Название: Mississippi Melange
Автор: Miriam Rademacher
Издательство: Автор
Жанр: Ужасы и Мистика
isbn: 9783943709810
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»Ich brauche kein Geld, ich verdiene genug mit meiner Arbeit«, erwiderte ich.
»Blödsinn.« Der Fremde verdrehte die Augen. »Sie haben keine vernünftige Ausbildung, keinen richtigen Job und dazu noch einen Vater zu versorgen, der im ganzen Land gesucht wird.«
Er wusste Bescheid. War er gekommen, um ihn zu holen? Aber was wollte er dann noch von mir?
»Sie werden nicht immer jung und gesund sein, Smiljan, das ist niemandem vergönnt, ganz egal wie oft man ins Fitnessstudio läuft. Wollen Sie mir erzählen, Sie könnten sich Rücklagen schaffen? Für die schlechten Tage? Und die werden kommen, Smiljan Sandhus, darauf können Sie wetten. Sie brauchen mehr Geld, als Sie jetzt verdienen, Junge. Viel mehr. Oder Sie werden höher verlieren, als Sie es sich jetzt vorstellen können.« Der Fremde ließ die Stuhllehne los und bewegte sich gemächlich auf die Wohnungstür zu. »Wenn Sie mir zustimmen, und Sie sind vielleicht klug genug, um genau das zu tun, dann habe ich einen Job für Sie. Einen guten und interessanten Job, und legal ist er auch noch. Ich gehe jetzt wieder rüber in diese Schuhschachtel, die eine Wohnung sein soll, und werde dort genau zwei Stunden auf Sie warten, Smiljan Sandhus. Das gibt Ihnen genug Zeit zum Nachdenken. Danach fahre ich ab. Zurück in mein eigenes Leben. Und Sie sehen mich nie wieder.«
Ich fand, dass das wie ein Versprechen klang, und beobachtete voller Erleichterung, wie der Fremde die Wohnungstür von außen schloss. Dann stand ich in meinem Arbeitszimmer und starrte vor mich hin. Während ich starrte, durchlief ich alle emotionalen Stadien, die einer solchen Begegnung angemessen waren. Es begann mit Empörung, die sich fast bis zur Wut steigerte, verlegte sich dann auf Verachtung gegenüber einem Fremden, der offensichtlich nichts vom Leben im Allgemeinen verstanden hatte, und schließlich begann ich zu rechnen.
»Geh da nicht hin, Junge. Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache.« Mein Vater hatte natürlich gelauscht. Und entgegen meiner Vermutung, dass er sich für den Rest des Abends im Schlafzimmer verbarrikadieren würde, stand er jetzt hier vor mir.
»Wir brauchen wirklich mehr Geld, Vater.«
»Ich hab’ doch nur eine kleine Durststrecke, Junge. Alles wird wieder gut, vertrau mir. Noch ein paar Monate und dann werde ich …«
»Du wirst gar nichts«, erwiderte ich ruhig. »Sei froh, dass alle dich am anderen Ende der Welt vermuten und nicht hier bei mir. Lass es gut sein, ich werde eine Lösung für uns finden.«
Dann ging ich duschen. Ich hatte schließlich zwei Stunden Zeit. Unter dem Strahl des warmen Wassers rechnete ich weiter, überlegte kurz, die letzten Kontoauszüge zurate zu ziehen, tat es aber als sinnlos ab. Ich kannte meinen Kontostand. Abschließend kämpfte ich noch eine Weile mit meinem Stolz. Letzterer schrumpfte auf ein Minimum zusammen, nachdem ich einen Blick in den Kühlschrank geworfen und das letzte halbe Bier getrunken hatte. Die letzte Käsescheibe aß ich ohne Brot und mit einer gehörigen Portion Selbstverachtung. Und gerade als ich den Schlüssel einstecken und die Wohnung verlassen wollte, öffnete sich die Tür des Schlafzimmers erneut.
»Wer war der Kerl überhaupt, Smiljan? Weißt du das?« Die Augen meines Vaters blickten sorgenvoll aus dem unrasierten Gesicht, der grüne Morgenmantel, den er meistens trug, wies Reste von Eigelb am Revers auf.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Smiljan. Ich finde, es reicht schon, wenn ich mein Leben versaut habe. Handle du dir nicht auch noch Ärger ein.« Seine Stimme klang aufgeregt, und ich beeilte mich, ihn zu beruhigen.
»Ich höre mir an, was er zu sagen hat, und dann sehen wir weiter.«
Mein Vater runzelte die Stirn und fuhr sich durch das feine, farblose Haar. »Da geht es doch bestimmt um irgendwas Illegales.«
»Dann mach ich den Job nicht.« Er sah nicht überzeugt aus, und ich spürte, wie ich die Geduld verlor. »Ich gehe jetzt. Wenn du dich so um mich sorgst, dann stell dich hinter die Gardine. Vom Fenster aus wirst du genau beobachten können, was sich in der Wohnung gegenüber tut.«
Ich flüchtete vor weiteren Nachfragen ins Treppenhaus. Ein paar Stufen später stand ich auf dem Bürgersteig und atmete die wohlvertraute Mischung aus Nachtluft und Autoabgasen. Es war kühl, der Sommer vorbei, und irgendwo lag schon der lange, stürmische Winter auf der Lauer. Im ersten Stock des Nachbarhauses brannte noch immer die einzelne Glühbirne. Ich überquerte die Gammelgade und klingelte kurzentschlossen bei Maiberg, denn dieser Name war der einzige, der erst kürzlich mit einem Streifen Kreppband über das ursprüngliche Klingelschild geklebt worden war. Kein dänisch klingender Name, wie ich fand. Gleich darauf hörte ich den Summer und lehnte mich gegen die Tür, die sogleich aufsprang. Schon beim Eintreten in den dunklen Hausflur hörte ich die Stimme des fremden Mannes.
»Ich wusste, dass Sie kommen würden. Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. Kommen Sie rauf.«
In der fremden Wohnung des Mannes mit dem Namen Maiberg stand tatsächlich kein einziger Umzugskarton. Hinter allen weit geöffneten Türen herrschte gähnende Leere.
»Ist das jetzt Ihre Wohnung?«, fragte ich und machte ein paar Schritte vorwärts in den Raum mit der nackten Glühbirne. Es war die Küche, wie mir die Wasseranschlüsse an der Wand verrieten.
Maiberg gab keine Antwort. Stattdessen nahm er eine Bierflasche von der Bank des Küchenfensters, eben jenes Fensters, durch das er mich beobachtet hatte, öffnete sie und reichte sie an mich weiter.
Ich zögerte, daraus zu trinken, und sagte, was mir unter der Dusche am wichtigsten erschienen war: »Sie haben von einem legalen Job gesprochen und nur deswegen bin ich hier. Wenn ich merke, dass ich für irgendwelche krummen Machenschaften benutzt werden soll, dann werde ich nicht zögern …«
Maiberg griff in die Innentasche seines Sakkos und zog ruckartig etwas heraus. Ich hielt den Atem an, doch statt einer Waffe wurde mir unvermittelt eine Fotografie vor das Gesicht gehalten. Sie zeigte ein Mädchen mit ausdruckslosem Gesicht und Mireille-Mathieu-Frisur. »Sie ist Ihr Job. Sehen Sie sie genau an, denn daraus wird Ihre Arbeit bestehen: Sie genau anzusehen. Jeden Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und darüber hinaus. Schaffen Sie das? Wenn Sie gerade mal ein bisschen unterrichten müssen, kann Ihr Vater für Sie einspringen. Das wäre doch eine nette Abwechslung für den alten Mann. Wo er doch nun schon seit Wochen in der kleinen Wohnung dort drüben festsitzt. Und es wird noch viel Zeit vergehen, bis Gras über seine Verbrechen gewachsen ist.«
»Mein Vater ist kein Verbrecher«, widersprach ich. »Er hatte die besten Absichten, als er das Geld seiner Kunden und Freunde anlegte. Er hatte einen todsicheren Tipp bekommen, verstehen Sie?«
»Ja, diese Art Tipps kenne ich sehr gut.« Maiberg wedelte mit der Fotografie vor meinem Gesicht herum. »Interessanterweise liegen die Tippgeber meist kurz nach dem Platzen der Seifenblase an einem fernen Strand und zählen ihre Millionen, während andere wie Ihr Vater bis zum Hals in der Scheiße stecken. Aber was rede ich. Das sind Probleme, die mich eigentlich gar nichts angehen. Mir geht es einzig und allein um sie.«
Maiberg ließ zu, dass ich ihm das Foto aus der Hand nahm. Ich betrachtete das runde Gesicht genau und schätzte das Mädchen auf etwa dreizehn Jahre.
»Das ist ein Kind«, stellte ich fest und machte Anstalten, das Bild zurückzugeben, doch Maiberg nahm es nicht zurück.
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