Название: Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl
Автор: Christopher Germer
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783867813341
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Sowohl das Annehmen als auch das Selbstmitgefühl scheinen uns leichter zu fallen, wenn wir aufgehört haben, zu kämpfen und uns nicht länger darum bemühen, uns besser zu fühlen. Die Anonymen Alkoholiker nennen diesen Zustand „das Geschenk der Verzweiflung“. Wenn alle Versuche fehlgeschlagen sind, werden wir wahrscheinlich empfänglicher dafür, uns anzunehmen und Mitgefühl entgegenzubringen. Obwohl Sie sich vielleicht immer noch besser fühlen wollen, glauben Sie nicht mehr daran, dass Ihnen noch irgendetwas helfen kann. Ihr Vertrauen ins Leben ist fast auf dem Nullpunkt, der Verstand hat alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft.
An diesem Punkt haben wir die Chance, vom Kopf zum Herzen zu gelangen. Selbstmitgefühl entfaltet sich auf einer Ebene jenseits des Intellekts und des Bemühens. Wenn wir uns inmitten des Leidens wiederfinden und uns die Heftigkeit unseres Kampfes eingestehen, beginnt sich das Herz ganz von selbst zu öffnen. Wir mühen uns nicht länger damit ab, uns besser zu fühlen, sondern entwickeln Zuneigung zu uns selbst. Wir fangen an, uns liebevoll zu umsorgen, weil wir leiden.
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen „umsorgen“ und „kurieren“. Wir wollen etwas „kurieren“, wenn wir eine Möglichkeit haben, ein Problem zu beheben. Aber wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft und alle Bemühungen um Heilung fehlgeschlagen sind, können wir immer noch fürsorglich sein. Es ist wie beim Umsorgen eines sterbenden Menschen: Wir geben den Kampf auf und nehmen empfindsam Anteil an der Erfahrung des Sterbens. Auf der emotionalen Ebene wird es uns umso besser gehen, je eher wir aufhören, darum zu kämpfen, dass es uns besser geht. Paradoxerweise führt dann die Fürsorglichkeit zur Heilung.
Das englische Wort für Mitgefühl – compassion – stammt vom Lateinischen ab: com (mit) und pati (leiden) oder „Mitleiden“. Wenn wir echtes Mitgefühl empfinden, nehmen wir am Leiden eines Menschen Anteil. Mitfühlend zu sein bedeutet, dass wir den Schmerz eines anderen Menschen anerkennen, dass wir unsere Angst vor oder unseren Widerstand gegen sein Leiden aufgeben und dass ein natürliches Gefühl der Liebe und Zuneigung zu dem leidenden Individuum strömt. Mitgefühl ist das völlige Loslassen des Widerstandes gegen emotionales Leid. Es ist totales Annehmen: der betroffenen Person, des Schmerzes sowie unserer eigenen Reaktionen auf den Schmerz.
Selbstmitgefühl bedeutet einfach, dass wir uns selbst dieselbe Freundlichkeit entgegenbringen, mit der wir uns um andere kümmern würden. Wie ich schon in der Einleitung erklärt habe, kann bereits ein kleiner Wechsel der Blickrichtung unser Leben völlig verändern – sowohl in leidvollen Zeiten als auch im Umgang mit unseren Alltagsproblemen. Mitgefühl mit sich selbst zu haben ist eigentlich ein natürlicher menschlicher Instinkt – manchmal verschüttet oder unterdrückt –, der noch stärker ist als der instinktive Widerstand gegen den Schmerz. Glücklicherweise kann jeder dieses Selbstmitgefühl wiederentdecken.
Unbefangen herangehen
Sollten Sie diese Aussagen zunächst befremdlich oder verwirrend finden, lassen Sie sich bitte nicht abschrecken. Wenn Sie anfangen, sie in die Praxis umzusetzen, werden Sie den Sinn dahinter erkennen. Die folgenden Kapitel führen Sie Schritt für Schritt, bis Sie sich selbst Liebe geben können, wann immer Sie es nötig haben.
In den Kapiteln 2 und 3 geht es um Achtsamkeit: Wie können wir in jedem Augenblick liebevoll und wach wahrnehmen, was in uns vorgeht? Die meisten von uns sind so tief in den alltäglichen Dingen verstrickt, dass sie es noch nicht einmal merken, wenn sie leiden. Aber wir müssen das Problem lokalisieren – den Stachel im Herzen –, bevor eine Lösung überhaupt möglich wird. In Kapitel 2 erfahren Sie, wie Sie Ihren Körper sicher und mitfühlend achtsamer wahrnehmen können, und Kapitel 3 dehnt dieses Gewahrsein auf die emotionale Ebene aus. Ab Kapitel 4 lernen Sie dann, Selbstmitgefühl zu entwickeln.
Denken Sie nun bitte nicht, es käme eine Menge Arbeit auf Sie zu. Einer meiner Patienten sagte einmal über die Liebe zu sich selbst: „Es hat nichts mit kämpfen zu tun und deshalb ist es gar nicht so schwer, wie ich dachte.“
Vielleicht ertappen Sie sich dennoch gelegentlich dabei, wie Sie eine Übung mit grimmiger Entschlossenheit praktizieren. Damit muss man rechnen – alte Gewohnheiten sind hartnäckig. Versuchen Sie wahrzunehmen, wenn Sie sich anstrengen, und schauen Sie, ob Sie einen Weg finden können, dasselbe mit mehr Leichtigkeit und Freude zu tun. Wir wollen unserem Leben ja nichts hinzufügen, sondern etwas wegnehmen: Die Spannung, die wir uns unbewusst aufzwingen, um unsere Erfahrungen zu kontrollieren oder zu manipulieren.
Die der Achtsamkeit und dem Selbstmitgefühl zugrunde liegenden Prinzipien sind mindestens ebenso wichtig wie die Techniken, die Sie nun lernen werden. Der Sinn hinter den Techniken muss klar sein. Wenn Sie beispielsweise feststellen, dass eine Übung nicht funktioniert, könnte es sein, dass Sie „Selbstverbesserung“ praktizieren anstatt „Selbstakzeptanz“. Sie müssen den Unterschied kennen. Haben Sie erst einmal ganz und gar verstanden, was Achtsamkeit und Selbstmitgefühl bedeuten, können Sie die in diesem Buch beschriebenen Übungen abändern und an jede Situation anpassen.
Sollten irgendwann einmal gewisse Zweifel auftauchen, ob Sie je fähig sein werden, mitfühlender und liebevoller mit sich selbst umzugehen, dann halten Sie inne und schenken Sie sich gerade in diesem Moment ein wenig Freundlichkeit. Damit tun Sie genau das, worum es in diesem Buch geht.
Sich fürsorglich um sich selbst kümmern
Meistens kümmern wir uns um andere – was sie fühlen, sagen oder tun. Selten schenken wir uns dieselbe Fürsorge und Aufmerksamkeit. Das wollen wir jetzt versuchen. (Sie können dabei nichts falsch machen.)
• Suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie ungestört sind, setzen Sie sich bequem hin, schließen Sie die Augen und spüren Sie, wie es sich anfühlt, in Ihrem Körper zu sein. Nehmen Sie einfach wahr, wie die körperlichen Empfindungen kommen und gehen, ohne sich besonders auf eine zu konzentrieren. Ist es eine angenehme Empfindung, registrieren Sie sie einfach und lassen Sie sie wieder los. Ist es eine unangenehme, tun Sie dasselbe. Vielleicht spüren Sie Wärme in Ihren Händen, das Gewicht Ihres Körpers auf dem Stuhl oder Sessel, ein Kribbeln in der Stirn? Nehmen Sie diese Empfindungen aufmerksam wahr, so wie eine Mutter ein neugeborenes Baby betrachten und sich fragen würde, was es wohlfühlt. Registrieren Sie einfach alles, was auftaucht – eine Empfindung nach der anderen. Nehmen Sie sich Zeit.
• Öffnen Sie nach etwa fünf Minuten langsam die Augen.
2 Auf den Körper hören
Es ist einfach nur Aufmerksamkeit, durch die wir das Singen eines Vogels wirklich hören, die großartige Schönheit eines Herbstblattes wirklich sehen, das Herz eines anderen Menschen berühren und berührt werden.
CHRISTINA FELDMAN UND JACK KORNFIELD
Es ist nicht leicht, in einem menschlichen Körper zu leben, aber zum Glück sind wir mit allem Notwendigen ausgestattet. Wir verfügen über die menschlichen Eigenschaften „Bewusstsein“ und „Mitgefühl“. Der erste Schritt zu körperlichem Wohlbefinden besteht darin, den eigenen Körper aufmerksam wahrzunehmen. Wir müssen wissen, was uns plagt. Dann können wir mitfühlend darauf reagieren.
Wenn wir leiden, ist nicht immer sofort offensichtlich, worin das eigentliche Problem besteht. Werde ich zum Beispiel von meiner Firma entlassen, empfinde ich das möglicherweise als ungerecht und denke, dass mein Chef irgendetwas gegen mich persönlich hatte. In schlaflosen Nächten verzweifle ich vielleicht bei dem Gedanken, dass ich nicht in der Lage bin, meine Familie anständig zu ernähren und stelle mir vor, wie ich mich an meinem Chef räche. Aber wo bin ich – die verletzte Seele – bei all dem geblieben? Verschwunden! Ich habe mich in meinen СКАЧАТЬ