Название: Das Abenteuer meiner Jugend
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818746
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Im Familienkreis galt ich als das verhätschelte, zutunlich weiche Nesthäkchen. Man wusste hier nichts – und nicht einmal ich selber wusste es – von dem Ruf, den ich auf der Gasse genoss, wo ich als ein verwegener, durchtriebener, gänzlich furchtloser Bursche genommen wurde. Wie oft war die Nacht über unserer wilden Spielerei hereingebrochen: der finsterste Winkel im Eifer des Kriegsspiels schreckte mich nicht.
Jetzt, im anderen Seelenkostüm, war ich scheu, ängstlich, furchtsam, verzärtelt, zimperlich. Nur mit heroischer Überwindung konnte ich dem Wunsche des Vaters nachkommen. Schon die Überquerung des Platzes, wo sommers die Droschken standen, war keine Kleinigkeit. Es kam dann das Ersteigen der Freitreppe mit dem tiefen, düstern Raume als Hintergrund. Kaum dass ich den hallenden Boden betrat, auf dem die dicken Schatten der Säulen lagen, fing ich auch schon zu laufen an, worauf sogleich vom Schall meiner Sohlen Tausende dämonischer Stimmen laut wurden. Sie schrien und peitschten allseitig auf mich ein. Und nun kamen die blinden Glastüren der Kursäle, die, eisige und leere Höhlen, dahinter lauerten. Das Kurhaus war im Winter geschlossen. Die Scheiben klirrten von meinem Schritt, und unter mir tönte hohl die Holzdiele. Zur Rechten hatte ich den scheußlichen Sichdichfür, worin ich mir etwas wie lauernde mörderische Erinnyen vorstellte. Wenn ich den Hut nun durchaus nicht entdecken konnte, lief ich, vielleicht mich anders besinnend, nicht wie gehetzt davon und zurück, sondern bewegte mich steif und auf lautlos-furchtsame Weise. Und nun traten wohl vor die vernagelten Läden die sommerlichen Inhaber: das Gespenst Gertischkes, des Porzellanmalers, des Glaswarenhändlers Krebs, von dem bekannt war, dass er überall seinen Sarg mit sich führte. Das alles war mehr als gruselig.
*
Damals war Beleuchtung durch Gas eben aufgekommen. Mein Vater neigte zu jeder Art von Modernität, so legte man auch in der Preußischen Krone Gasröhren. Die Brenner mit der in einer Explosion sich entzündenden fächerförmigen Flamme waren primitiv. Unsere verhältnismäßig kleinen Wohnzimmer erfüllten winters an langen Abenden giftige Rückstände. Das rügte die allen Neuheiten abgeneigte Mutter. Den Stolz des Vaters auf diese Art Beleuchtung beugte das nicht.
Eines Tages nahm er mich mit in die Gasanstalt. Nun wurde mir deutlich, dass die Gasbeleuchtung von Ober-Salzbrunn überhaupt unter seiner Leitung stand und von ihm eingerichtet worden war. Die Heizung der Retorten und die Bedienung des Gasometers lag in der Hand eines Werkmeisters namens Salomon. Er, den selbst ich sofort als Lungenkranken erkennen konnte, hatte vielleicht die Salzbrunner Stellung in der Hoffnung, an den Heilquellen zu genesen, angenommen. Dieser Salomon mit seinem Ernst, seiner hohlen Stimme, seinem blauen Kittel, mit der Kohlenschaufel vor der zitternden Weißglut seiner Retorten hat mir einen tiefen Eindruck gemacht. Ich sah zum ersten Mal den modernen Arbeiter, eine Menschenart, die mir einen ganz anderen Respekt abnötigte als jede, die mir sonst vor die Augen gekommen war. Ein neuer Adel, schien mir, umgab diesen Mann, der hier seine Höllenschlünde in Brand setzte, in ihrer gefährlichen Nähe hantierte mit gelassener Selbstverständlichkeit und einem unbeirrbaren Pflichtgefühl. Er erklärte mir, wie man den Gasometer auffüllte, und mein Vater deutete an, dass ein einziger hineinverirrter Funke eine Explosion verursachen könne, die uns alle in Stäubchen zerreißen würde.
Welche Atmosphäre von schlichtem Mut, Opferbereitschaft in jedem Augenblick, ernstem Willen zur Verantwortung umwitterte diesen Mann, über den ich von Stund an immer wieder nachdenken musste.
Der respektvollen Art meines Vaters diesem Manne gegenüber konnte ich anmerken, dass er ähnlich wie ich zu ihm stand.
1 Zwicker, Brille ohne Bügel <<<
2 (Lat.) notgedrungen, wohl oder übel <<<
3 Kerngehäuse <<<
Fünfzehntes Kapitel
Mein Vater war Jäger, hatte selbst eine Jagd gepachtet und wurde vielfach, so auch von der fürstlich-plessischen Jägerei, zu Jagden geladen. Seine Heldentaten, die ich ihn selbst nicht erzählen hörte, belebten immer aufs neue den Familienstolz. Eine Doublette in Hirschen, die er bei einet Verlappjagd in den Görbersdorfer Bergen, dem Revier Onkel Adolfs, im wahren Sinne des Wortes erzielt hatte, war der Höhepunkt. Dann kam ein erlegtes Hermelin, in der Nähe von Salzbrunn als Wunder empfunden. Mein Vater hatte geglaubt, ein Stück Papier zu sehen, das der Wind bald so, bald so hin und her bewegte. Eigentlich mehr aus Schießlust hielt er mit der Doppelflinte darauf, worauf der Papierfetzen seine Tänze einstellte. Was er aufnahm und als Trophäe heimbrachte, war, wie gesagt, ein Hermelin.
Zufällig eines Nachts war ich wach, als mein Vater sich für den Pirschgang zurechtmachte. Als er mit seinen Verrichtungen fertig war, zog es ihn in seiner vollen winterlichen Vermummung zum Abschied noch einmal an mein Bett, und er wollte mir zärtlich mit den Fingern durchs Haar fahren. Beim Dämmer des Nachtlichtchens aber geriet unversehens ein Finger mit heftigem Stoß in mein linkes Auge. Die Funken stoben aus meinen Wimpern.
Ich habe meinen Vater kaum je lieber gehabt als in diesem Augenblick. Noch größeren Schmerz hätte ich auf mich genommen, wenn ich den seinen und seinen Schreck damit hätte zu mildern vermocht. Er legte sogleich alle Jagdutensilien ab, und er und die Mutter machten mir nasse Umschläge. Erst als der Schmerz sich beruhigte und mein Auge sich als unbeschädigt erwiesen hatte, trat er, und zwar nur auf Zureden meiner Mutter, den Pirschgang doch noch an.
Ein ähnlicher Vorfall hat, wie ich fürchte, eine kleine Folge zurückgelassen. Eines Tages im Herbst erlaubte mein Vater mir, ihn zu begleiten, als er mit der Flinte ein wenig das Gelände absuchen wollte. Ich war erstaunt, wie er ohne Weg und Steg in jeder gewünschten Richtung über die Felder von Hinz und Kunz mit mir stapfen durfte. Ein Dutzend Schritte abseits von ihm, hörte ich ihn dann das Kommando »Duck dich!« rufen. Ich tat es, wobei ich das СКАЧАТЬ