Mississippi Melange. Miriam Rademacher
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Название: Mississippi Melange

Автор: Miriam Rademacher

Издательство: Автор

Жанр: Ужасы и Мистика

Серия:

isbn: 9783943709810

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СКАЧАТЬ ab und stieg ebenfalls aus. Augenblicklich fuhr ihm der Wind durch das schwarze Haar und zerzauste es. Im Gegensatz zu Kalle, der jetzt mit Ende dreißig fast kahl war, hatte Tom sein volles Haar behalten.

      »Der Wind steht richtig«, jubelte Kalle, schlug die Wagentür zu und marschierte zielstrebig in Richtung eines mit Stroh ausgelegten Pfades, der sie durch die Dünen zum Meer führen würde.

      »Der Wind schon«, rief Tom und folgte dem Freund mit schnellen Schritten. Bald hatte er ihn eingeholt und fuhr etwas gedämpfter fort: »Aber abgesehen von der Windrichtung ist so ziemlich alles verkehrt. Es ist noch viel zu warm, um wirklich etwas zu finden. Dunkel ist es auch noch.«

      »Es wird schon hell werden«, erwiderte Kalle. »Wird es jeden Tag. Und heute werden wir die ersten an der Wasserlinie sein. Alles gehört uns. In Blåvand hat man mir versichert, dass man mir alles abkaufen würde, was ich zusammenbringe.«

      »In Blåvand? Du warst also wieder bei Sven«, stellte Tom fest und verdrehte die Augen. Sven hatte ebenfalls mit ihm und Kalle die Schulbank gedrückt. Und genau wie Tom hatte Sven, wann immer Kalle stinkend und hungrig bei ihm auftauchte, das Gefühl, seinem Freund aus Kindertagen irgendwie helfen zu müssen. Obwohl Sven als Juwelier seinen Bernstein längst zu günstigen Konditionen aus Russland bezog, kaufte er Kalle dessen Funde noch immer für viel zu viele Kronen ab.

      »Diese Gegend ist perfekt für Bernstein.« Kalle verließ den mit Stroh ausgelegten Strandweg zugunsten eines Trampelpfades und erklomm die erste Düne. »Hier habe ich vor zwei Jahren meinen größten Bernstein gefunden. Und noch viele andere schöne Brocken.«

      »Es ist nicht kalt genug für Bernstein. Und Sturm wäre besser als das bisschen Wind, das weiß doch jeder.«

      Tom kam das ganze Unternehmen noch immer blödsinnig vor. Er wusste, dass der Bernstein bei niedrigen Wassertemperaturen nach oben getrieben und durch Sturm bis an die Küste gespült wurde. Der Sommer war keine gute Zeit zum Bernsteinsuchen, auch der frühe Herbst war es nicht. Je schlechter das Wetter, umso besser die Chancen auf Bernstein. Warum kurvte er also mehr als eine Stunde in aller Herrgottsfrühe durch die Landschaft, um Kalle an seinen Bernsteinstrand zu bringen, wo sie jetzt im September und ohne Sturm kaum fündig werden würden? Er konnte verstehen, dass Kalle lieber die unsinnigste und unproduktivste Arbeit auf sich nahm, als um Geld betteln zu müssen. Er konnte verstehen, dass es einen Rest von Stolz unter Kalles Dreckschicht gab, Stolz, den er hegte und pflegte, um ihn nicht auch noch zu verlieren. Aber dass er, Tom Sawbarn, ein hart arbeitender Gastwirt aus Esbjerg, deswegen um seinen Schlaf gebracht wurde, das sah er nicht ein. Rebecca hatte eben doch recht gehabt, als sie ihn vor Ausflügen mit Kalle gewarnt hatte. Der Schlafmangel würde ihm den Rest des Tages zu schaffen machen.

      Der volle Mond hing wie ein großer, gelber Käse über den Dünen, die, je näher sie dem Wasser kamen, an Bewuchs einbüßten und in sandigem Weiß schimmerten. Tom konnte die Brandung des Meeres bereits hören, ohne den Strand zu sehen. Sie war nicht laut genug. Es würde kein guter Morgen für Bernstein werden, der, leicht wie er war, auf dem Wasser schwimmend den Strand erreichte und sich dadurch von allen anderen Steinen unterschied. Doch heute würde es außer Treibholz, Tang und leeren Eikapseln nichts zu finden geben. Aber vielleicht fand sich im Müll des Meeres ja etwas anderes Brauchbares, das Kalle zu Geld machen konnte. Irgendetwas, das dieser Aktion einen Sinn gab.

      In diesem Moment entdeckte Tom die beiden Gestalten im Dünental zu seiner Linken. Und kaum, dass er wirklich begriffen hatte, was er dort sah, sank er schon in die Hocke und zog Kalle mit sich.

      Kalle war nicht dumm. Er stellte keine Frage, ging kommentarlos zwischen dem lichter werdenden Strandgras in Deckung und spähte vorwärts. Tom suchte den Blick des Freundes und tippte sich vielsagend an das linke Ohr. Zum Rauschen des Meeres hatten sich die angestrengt klingenden Flüche eines Fremden gesellt. Die gesprochenen Worte endeten so abrupt, wie sie begonnen hatten. Stille folgte.

      »Was geht da vor?«, raunte Kalle schließlich und machte Anstalten, sich aus der Hocke zu erheben.

      Tom hielt ihn zurück. »Da vorn ist jemand. Da scheint etwas sehr Eigenartiges vor sich zu gehen.« Dieser Jemand war seiner Meinung nach ein Mann. Ein Mann, der etwas hinter sich herzog. Und dieses Etwas hatte Tom stark an einen schlaffen menschlichen Körper erinnert.

      »Was meinst du damit?« Kalles Stimme war auf minimale Lautstärke herabgesunken, während er selbst jetzt den Hals reckte, um mehr sehen zu können. »Braucht jemand Hilfe?«

      Tom schüttelte den Kopf. Die Gestalt vor ihnen hatte ihre Last nicht in Richtung Parkplatz geschleppt, sondern tiefer in die Dünen, fort von der Zivilisation. Was immer sich dort abspielte, sollte bestimmt in aller Heimlichkeit geschehen. Tom glaubte nicht, dass Zeugen wie er und Kalle zu diesem Zeitpunkt sehr willkommen gewesen wären. »Ich glaube, da schleppt jemand einen Toten mit sich herum«, erklärte er seinem Freund die Lage.

      »Ach du Scheiße«, raunte Kalle zurück. Er schien angestrengt nachzudenken. Dann sagte er: »Jemand, den wir kennen?«

      »Woher soll ich das wissen, kenn’ ich ganz Dänemark persönlich, oder was?«, zischte Tom. »Außerdem habe ich die zwei doch nur für eine Sekunde gesehen.«

      In diesem Moment tauchte die Gestalt vor ihnen auf der Kuppe einer höher gelegenen Düne auf. Noch immer zog sie einen reglosen menschlichen Körper hinter sich her. Tom warf Kalle einen raschen Blick zu und stellte fest, dass sein Freund die Situation ähnlich einschätzte wie er selbst. Kalles Augen waren vor Entsetzen geweitet, seine linke Hand hielt er sich vor den Mund gepresst.

      »Duck dich tiefer«, befahl ihm Tom.

      Und während er selbst jetzt fast mit der Nase im Strandsand verschwand, sah er aus den Augenwinkeln, dass Kalle sich sogar noch weiter streckte, um einen besseren Blick auf das nächtliche Schauspiel zu haben.

      Gleich darauf hörte er seinen Freund flüstern. »Ich glaube, du hast hast Recht, Tom. Der zieht wirklich eine Leiche durch die Landschaft. Und jetzt, jetzt …«

      Kalles Gestammel war mehr, als Tom vertragen konnte. Auch wenn es ihm leichtsinnig erschien, hob er den Kopf, um zu sehen, was Kalle beobachtete, und stellte fest, dass die Silhouette des Mannes, jetzt scheinbar von aller Last befreit, Schritt für Schritt hinter dem Dünenkamm verschwand.

      »Was ist passiert?«, wollte Tom wissen.

      »Er hat den anderen einfach die Düne runtergeschubst und läuft nun seelenruhig hinterher«, stellte Kalle fest. »Da kullert gerade ein Toter über den Nordseestrand, ist das zu fassen? Ob er den hier draußen verbuddeln will? Den findet hier dann sicher keiner mehr wieder.«

      Doch, dachte Tom. Wenn die Dünen weiterwandern, dann wird man ihn finden. Aber das konnte eine ganze Weile dauern. Laut sagte er: »Was sollen wir denn jetzt machen?«

      »Abhauen natürlich«, antwortete Kalle. »Nur schade um den schönen Bernstein am Strand und all das Benzin, das du heute Nacht ganz umsonst verfahren hast.«

      »Abhauen? Ist das dein Ernst? Da vorne entsorgt jemand den Körper eines Menschen zwischen den Dünen. Da können wir uns doch nicht einfach umdrehen und abhauen.« Doch schon wich Toms Empörung plötzlicher Klarheit. Natürlich mussten sie abhauen. Auf direktem Wege mussten sie zur nächsten Polizeistation fahren und dort berichten, was sie hier im Gammelgab beobachtet hatten. Das Kennzeichen des zweiten verlassenen Wagens auf dem Parkplatz würde er sich vorsorglich notieren, wenn sie wieder daran vorbeikämen. Es könnte die Polizei direkt zum Täter führen.

      »Polizei«, entfuhr es ihm, und schon wollte er den Weg zurückkriechen, den sie gerade erst gekommen waren.

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