Название: Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl
Автор: Christopher Germer
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783867813341
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1. Phase: Abwehr
Der Verlust eines Kindes ist ein unbeschreiblicher Schmerz. Obwohl Brenda und Doug wussten, dass Zach wahrscheinlich nicht lange leben würde, konnte sie nichts auf diesen Schmerz vorbereiten. Es war ein „emotionaler Tsunami“. Beim Begräbnis war Brendas Nervensystem so überlastet, dass ihr peripheres Sehen nicht mehr funktionierte. Nachdem sie nach jüdischer Sitte die siebentägige Trauerzeit Shiva gehalten hatte, legte sie sich ins Bett, und verließ es nur noch selten, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Brenda fühlte sich unter Menschen wie eine Fremde und beobachtete völlig unbeteiligt, wenn jemand in der Kassenschlange ein Aufhebens machte, weil er seine Lieblingsnudeln nicht hatte finden können. Sie hatte sich ganz in sich selbst zurückgezogen.
2. Phase: Neugier
Irgendwann kam Brenda der Gedanke: „Wenn ich einfach aufgeben würde, könnte ich sterben“. Das erschien zunächst wie eine Erlösung, aber dann kam Panik hoch: „Was ist mit meiner Tochter? Was würde sie tun? Ich kann entweder in meinem Leid versinken oder eine bewusste Entscheidung treffen.“ Brenda wachte allmählich auf und erkannte ihre Situation. Ihr wurde klar: „Sich schlecht fühlen kann auch gefährlich sein.“
3. Phase: Toleranz
Nach zwei Wochen beschloss Brenda, das Bett zu verlassen. „Ich war entschlossen, für meine Tochter zu leben.“ Als Kind hatte sich Brenda um ihre eigene Mutter kümmern müssen. Deshalb wollte sie auf keinen Fall, handlungsunfähig durch ihre Trauer, zu einer Belastung für ihre Tochter werden. „Ich muss als Mutter für sie da sein. Das Leben gehört den Lebenden,“ sagte sie sich. Später erklärte sie mir einmal: „Für andere da zu sein war das Einzige, das mein Leid lindern konnte.“
4. Phase: Zulassen
Brenda beschreibt sich selbst als eher „intellektuellen Typ“, der Probleme durch gründliches Nachdenken zu lösen versucht, nach dem Motto: „Wenn dein Ansatz nicht funktioniert, probiere es mit einem anderen“. Aber die Wucht der Trauer hatte sie völlig unvorbereitet getroffen. Sie und Doug hielten ihren Kummer auf einem erträglichen Level, indem sie Zachs Grab nur zweimal jährlich besuchten und hin und wieder seine Sachen hervorholten und betrachteten. „Wusstest du, dass sein Geruch nach fünf Monaten aus dem Bademantel verschwindet?“ Nach und nach konnten beide mehr Schmerz zulassen, wenn sie bei diesen „Besuchen“ zusammen weinten.
Innerlich hielt Brenda eine liebevolle Beziehung zu Zach aufrecht. Diese Verbindung wollte sie nicht aufgeben, und das war auch gar nicht nötig. Brenda stellte fest, dass sie sich Zach immer dann nahe fühlte, wenn sie traurig war. Aber sie fühlte sich ihm auch nahe, wenn sie eine Welle der Dankbarkeit verspürte – Dankbarkeit dafür, dass sie ihn überhaupt gekannt hatte. Brenda war damals in psychotherapeutischer Behandlung und einmal fragte sie ihren Therapeuten: „Ist es in Ordnung, eine lebendige Beziehung zu einem verstorbenen Menschen zu haben?“, und er erwiderte: „Warum nicht? Schmerz und Dankbarkeit sind Formen der Liebe.“ Brenda verließ sich auf ihre Intuition, um in ihrer Beziehung zu Zach ein gesundes Maß zu finden.
5. Phase: Anfreunden
Als ich Brenda 17 Jahre nach dem Tod ihres Sohnes begegnete, sagte sie zu mir: „Der Schmerz über Zachs Tod hat mich mit allen Müttern verbunden, die je ein Kind verloren haben.“ Zwei Jahre später nahm sie an einem Meditations-Retreat teil, bei dem der Meditationslehrer die Teilnehmer einlud, „mit ihrem Leid in Kontakt zu treten.“ Brenda hörte eine innere Stimme sagen: „Tu’ es nicht!“ Daraufhin sagte der Lehrer zu ihr: „Wenn du die schwierigen Momente nicht voll und ganz erleben kannst, wirst du wahrscheinlich auch die besten Momente deines Lebens nicht voll und ganz erleben.“ In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie an ihrem Schmerz festgehalten hatte, und sie dachte: „Vielleicht brauche ich das gar nicht mehr?“ Gegenüber ihrer 32-jährigen Tochter hatte sie diese Begebenheit mit keinem Wort erwähnt, aber eine Woche nach dem Retreat rief die Tochter bei ihr an und bat sie um die Adresse eines guten Psychotherapeuten, um über den Tod ihres Bruders sprechen zu können. Dass Brenda nun lernte, mit ihrem Schmerz Freundschaft zu schließen, hatte vielleicht ihre Tochter auf unsichtbaren Wegen dazu gebracht, dasselbe zu tun. Brenda sagte zu mir: „Ich habe so viele Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass ich voll und ganz lieben kann, ohne zu leiden.“
Diese Geschichte zeigt uns, wie unser Widerstand gegen unerträglichen emotionalen Schmerz allmählich aufweichen kann. Die einzelnen Phasen verlaufen nicht unbedingt linear. An manchen Tagen fallen wir zurück und an anderen machen wir einen Sprung nach vorne. Je größer der Schmerz, desto länger brauchen wir, um die Phasen des Annehmens zu durchlaufen. Es hilft jedoch nichts, wenn wir versuchen, den Prozess zu beschleunigen, denn das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass wir den Schmerz eher wegschieben wollen, anstatt zu lernen, ihn anzunehmen. Dieses Buch will Ihnen zeigen, wie Sie das Annehmen Tag für Tag üben können – insbesondere im Hinblick auf sich selbst.
Vom Annehmen zum Selbstmitgefühl
In der Psychotherapie erkennt man heute zunehmend, wie wichtig das Annehmen des emotionalen Schmerzes für den Heilungsprozess ist. Wenn jemand zum Psychotherapeuten geht und sagt: „Ich bin total gestresst“, versucht der Therapeut normalerweise, diesem Menschen zu helfen, seinen Stresspegel zu senken – etwa indem er ihm Entspannungstechniken beibringt. In dieser Hinsicht sind Psychotherapeuten sehr gefällig. Manchmal versuchen sie, negative Denkmuster zu verändern, die die Depressionen des Klienten auszulösen scheinen (wie beispielsweise „Ich bin dumm“ oder „am Ende werde ich doch immer verlassen“). Diese Strategien fallen unter die Rubrik: „Schildere mir das Problem, und wir lösen es.“ Im Grunde gehen Therapeuten und Klienten hier eine unbewusste Allianz ein, um negative Erfahrungen auszumerzen.
Mit solchen Ansätzen konnte man einigen Erfolg erzielen, doch neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass der Heilungsprozess im Rahmen einer erfolgreichen Therapie anders verläuft, als wir bisher dachten: Es ist ein Prozess, bei dem wir ein ganz neues Verhältnis zu unseren Gedanken und Gefühlen entwickeln, anstatt sie direkt anzugehen und zu versuchen, sie zu ändern. Dieses neue Verhältnis ist weniger vermeidend, weniger verstrickend, annehmender, mitfühlender und bewusster. Indem wir unseren Problemen mit offenen Augen und Herzen begegnen – mit Wachheit und Mitgefühl – erfahren wir emotionale Heilung.
Was ist Akzeptanz?
Wie bereits erwähnt, schließt das „Akzeptieren“ oder „Annehmen“ eine Reihe von Erfahrungen ein, wie beispielsweise Neugier, Toleranz, Bereitschaft und Freundschaft. Das Gegenteil von Akzeptanz ist Widerstand. Wo Widerstand Leid erzeugt, wird Akzeptanz Leid lindern. Akzeptieren bedeutet nicht, schlechtes Verhalten einfach hinzunehmen, sondern sich emotional dem zu öffnen, was im gegenwärtigen Moment in unserem Innern vor sich geht. Wenn Sie in einer leidvollen Beziehung leben, bedeutet Akzeptanz nicht, „Ja“ zu der Beziehung als Ganzes zu sagen, sondern eher, sich einzugestehen: „Das tut weh!“ Ich konnte oft beobachten, dass Menschen ihr Leben änderten – Beziehungen, Essgewohnheiten, Jobs –, wenn sie mit den Gefühlen in Kontakt kamen, die eine Situation oder ein Verhalten in ihnen auslösten, und wirklich spürten, wie sehr sie darunter litten. Akzeptanz hat nichts mit Resignation oder Stagnation zu tun, denn auf das Annehmen folgt die Veränderung ganz von selbst.
Aber wir müssen wissen, was wir annehmen oder akzeptieren. Wenn wir nicht „wach“ sind, kann es sein, dass unser Akzeptieren zur Anpassung wird, so wie bei vielen Menschen, die für einen politischen Kandidaten stimmen, den sie kaum kennen. Blinde Akzeptanz kann auch in Sentimentalität ausarten – man überdeckt die Realität mit einem Zuckerguss. All das hat überhaupt nichts mit echtem Annehmen zu tun und führt letztendlich dazu, dass wir noch mehr leiden. Wenn ich in diesem Buch von „Akzeptanz“ oder „Annehmen“ spreche, meine ich die bewusste Entscheidung, die eigenen Empfindungen, Gefühle und Gedanken im gegenwärtigen Moment zu erleben, wie sie sind.
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