Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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СКАЧАТЬ Va­ter mit mir eine Rei­se nach der Pro­vin­zi­al­haupt­stadt an. Es scheint, dass die Kon­sul­ta­ti­on ei­nes Der­ma­to­lo­gen dann das quä­len­de Übel be­hob.

      Die Fahrt nach Bres­lau ge­sch­ah auf der kaum fer­tig­ge­wor­de­nen Stre­cke der Bres­lau-Frei­bur­ger Ei­sen­bahn. Man er­reich­te den Zug in Frei­burg oder Alt­was­ser. Ich ver­moch­te, nach Hau­se zu­rück­ge­kehrt, in Schil­de­run­gen des Wun­der­ba­ren, das ich er­lebt hat­te, be­son­ders in der Schu­le, mir nicht ge­nug zu tun.

      In Wahr­heit nahm ich das heu­len­de, zi­schen­de, don­nern­de Dampfroß, das mit dem Zuge schwe­rer Wa­gen blitz­schnell da­hin­stürm­te, als eine Ge­ge­ben­heit. Schließ­lich war es kein grö­ße­res Wun­der als ir­gen­det­was von dem, was mei­nem Hin­ein­schrei­ten in die Welt in end­lo­ser Fül­le über­all ent­ge­gen­kam. Die Ma­schi­ne pfiff, wenn wir uns ei­ner Sta­ti­on an­nä­her­ten, wor­auf der Schaff­ner, den je­der Wa­gen hat­te, mit al­len Kräf­ten bis zum Krei­schen der Schie­nen die Brem­se zog. Wäh­rend der Fahrt be­schäf­tig­te mich am meis­ten das Spiel der Te­le­gra­fen­dräh­te, ihr Auf und Ab vor den Fens­tern. Ich wuss­te nicht, wie ihre Be­we­gung zu­stan­de kam. Pein­lich emp­fand ich die Ohn­macht uns­rer Ge­fan­gen­schaft und war be­freit, als wir in Bres­lau aus­stei­gen konn­ten. Mein Va­ter selbst aber war viel­leicht die we­sent­li­che Ent­de­ckung, die ich bei die­ser Bahn­fahrt ge­macht habe.

      Er war auf ein­mal mein Ka­me­rad und nicht mehr die stei­fe Re­spekts­per­son. Das in­ti­me Ver­hält­nis von gleich und gleich über­traf noch den Zu­stand, wie er bei Fuhr­mann Krau­se herrsch­te. Auf jede mei­ner Be­mer­kun­gen ging er mit schalk­haf­ter Mie­ne ein, mit­un­ter la­chend, so­dass ihm un­ter den schar­fen, gold­ge­rahm­ten Bril­lenglä­sern die Trä­nen her­un­ter­roll­ten. Was sich dann im gan­zen au­ßer der ärzt­li­chen Kon­sul­ta­ti­on be­gab, war für mei­nen zar­ten Or­ga­nis­mus zu viel. So warf mich nachts mein re­bel­lie­ren­des Hirn aus dem Bett, und als mich mein Va­ter mit­ten im Zim­mer fand und auf­weck­te, über­fiel mich ein un­auf­halt­sa­mer, hem­mungs­lo­ser Heim­weh­krampf.

      Der städ­ti­sche Lärm, der Ta­baks­qualm ei­ner al­ten Wein­stu­be und schließ­lich der Be­such ei­nes großen Thea­ters, den ich er­zwang, wa­ren schuld dar­an.

      Ich sah in die­sem für mich ge­wal­ti­gen Hau­se »Or­pheus in der Un­ter­welt«, wo­bei die Mu­sik mir stö­rend war. Ich konn­te es kaum er­war­ten, bis wie­der ge­spro­chen wur­de. Eine Ra­ke­te, die beim Hin­ab­stei­gen des Or­pheus in die Un­ter­welt durch die Ver­sen­kung em­por­zisch­te und platz­te, be­deu­te­te für mich einen Hö­he­punkt.

      *

      Bei Va­ters Rück­kehr in den häus­li­chen Pf­lich­ten­kreis und den der Fa­mi­lie trat so­gleich die alte Ent­frem­dung wie­der ein. Mein Va­ter übte eine große Selbst­dis­zi­plin, mit­un­ter aber über­mann­te ihn die der gan­zen Fa­mi­lie ei­ge­ne leich­te Er­reg­bar­keit. Ir­gen­det­was moch­te von uns Kin­dern ver­fehlt wor­den sein, sei es, dass wir ein län­ge­res Aus­blei­ben durch eine Flun­ke­rei ent­schul­digt oder et­was, das er wis­sen muss­te, ver­heim­licht hat­ten. Er be­gann dann etwa mit den Wor­ten:

       Wer lügt, der trügt;

       wer trügt, der stiehlt;

       wer stiehlt, der kommt an den Gal­gen.

      Und nun wur­de mit der Wucht dro­hen­der Wor­te die Mög­lich­keit, ja die Wahr­schein­lich­keit ei­ner schreck­li­chen Zu­kunft im Ge­fäng­nis, im Zucht­haus und ei­nes grau­si­gen En­des un­ter dem Gal­gen oder auf dem Block aus­ge­malt. Man kann einen sol­chen Auf­wand, wie mein Va­ter ihn zu un­se­rem Schre­cken manch­mal trieb, un­mög­lich als pro­por­tio­nal der Ge­ring­fü­gig­keit un­se­rer Ver­ge­hen be­zeich­nen.

      *

      Mein Va­ter be­kämpf­te in uns die Furcht­sam­keit und be­son­ders auch die Ge­s­pens­ter­furcht. Wenn win­ters Geis­ter­ge­schich­ten er­zählt wur­den, was da­mals all­ge­mein üb­lich war, warf er meist nur sar­kas­ti­sche Bro­cken ein. Die Kor­ri­do­re al­ter Sch­lös­ser mit ih­ren ket­ten­schlep­pen­den wei­ßen Frau­en, die Er­schei­nung Ster­ben­der bei Ver­wand­ten, die hun­der­te Mei­len ent­fernt wohn­ten, im Au­gen­blick des To­des ge­nos­sen bei ihm kei­ne Glaub­haf­tig­keit. Ein be­stimm­ter Fall aber, den er sel­ber er­lebt hat­te, blieb auch für ihn un­auf­ge­klärt.

      Nachts bei Mond­schein im Herbst kam er nach Hau­se. Auf dem Platz zwi­schen Eli­sen­hal­le und El­tern­haus an­ge­langt, hör­te er sei­nen Na­men ru­fen. Als er mit »Hier bin ich!« geant­wor­tet hat­te, trat eine kur­ze Stil­le ein. Die Stim­me kam – oder schi­en zu kom­men – aus ei­nem düs­te­ren Wäld­chen auf dem Kro­nen­berg, der un­se­ren Vor­gar­ten fort­setz­te. Die­sem Wäld­chen ge­gen­über lag der Eli­sen­hof, ei­ner Fa­mi­lie Enke ge­hö­rig. Un­se­re Hin­ter­gär­ten grenz­ten an­ein­an­der Zaun an Zaun.

      Ein jun­ger und lei­der kran­ker Mensch aus die­ser Fa­mi­lie hat­te mit mei­nem Va­ter Freund­schaft ge­schlos­sen. Ich den­ke, das Gan­ze muss, als noch mei­nes Va­ters Va­ter, Groß­va­ter Haupt­mann, leb­te, vor­ge­fal­len sein. Nun also, der Ruf wie­der­hol­te sich, mein Va­ter emp­fand ihn als Hil­fe­ruf, und als er wie­der­um mit »Hier bin ich!« geant­wor­tet hat­te, rann­te er, wie um Hil­fe zu brin­gen, ge­gen das Wäld­chen hin­auf.

      Eine Wei­le ver­geb­li­chen Su­chens über­zeug­te ihn, dass er ei­ner Ge­hör­täu­schung un­ter­le­gen sei, in der Stil­le der Nacht nicht un­ge­wöhn­lich. So war er bis vor das Kro­nen­por­tal zu­rück­ge­kehrt und woll­te so­eben den schwe­ren Schlüs­sel im Schloss um­dre­hen, als es aber­mals klar und deut­lich »Ro­bert!«, sei­nen Vor­na­men, rief. Mit leich­tem Schau­der be­trat er das Haus, ohne wei­ter Rück­sicht zu neh­men.

      Am nächs­ten Mor­gen wur­de die Nach­richt ge­bracht, dass der jun­ge Enke ge­stor­ben sei. Und zwar in der Tat um die glei­che Zeit, in der mein Va­ter das Ru­fen ge­hört hat­te.

      Auch die­sen Fall ent­klei­de­te mein Va­ter nach und nach des Wun­der­ba­ren. »Ge­s­pens­ter, die sich all­zu mau­sig ma­chen, soll man ein­fach beim Kra­gen neh­men«, sag­te er, »oder ih­nen mit ei­nem tüch­ti­gen Stock zu­lei­be ge­hen.« Hie und da, be­son­ders im Herbst, wo er Zeit fand, sich uns zu wid­men, wur­den ent­spre­chen­de Mut­pro­ben mit uns an­ge­stellt. An den spä­te­ren Nach­mit­tagen, wenn die Nacht be­reits her­ein­ge­bro­chen war und Mond­schein sie zu schwa­chem Däm­mer auf­hell­te, tra­ten wir etwa aus dem Klei­nen Saal auf die Ter­ras­se hin­aus, um noch ein we­nig Luft zu at­men. Die Eli­sen­hal­le, mit ih­rem do­ri­schen Gie­bel­bau, warf ih­ren Schat­ten auf den Platz, kein Mensch war zu se­hen weit und breit und eben­so­we­nig ein Laut zu hö­ren.

      Da konn­te mein Va­ter plötz­lich be­haup­ten, dass er da und da, weit hin­ten auf ei­ner Bank der Eli­sen­hal­le, sei­nen Hut ver­ges­sen habe, und den Wunsch äu­ßern, ich möge se­hen, ob er noch dort lie­ge, und ihn wo­mög­lich zu­rück­brin­gen. Es wäre ein Pa­na­ma­hut oder ir­gend­so, und er wür­de ihn sehr un­gern ein­bü­ßen.

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