Название: Balancieren statt ausschließen
Автор: Hildegard Wustmans
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
isbn: 9783429060312
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1.1.4 Geschichte der Frauenliturgiebewegung.
Überblick über Entstehung und zentrale Inhalte
Mit der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils hat sich die katholische Kirche eine Basis gegeben, um mit den Pluralitäten in ihrem Innern wie der Gesellschaft umzugehen. Dies wird nicht zuletzt im neuen Pastoralbegriff dieses Konzils zum Ausdruck gebracht. „Pastoral ist auf dem II. Vatikanum ein Gesamtbegriff für das evangeliumsgemäße Handeln der Kirche in der Gegenwart“ (Bucher 2004b, 35 f.). Es handelt sich dabei „um pastorale Solidarität, die der Glauben in den Problemen und Visionen der Menschen von heute einnehmen kann und in der er eine Autorität unter ihnen gewinnt“ (Sander 2005b, 610). Dazu bedarf es einer deutlichen Ortsbestimmung. Die Kirche soll „sich in den Zeichen der Zeit und damit unter den Menschen, oder genauer: in Liebe und Achtung der Menschen und deshalb mitten in ihren Nöten und Erwartungen, positionieren. Das ist der Vorgang der Pastoral. Sie hebt die Kirche nicht ab von der Zeit, sondern gibt ihr inmitten der Probleme und Entwicklungen der Zeit einen Ort“ (ebd., 701).
Betrachtet man jedoch die Realität, dann muss festgestellt werden, dass es an deren Umsetzung in der Praxis vielerorts mangelt bzw. die Realisierung nur unzureichend versucht wurde. In der Regel waren es Versuche und Unternehmungen der gemeindlichen Reform (vgl. Wess 1996). „Die gemeindetheologische Modernisierung der Nachkonzilszeit wollte freigeben (‚mündiger Christ‘) und gleichzeitig wieder in der ‚Pfarrfamilie‘ eingemeinden. Sie wollte Priester und Laien in ein neues gleichstufiges Verhältnis bringen – bei undiskutierbarem Leitungsmonopol des priesterlichen Gemeindeleiters. Sie wollte eine Freiwilligengemeinschaft sein, die aber auf ein spezifisches Territorium bezogen sein sollte, sie wollte für alle da sein, war es aber doch für immer weniger […]. Die Gemeindetheologie 1970 formulierte ein spezifisches innerkirchliches sozialtechnologisches Projekt. Sie versprach Vergemeinschaftung jenseits der Repression einer unverlassbaren Schicksalsgemeinschaft und doch diesseits der unheimlichen und ungebändigten Freiheit des Einzelnen“ (Bucher 2010, 314–316). Aber auch diese Versuche haben nicht verhindern können, dass kirchliche Sozialformen wie die Pfarrgemeinde unter Druck geraten sind und die Kirche ihr Monopol als „Anbieterin“ von geistlicher Begleitung und Ritual verloren hat. Ein nüchterner und analytischer Blick zeigt, dass sich die Kirche heute mehr denn je in die Konkurrenz mit anderen Religionen, mit Sufi-Meister/-innen, Göttinnenreligionen und weisheitlichen Lehren gestellt sieht.8
Die Pluralität der Mitglieder des Volkes Gottes anzuerkennen und sie als Orte der Theologie zu begreifen, ist noch immer ungewöhnlich und fällt schwer. Denn das bedeutet für das pastorale Handeln: „Wir müssen permanent versuchen, Sinn und Bedeutung des Evangeliums auch aus der Perspektive der anderen zu entdecken. Es genügt nicht, die alten Formeln des Glaubens nur zu wiederholen, selbst wenn sie für uns tatsächlich etwas bedeuten – was allerdings weder selbstverständlich noch ein für alle Mal gesichert ist. Ohne diese Fähigkeit zum Perspektivenwechsel ist in Zukunft und auch heute schon keine Pastoral mehr möglich. […] Der Kontrast zwischen diesen vielen Welten und unserer (durchaus vielleicht gerne bewohnten) kirchlichen Welt braucht nicht versteckt zu werden: Es gilt, ihn vielmehr kreativ werden zu lassen. […] Das aber ist die Aufgabe der Kirche und aller Pastoral: Kirche wird das Volk Gottes, wenn sie in Wort und Tat das Evangelium vom Leben der Menschen her eröffnet und das Leben vom Evangelium her begreift“ (Bucher 2004b, 40).
Für die Kirche in ihrem Verhältnis zu Frauen würde eine Umsetzung dieses zentralen Gedankens bedeuten, dass die, die sich im Innen der Kirche engagieren, nicht mehr wie ein Außen behandelt werden können. Sie stellen ein Potenzial einer veränderten Kirche dar, die mit der Zeit mithalten könnte. Aber sie sind es nicht, weil sie z. B. im rituellen Kernbereich unterrepräsentiert sind. Sie kommen am wenigsten vor: Die Sprache, die Bilder und der Erfahrungsrahmen der meisten kirchlichen Vollzüge sind männlich geprägt. Frauen sind vielfach Unerhörte in der Kirche (vgl. Wustmans 2001). Dies zu erleben schmerzt Frauen. Sie erfahren dies in besonderer Weise auch in der rituellen Praxis der Kirche. Denn diese scheint weitgehend den Status quo zu stabilisieren und ihr Potenzial der Veränderung, der Überschreitung, der Heilung mehr und mehr einzubüßen. Dabei sollten religiöse Rituale immer eine doppelte Funktion haben: einerseits den Menschen helfen, in die Ordnung der Gemeinschaft hineinzuwachsen und sich in ihr sicher zu fühlen. Sie bieten einen Ort und eine Möglichkeit, Erfahrungen im Leben von Menschen zu deuten und Sinn zu vermitteln. Diese Seite von Ritualen bildet die Ordnung der Dinge in der Kirche ab und sie stabilisiert die Machtverhältnisse in der Kirche. Andererseits helfen Rituale, Ordnungen zu überschreiten, heilvollere Zustände vorwegzunehmen, gegen Missstände zu protestieren, Hoffnungen lebendig zu halten, zu trösten und aufzurichten. Rituale dienen demnach auch dazu, soziale Übergänge und die Not mit diesen Übergängen zur Sprache zu bringen. Für ihre stabilisierende Form brauchen Rituale Wiederholungen, eine feste Ordnung, feststehende Rollen und vertraute Worte.
Im Rahmen der kirchlichen Ordnung der Dinge gibt es davon viel. Aus der Sicht von Frauen betrachtet fällt dabei jedoch auf, dass diese selten den Schatz ihrer Erfahrungen und die Nöte ihres Lebens zum Gegenstand haben. Ihre spezifischen Nöte und Sorgen, Freuden und Hoffnungen finden kaum einen adäquaten Ausdruck. Die allgemeinen rituellen Formen der Kirche und ihre Sprache verlangen von den Frauen vielmehr eine dauernde Übersetzungsarbeit in ihren Kontext. Dieses Erleben ist vielfach der erste Schritt, nach Wegen und Formen zu suchen, wie Frauen ihren Glauben ausdrücken und feiern können. Die Erfahrung, die Frauen in der Kirche als Unerhörte machen, führt nicht zwangsläufig in die Depression oder in den Auszug aus der Institution, sondern sie kann auch Kreativität und Energien freisetzen (vgl. Federmann 2000, 149–155). So haben Frauen an unterschiedlichen Orten angefangen, nach Worten, Liedern und Tänzen zu suchen, die ihren Glauben zum Ausdruck bringen. Frauen begeben sich auf den Weg, in selbst gestalteten Liturgien/Ritualen die „Wunden ihres Lebens zu heilen und Feste der Befreiung zu feiern“ (vgl. Ruether 1988). Sie erobern Räume, suchen Orte auf, an denen sie ihre Spiritualität leben, neu entdecken und feiern.
Liturgie ist ein wesentlicher locus theologicus des Glaubens (vgl. Klinger 1978; Sander 1998; Körner 1994). An diesem Ort zeigt sich, woran die Gemeinschaft glaubt und worauf sie hofft. Es wird erfahrbar, wie sie ihren Glauben deutet und ihm Ausdruck verleiht. Lex orandi und lex credendi sind ummittelbar aufeinander bezogen. „Wie geglaubt wird, so wird gebetet, und die Forme(l)n des Gebets prägen den Glauben“ (Prüller-Jagenteufel 1999, 78). An den unterschiedlichen Orten in der Welt werden glaubende, suchende Menschen herausgefordert, die Sprache ihres Glaubens zu finden. Diese Herausforderung ist nicht neu, auffallend ist aber seit den 80er Jahren, dass immer mehr Frauen sich aufgemacht haben, nach einer Sprache für ihren Glauben zu suchen und diesen auch in von ihnen entwickelten Liturgien zu feiern. Insofern kann man „die Frauenliturgiebewegung als eine liturgische Erneuerungsbewegung“ verstehen (vgl. Enzner-Probst 2008, 41; Müller 2000, 343 f.). Diese Bewegung ist weltweit aktiv und weist „einerseits charakteristische Merkmale ihrer liturgischen Praxis auf, andererseits aufgrund ihrer kontextuellen Bezogenheit so viele Unterschiede, dass es nicht leicht fällt, sich einen Überblick zu verschaffen“ (Enzner-Probst 2008, 71). Es ist problematisch, diese Bewegung und die Inhalte genau festzulegen, weil Frauen sich in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen und Settings zusammenfinden. In der Definition des Begriffs „Frauenliturgie“ folge ich Enzner-Probst, die mit Frauenliturgie ebenfalls rituelle Formen von Frauen innerhalb der christlichen Tradition bezeichnet: „Als Bezeichnung für die innerhalb christlicher Tradition angesiedelten liturgischen Gestaltungen wähle ich im Folgenden den Terminus ‚Frauenliturgie‘“ (Enzner-Probst 2008, 64). Mit ritueller Praxis werden jene Ausdrucksformen bezeichnet, die in postchristlichen Kontexten entwickelt und gefeiert werden СКАЧАТЬ