, dass sie viele Milieus überhaupt nicht erreichen (vgl. Wippermann/De Magalhaes 2005; Ebertz/Wunder 2009).

      Hervorstechend ist in diesem Zusammenhang das fast überall mehr oder minder gleiche Lösungsmuster: Es werden Pastoral- und Personalpläne entwickelt, die die Versorgung von immer weniger Gläubigen bei gleichzeitigem Priestermangel gewährleisten sollen. Diese Versorgung ist im Grunde an nur einer Größe ausgerichtet und diese nimmt im deutschsprachigen Bereich merklich ab: dem Priester (vgl. Sellmann 2010, 1010). Gerade diese Problemlösungsstrategie steht für ein Prinzip, das im Modus des Status quo handelt.

      Ein weiteres Problem von nicht minderer Tragweite ist der Rückgang der finanziellen Mittel. In besonders drastischer Weise wurde dies bereits in den Bistümern Aachen und Essen erlebt. Aber nahezu alle Bistümer haben mehr oder weniger drastische Sparpakete geschnürt. Vor allem durch Personalabbau und Kürzungen in der Seelsorge, im Kindergartenbereich und der Verwaltung sowie durch Reduzierungen des Gebäudebestandes sollen die Haushalte wieder ausgeglichen werden. In den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat man noch von reichlich fließenden Kirchensteuermitteln profitiert und in diesem Zusammenhang wurden viele Einrichtungen und Stellen geschaffen, was sich die Kirche heute nicht mehr leisten kann. Einrichtungen, die in den sogenannten fetten Jahren gegründet wurden, erscheinen heute als Luxus, den man sich nicht mehr leisten kann oder will. Mit den Sparmaßnahmen werden somit unweigerlich auch Einschnitte in die inhaltliche und pastorale Arbeit vorgenommen. Für so manchen Kürzungsbeschluss werden keine inhaltlichen Begründungen geliefert, sondern es wird mit der prekären Finanzlage argumentiert. Diese Entwicklung ist mindestens so heikel wie die finanzielle Situation so mancher Diözese.

      Die Krisenphänomene zeigen, dass die Kirche in Deutschland in der gesellschaftlichen Realität angekommen ist. Was sich in anderen Bereichen der Gesellschaft schon längst abgezeichnet hat und eingetroffen ist, greift nun auch in ihr Raum und stellt sie vor besondere Herausforderungen, die sich zum einen im Feld der finanziellen Belastungen bewegen, zum anderen im Kontext innerkirchlicher Pluralisierungen. Die erste Herausforderung ist relativ neu und die Wege, ihr zu begegnen, sind in den deutschen Diözesen unterschiedlich. Die einen haben einen Spar- und Erneuerungsprozess mit internen Kräften beschritten (Bistum Limburg). Wieder andere suchen im Kontakt und durch die Hilfe externer Berater, wie z. B. die Bistümer Aachen und Mainz, ihre Probleme schnell und effizient zu lösen. Zu der Lösungsstrategie, externe Berater wie McKinsey hinzuziehen, merkt Zulehner kritisch an: „Die Philosophie von McKinsey kommt aus der Wirtschaft und nicht aus der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Umso verwunderlicher ist es (aber was kann die Angst vor einem Konkurs nicht theologisch alles bewirken!), dass sich just dieser ökonomische Umgang mit der Kirche solch großer Beliebtheit erfreut. Ökonomische Effizienz ist insgeheim zur obersten Richtschnur geworden“ (Zulehner 2004, 111).

      Für die Bewältigung der zweiten Herausforderung, der innerkirchlichen Pluralisierung, ist ein Blick in die Kirchengeschichte nützlich. Es zeigt sich dann sehr schnell, dass innerkirchliche Pluralität keine Erfahrung neueren Datums ist. Aber mit dem Zweiten Vatikanum und mit der Pastoralkonstitution von Gaudium et spes und der dogmatischen Konstitution von Lumen gentium liegt der Kirche ein Entwurf vor, wie Pluralität gestaltet werden kann. In Lumen gentium wird Kirche von der Berufung aller Menschen durch Gott in Christus her entwickelt und verstanden. Kirche wird von ihren Mitgliedern her verstanden und zeigt sich somit als plurale Gegebenheit. In Gaudium et spes erkennt und benennt die Kirche die Chance und Notwendigkeit, von den Zeichen der Zeit her sich selber immer wieder neu zu entdecken. Der/die Einzelne und die Gesellschaft sind Orte der Theologie und damit wird die Pluralität zum Fundament und zum Prüfstein der Kirche selber (vgl. Bucher 1999, 99 f.).

      Die Kirche steht in der Differenz von innen und außen, von inhaltlichen Ansprüchen und gravierenden ökonomischen Engpässen, von den eigenen Glaubenssätzen und einer zunehmenden Tendenz der eigenen Mitglieder, sich über diese hinwegzusetzen und individuelle Neuarrangements des Religiösen und Spirituellen zu entwickeln (vgl. Höhn 2004, 16). Diese Differenzen sind eine massive Anfrage und Herausforderung, denen die Kirche nicht ausweichen kann. Sie muss sich diesen Differenzen stellen, denn nur so besteht die Möglichkeit, glaubwürdige und taugliche Antworten für die Menschen in der Welt von heute zu finden.

      Das Problem der Differenzen stellt sich nicht nur für die Kirche allein, sondern auch für ihre Mitglieder. Auch von ihnen verlangt die Situation, dass sie sich zu den Differenzen in der Welt von heute und in der Kirche in Beziehung setzen, und in besonderer Weise gilt dies vielleicht für die Frauen. Dabei hat es den Anschein, als würde gerade die Gruppe der Frauen auf die Ambivalenzen ihrer Biografien und die Differenzen, in die sie sich gestellt sehen, mit einem besonderen Bedürfnis nach Spiritualität reagieren. An ganz unterschiedlichen Orten kommen Frauen zusammen, um miteinander Liturgien und Rituale zu feiern. Sind sie ein Ausdruck von Pluralität und tatsächlich eine Reaktion auf die bedrängenden Ambivalenzen und Differenzen? Was suchen und entwickeln Frauen an diesen Orten? Wie werden diese von der institutionellen Seite der Kirche wahrgenommen? Wo finden sie Unterstützung? Wo wird ihnen mehr als nur Befremden entgegengebracht? Und wie beziehen sich die Frauen auf die Kirche und ihre traditionellen Formen der Glaubensfeier und der Inhalte des Glaubens? Diesen Fragen muss man sich stellen, wenn man verstehen will, was die Frauen bewegt, und zugleich davon ausgeht, dass ihre Praxis nicht nur für die Frauen einen Sinn hat, sondern auch für die Kirche von Bedeutung ist. Im Rahmen dieser Arbeit sind diese Fragen zentral. Sie soll eine Antwort auf diese Fragen bieten und zugleich einen Weg aufzeichnen, wie mit Pluralitäten und Differenzen in einer produktiven Art und Weise umgegangen werden kann.

      Bevor Frauen an unterschiedlichen Orten und aus sehr verschiedenen Kontexten zu Wort kommen, sollen hier zunächst zwei Blitzlichter vorgestellt werden, die den Rahmen weiter erhellen. Diese Blitzlichter legen den Schluss nahe, dass es sich bei der Frage nach dem Umgang mit der Pluralität in der Kirche und unter den Frauen um eine Herausforderung handelt, die sich nicht nur in Deutschland stellt, sondern auch in einem ganz anderen gesellschaftlichen Kontext, und exemplarisch sei hier auf den Kontext Brasilien verwiesen. Die Bezugnahme zu Brasilien hat eine biografische Begründung. Ich habe nach dem Abitur ein sozial-pastorales Jahrespraktikum in Brasilien absolviert und im Rahmen des Theologiestudiums auch ein Auslandssemester in São Paulo absolviert. In einer Millionenstadt in Brasilien treffen sich im großen Saal einer Ordensgemeinschaft ca. 30 Frauen. Sie tun dies regelmäßig. СКАЧАТЬ