Название: Mississippi Melange
Автор: Miriam Rademacher
Издательство: Автор
Жанр: Ужасы и Мистика
isbn: 9783943709810
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Dreiundzwanzig, nur fünf Jahre jünger als ich selbst. Mir fiel es schwer, das zu glauben. Das Mädchen auf dem Foto trug einen Nickipullover und eine Cordhose. Kein Mensch trug heutzutage noch Cordhosen, schon gar keine junge Frau. »Katalie. Ein seltsamer Name. Habe ich noch nie gehört.«
»Ein seltsamer Name für ein seltsames Mädchen.« Die Stimme des Mannes war noch weicher geworden, seine Gedanken schienen für einen Moment abzuschweifen, doch dann klang er wieder ganz geschäftsmäßig, als er fortfuhr: »Sie wird hier einziehen. Katalie hat diese Wohnung von ihrer Großmutter geerbt, die vor einigen Wochen im Krankenhaus verstorben ist. Ihr ganzer Besitz ging an Bedürftige, nur diese Wohnung hinterließ sie ausgerechnet ihrer Enkelin. Katalie ist fest entschlossen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Deswegen und weil es so am besten ist, werden Sie von dem Tag ihres Einzuges an ein wachsames Auge auf sie haben, verstanden?«
»Nein«, gab ich unumwunden zu. »Was bedeutet es, ein wachsames Auge auf jemanden zu haben? Wie stellen Sie sich das vor?«
Maiberg deutete auf das Fenster und hinüber zu meiner Wohnung. »Sie werden morgens nachsehen, ob sie aufsteht, werden darüber wachen, was und wie oft sie isst, werden sicherstellen, dass sie jeden Abend heimkommt und beobachten, mit wem sie sich umgibt oder anfreundet.«
Mir kam ein Verdacht. Noch einmal betrachtete ich das Foto in meiner Hand genau. »Kann sie nicht auf sich selbst aufpassen? Ist Katalie behindert oder geistig zurückgeblieben?«
»Das konnte niemals nachgewiesen werden!« Maiberg klang jetzt aufgebracht und rang die Hände, hatte sich aber Sekunden später wieder in der Gewalt. Er räusperte sich und seine Stimme klang verlegen, als er weitersprach: »Katalie ist sonderbar, ja. Ihre Art, die Dinge zu sehen, ist einzigartig. Sie ist nicht ganz von dieser Welt.« Er machte eine ausladende Geste und wirkte nun gar nicht mehr wie der weltgewandte Mann, der mir in meinem Arbeitszimmer gegenübergestanden hatte. Jede Überheblichkeit war von ihm abgefallen. »Manchmal wären wir alle gern nicht von dieser Welt, nicht wahr? Aber unser Verstand folgt allgemeinen Regeln und Gesetzen und kann gar nicht mehr anders, als immer wieder auf denselben ausgetretenen Pfaden zu wandeln, verstehen Sie? Bei Katalie ist das anders.« Seine Arme fielen herab. »Um sie herum scheint die Wirklichkeit sich zu verzerren, wenn Sie mir folgen können.« Das konnte ich nicht, und meine Mimik hatte wohl auch genau das zum Ausdruck gebracht, weswegen Maiberg einmal mehr hilflos die Hände rang und sagte: »Sie werden es erleben, junger Mann. Und dann werden Sie verstehen, wovon ich rede. Sie und ich, wir sind beschränkt in unserer Gedankenwelt, Katalie ist das nicht.« Er rieb sich über den kahlen Kopf, auf dem jetzt Schweißperlen glitzerten. »Aber genau das macht die Realität zu einem gefährlichen Ort für sie. Jemand muss ein Auge auf sie haben. Jemand, der ständig in ihrer Nähe ist. Jemand, der in ihrer Nähe lebt und arbeitet. Jemand wie Sie.«
Jetzt glaubte ich, verstanden zu haben. Und ich beschloss geistesgegenwärtig, das Beste für mich aus dem Dilemma meines Gegenübers herauszuholen. »Haben Sie einen Zettel und einen Stift?«, fragte ich Maiberg.
Der Mann zog wortlos einen teuer aussehenden Kugelschreiber aus der gut bestückten Innentasche seines Jacketts und fand in der Tasche seiner Hose die Quittung einer Tankstelle. Beides reichte er mir. Ich drückte den Zettel an die weiße Küchenwand und notierte rasch eine Reihe von Zahlen.
»Was soll das?«, fragte Maiberg.
»Das ist meine Kontonummer und die Summe, die Sie mir monatlich überweisen werden. Beginnend mit dem Monat, in dem Katalie hier einzieht.« Ich reichte den Zettel an Maiberg zurück. »Und erwarten Sie bitte nicht, dass ich für den Preis eines gewöhnlichen Kindermädchens arbeite. Dass das ein Fulltimejob ist, den Sie mir da anbieten, ist Ihnen ja wohl klar.«
Maiberg zückte nun seinerseits eine Visitenkarte, die er mir überreichte. »Und dies ist die Mailadresse, an die Sie jeden Abend einen Bericht über Katalies Tätigkeiten der vergangenen Stunden schicken werden. Ist das auch klar?«
»Völlig klar.« Ich warf einen Blick auf die Visitenkarte.
Maiberg Industries.
Ich hätte eine höhere Summe auf dem Kassenzettel vermerken sollen. »Der Betrag, den ich von Ihnen für meine Arbeit verlange …«
»Ja?« Maiberg zog eine Augenbraue hoch.
»Liegt er oberhalb oder unterhalb ihrer ursprünglichen Preisvorstellung?«
Maiberg bleckte die Zähne zu einem kalten Grinsen. »Er liegt weit unter dem, was ich zu zahlen bereit gewesen wäre.«
Mist. Aber vielleicht ließ sich noch etwas mehr aus dem Mann rausholen. »Wenn der Job sich als anstrengender als erwartet entpuppen sollte, werde ich eine Lohnerhöhung fordern.«
»Er wird viel anstrengender, als Sie es erwarten, verlassen Sie sich darauf.« Maibergs Unterkiefer verkrampfte sich grimmig.
Kapitel 2
Drei Wochen später
Missgelaunt saß Tom Sawbarn am Steuer seines Kleintransporters und rumpelte viel zu schnell über den ausgefahrenen Kiesweg. Die leuchtenden Ziffern am Armaturenbrett ließen ihn wissen, dass es stramm auf fünf Uhr morgens zuging. Was für eine verschwendete Nacht, was für eine sinnlose Herumfahrerei, was für eine alberne Idee. Rund um Esbjerg gab es die herrlichsten Strände, aber nein, sie mussten ja die Küste hochfahren, bis zu dem einen, dem besten, dem vielversprechendsten aller Strände.
»Da vorne musst du abbiegen, Tom. Gleich dort drüben bei den zwei niedrigen Kiefern ist der nächste Parkplatz«, rief Kalle vom Beifahrersitz aus und fuchtelte mit seiner Hand vor Toms Gesicht herum. Kalle stank nach Schweiß, Frittenfett und Armut und wechselte nie seine Jogginghose oder seinen Pullover mit dem aufgedruckten Maskottchen eines Möbelhauses. Kalle war eine Nervensäge und hatte immer wieder blöde Einfälle, so blöde wie eben diesen. Aber er war noch immer einer von Toms besten Freunden. Und war es etwa Kalles Schuld, dass in seinem Leben seit ihrer gemeinsamen Schulzeit alles schiefgelaufen war? Manches war schon seine Schuld, dachte Tom und bog auf den nahezu verlassenen Parkplatz vor den grasbewachsenen Dünen ein. An der Einfahrt zu dem steinigen Platz wuchsen wenige krüppelige Kiefern und warfen bizarre Schatten im Mondlicht.
Manches war ganz eindeutig Kalles eigene Schuld gewesen. Vielleicht nicht der Verlust seines ersten Jobs, aber der Verlust aller folgenden schon. Vielleicht nicht das Scheitern seiner letzten Ehen, doch das der allerersten schon. Und jetzt hatte Kalle aufgegeben. Nicht alles und nicht völlig, aber die Dinge, auf die es Toms Meinung nach ankam, die hatte Kalle endgültig hinter sich gelassen. Das Streben nach einem festen Wohnsitz beispielsweise, die Suche nach einer Arbeit, einer richtigen Arbeit, die ihn ernähren und kleiden konnte. Stattdessen unternahm er Ausflüge wie diesen hier und Tom half ihm auch noch dabei.
»Nur ein anderes Auto zu sehen«, sagte Kalle und spähte hinaus auf den vom Vollmond beschienenen Parkplatz inmitten der Dünenlandschaft. »Das gehört sicher ein paar Teenagern, die sich gerade nackt und eng umschlungen durch die Dünen wälzen.«
Tom bezweifelte das. Der Strand am Gammelgab wurde selbst bei Tage nur von wenigen Sonnenanbetern heimgesucht, er lag weiter abseits der Ferienhäuser als die beliebten Touristenstrände. Und jetzt, da die Sommersaison vorbei war und die ersten kühlen Herbstnächte Einzug hielten, hatte dieser Ort auch für die einheimischen Liebespaare an Reiz verloren.
Kalles guter Laune tat der verlassene Wagen, der ganz vorn am Dünenweg geparkt war, keinen Abbruch. »Wir sind konkurrenzlos, Tom. Alles, was wir heute Nacht finden, gehört uns.«
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