Название: Mississippi Melange
Автор: Miriam Rademacher
Издательство: Автор
Жанр: Ужасы и Мистика
isbn: 9783943709810
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»Willst du ihr heute wieder nachgehen?«, fragte mein Vater und sah aus dem Fenster. »Sie verlässt jetzt die Wohnung.«
»Ja«, erwiderte ich, entschied rasch, dass in den kommenden vier Bussen jeweils elf Fahrgäste zusteigen würden und erhob mich von meinem Schreibtisch. Ich hatte bereits drei Weißbrotscheiben mit warmer Leberwurst verdrückt und fand, dass ein wenig Bewegung mir nicht schaden konnte.
So nahm ich meine gefütterte Jacke vom Haken und griff mir mein Belegexemplar der Daisy. Für gewöhnlich las ich den Käse, den ich selbst und andere für dieses Blättchen verfassten, nicht. Doch während der Beschattung stellten sich manchmal Wartezeiten ein, die ich mit der Daisy überbrücken konnte.
In dem Moment, als ich meine Wohnungstür hinter mir zuzog, öffnete sich die der Nachbarwohnung, und Fridegard Mortensen erschien auf ihrer Fußmatte, in den Händen einen prall gefüllten Müllbeutel.
»Ach bitte, Smiljan, wärst du so gut, das hier für mich zu den Tonnen zu tragen? Meine Knie wollen heute nicht so recht.«
Die Knie von Fridegard wollten eigentlich nie so recht, was daran lag, dass ihr Lebendgewicht jenseits der Hundertkilogrenze bei nur recht bescheidener Körpergröße lag. Von unserer ersten Begegnung an hatte ich mir strikt untersagt, ihr diesbezüglich Ratschläge zu erteilen, denn ich ging davon aus, dass sie bereits genug Diättipps und andere unaufgeforderte, aber gut gemeinte Kommentare aus ihrem Umfeld erhielt. Für mein Schweigen und das Erledigen kleiner Gefälligkeiten wurde ich ab und an mit einer kulinarischen Köstlichkeit aus ihrer Küche belohnt, und wer einmal von Fridegards Buttercreme genascht hatte, der wusste, warum sie so war, wie sie war.
»Kein Problem«, gab ich zur Antwort und griff schon nach den zusammengeknoteten Plastikzipfeln am Beutel, als sie plötzlich ausrief:
»Hast du denn diesmal deinen Fernseher ausgemacht?«
Mit fragendem Unterton wiederholte ich arglos: »Fernseher?«
»Ja, oder vielleicht ist es auch ein Radio. In letzter Zeit höre ich oft Stimmen und Musik aus deiner Wohnung, auch wenn du gar nicht da bist.«
Ich verfluchte meinen Vater insgeheim und nuschelte etwas von einem defekten Gerät, das sich selbst einschaltete.
Fridegard hob erstaunt die gezupften Brauen. »Ach? So etwas kann wirklich passieren? Was es nicht alles gibt.«
Ich beeilte mich, ihr den Beutel zu entwinden und rannte die Treppe hinunter, entsorgte den Müll in einer der Tonnen im Hinterhof und stand kurz darauf allein auf der Hauptstraße. Die Gammelgade lag still da, Nebelfetzen trieben an ihrem Ende dahin, von Katalie fehlte jede Spur. Ich hob den Kopf und sah zu meinen Fenstern empor. Oben stand mein Vater, halb verdeckt von einer Gardine, und deutete in eine Richtung. Ich folgte seinem Fingerzeig und entdeckte bald darauf die Hundeleine samt Halsband, die fürsorglich an einen Fahrradständer geknotet worden war. Katalie stattete dem Kiosk einen Besuch ab.
Durch das mit Plakaten fast ganz ausgefüllte Schaufenster beobachtete ich, wie sie eine Auswahl an Schokoriegeln bezahlte. Schon fast gewohnheitsmäßig trat ich in den nächsten Hauseingang und wartete dort ab, bis ich ihre Schritte auf dem Gehweg hörte. Diesen und dem Schleifen der Hundeleine auf den Steinen lauschte ich, bis es leiser wurde. Jetzt trat ich aus meinem Versteck und folgte ihr mit einigem Abstand.
Der Herbsttag war nasskalt. Wir begegneten nur wenigen Menschen, und die meisten kannten Katalie und ihre Hundeleine bereits. Sie grüßten freundlich und hasteten an uns vorbei, einem warmen Heim oder Arbeitsplatz entgegen.
Katalie und ihre Leine hüpften vor mir her über die Gehwegplatten. Nach einigen Minuten erreichten wir das Sukkertop-Café und Katalie mühte sich ab, die Leine um den Fahnenmast nahe der Eingangstür zu knoten. Glöckchen bimmelten, als sie im Innern verschwand. Wie immer, wenn Katalie das Sukkertop besuchte, wechselte ich die Straßenseite, um mir in der gegenüberliegenden Kneipe einen Fensterplatz zu suchen. Das Bier, das ich hier trinken würde, während Katalie im Café saß, würde ich Maiberg als Spesen in Rechnung stellen.
Der Wirt kannte mich und meine Gewohnheit bereits, das Bier fand sich an meinem Fensterplatz unaufgefordert ein, und ich legte die noch druckfrische Daisy vor mir auf den Tisch.
Mit mäßigem Interesse las ich ein paar Schicksalsgeschichten und blätterte dann bis zur letzten Seite vor. Dort fand sich die Bitte-melde-dich-Rubrik, wo sich die ein oder andere amüsante Anzeige fand. So auch heute. Zwischen
Komm zurück, es ist alles vergeben und vergessen. Ich liebe dich. Deine Maike
und
Jonas, wo bist du nur abgeblieben? Seit unserem Gespräch auf dem Balkon habe ich nichts mehr von dir gehört oder gesehen. Du wirst ja wohl nicht runtergefallen sein? Isabel
fand sich eine Anzeige, die so seltsam war, dass ich eine Weile über sie nachgrübelte:
Wer weiß etwas über den Kerl, der mir am Sonntagmorgen in der Havnegade in Esbjerg eine Spritze in den Oberarm gerammt hat? Möchte mich mit dem Schwein mal unterhalten, also Hinweise direkt an mich …
Es folgte eine Handynummer.
Wer um alles in der Welt rannte denn mit einer Spritze im Anschlag durch die Straßen und stach auf unschuldige Passanten ein? Und wer war so dumm, Geld für eine derartige Anzeige auszugeben? Vielleicht war Katalie gar nicht so seltsam. Vielleicht war ein leeres Hundehalsband auch nicht merkwürdiger als eine Spritze in der Hosentasche. Auf jeden Fall war es ungefährlicher.
Ich sah hinüber zum Café, wo sich noch immer nichts rührte, und bestellte ein weiteres Bier. Eine halbe Stunde später orderte ich ein drittes. Über das vierte dachte ich kurz nach, ging aber stattdessen rasch auf die Toilette. Als ich wieder an meinen Fensterplatz trat, sah ich die noch immer fest verknotete Leine am Fahnenmast. Was trieb das Mädchen nur so lange da drüben? Stellte sie einen neuen Rekord im Rumkugel-Essen auf? Das Sukkertop war berühmt für seine Rumkugeln, die keinen Rum enthielten, wie Touristen oft vermuteten, sondern nach Lebkuchen schmeckten und ihren Namen allein durch das Rumkugeln in Schokostreuseln erlangt hatten.
Nach einer weiteren halben Stunde ungeduldigen Wartens siegte die Neugier. Ich ließ die ausgelesene
Fröhlich bimmelnder Glöckchenklang kündigte meinen Besuch an und ein rundlicher Herr mit Halbglatze hinter der Kuchentheke hob den Kopf.
»Was darf’s sein?«, fragte er. »Wir schließen gleich, СКАЧАТЬ