Название: Mississippi Melange
Автор: Miriam Rademacher
Издательство: Автор
Жанр: Ужасы и Мистика
isbn: 9783943709810
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»Nun?« Der Herr hinter seinen Kuchen wartete noch immer auf meine Bestellung.
»Tja …« Ich war noch nie besonders schlagfertig gewesen.
»Oder wollen Sie gar nichts kaufen?« Er beugte sich vor. »Sind Sie der Kerl, dem ich etwas ausrichten soll?«
»Ausrichten?«
»Ja, von der kleinen Prinzessin.«
»Von wem?« Meine Güte, ich wusste, dass ich mich wie ein Vollidiot anhörte, aber mein Hirn kam einfach nicht schnell genug mit.
»Na, von Prinzessin Katalie. Die suchen Sie doch, oder?« Der Mann sah mich erwartungsvoll an.
Was hatte es für einen Sinn, zu leugnen? Ich war aufgeflogen. Ich wusste nicht wie und wann, aber es war so.
»Die Kleine ist durch die Hintertür abgedampft. Meinte, es sei ganz wichtig, dass sie mein Café mal nicht durch den Haupteingang verlässt. Und dem Ritter, der kommen würde, um nach ihr zu fragen, soll ich bestellen, dass er bitte das Ding heimbringen soll. Ich nehme an, Sie wissen, wovon die Kleine redet.«
Er deutete mit dem Daumen auf die hinter mir liegende Tür. Verunsichert drehte ich mich um und fragte: »Ding? Was denn für ein Ding?«
»Na das, das sie nicht mit hereinbringen will. Meint, es nimmt zu viel Platz weg.« Der Mann lachte schallend über seine eigenen Worte und mir dämmerte, wohin er gewiesen hatte. Zum Fahnenmast, wo eine Hundeleine und ein leeres Halsband auf mich warteten. Nur, dass es für Katalie niemals leer gewesen war. Sie hatte ein unsichtbares Ding über die Gammelgade gezerrt? Und nun befand sich dieses Ding plötzlich in meiner Obhut?
Hastig sah ich mich um. »Ist sie schon lange fort?«
»Ja.«
»Und hat sie gesagt, wohin sie geht oder wann sie wiederkommt?«, versuchte ich mein Glück noch einmal.
»Nee.« Mein massiges Gegenüber schüttelte sein Haupt. »Aber dass das Ding nur Chips frisst, das hat sie gesagt.«
Grußlos wandte ich mich zum Gehen und ließ die Glöckchen über der Tür kräftig bimmeln. Draußen starrte ich Leine und Halsband feindselig an. Teufel stand in geschwungenen Lettern auf letzterem. Teufel war also ein Ding. Ein großes unsichtbares Ding. Nicht, dass ich mir viel darunter vorstellen konnte, aber das musste ich ja auch nicht. Gut, ich würde Katalie den Gefallen tun und ihren imaginären Freund nach Hause bringen. Aber ich würde ihn nicht hinter mir herziehen. Teufel würde in meiner Jackentasche reisen und im Briefkasten auf die Rückkehr seiner Herrin warten müssen. Sollte das Ding sich doch ein bisschen zusammenrollen.
Ich besah mir das gewaltige Halsband noch einmal und empfand plötzlich einen heftigen Widerwillen dagegen, es zu berühren. Es musste zu einem recht prächtigen Ding gehören, das wahrscheinlich kaum durch den Briefschlitz zu quetschen war. Auch in meiner Jackentasche würde das Untier nicht glücklich sein.
Ich sah die Straße hinauf und hinab. Niemand war unterwegs. Keiner würde es bemerken, wenn ich die Leine hinter mir herschleifte. Ich könnte … Hastig schüttelte ich den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. Wer war ich denn, dass ich ein leeres Halsband spazieren führte?
Mit schnellen Bewegungen löste ich den Knoten am Fahnenmast und wollte die Leine schon zusammenknüllen, brachte es aber einfach nicht über mich. Stattdessen zog ich aus unerfindlichen Gründen daran. Das Halsband machte ein scharrendes Geräusch auf dem Fußweg. Es hörte sich vertraut und richtig an.
Teufel also. Ein Ding war er. Schade nur, dass ich ihn nicht sehen konnte. »Na, dann komm, Teufel.« Hatte ich das gerade wirklich gesagt?
Fast trotzig wandte ich mich zum Gehen und lief mit schnellen Schritten voraus. Hinter mir scharrte und schlurfte Leder auf Stein.
»Jetzt ist es soweit, Smiljan«, sagte ich laut zu mir selbst. »Jetzt wirst du bescheuert.«
Nie werde ich die drei Tage vergessen, die auf Katalies Verschwinden folgten. Wie hatte ich auch so blöd sein können, zu glauben, sie würde mich nicht bemerken? Natürlich hatte sie mich bemerkt, vielleicht schon am Tag ihres Einzugs. Und nun hatte sie einen Weg gefunden, um meiner Bewachung zu entgehen.
Aber musste sie nicht trotzdem irgendwann zurückkehren? Dort drüben auf der anderen Straßenseite befand sich ihre Wohnung, dort drüben hatte ich die Leine an einem Straßenschild angebunden und einen Napf mit Chips danebengestellt, der sich wie durch Zauberei immer wieder leerte, ohne dass ich erfuhr, wohin der Inhalt verschwand, so sehr ich ihn auch im Auge behielt. Seit drei Tagen lief ich jetzt täglich zum Straßenschild und füllte den Blechnapf nach, in dem ich üblicherweise mein Salatdressing anzurühren pflegte. Nie entdeckte ich auch nur eine Schuppe oder ein Haar von dem gefräßigen Ding. Und natürlich glaubte ich auch nicht an dieses Hirngespinst. Es war nur eine von Katalies kleinen Verrücktheiten, die ich ihr zuliebe eine Zeitlang am Leben hielt. Genauso lange, wie Katalie brauchte, um heimzukehren.
»Wie konntest du das Mädchen nur verlieren?« Zum wiederholten Male stellte mir mein Vater diese Frage und begleitete sie wie jedes Mal mit einem fassungslosen Kopfschütteln.
Ja, wie? Hätte ich doch nur geahnt, dass Katalie von meiner Existenz wusste, dann hätte ich mich von Anfang an anders verhalten, hätte mich darum bemüht, ihr Vertrauen zu gewinnen, statt wie ein Geheimagent hinter ihr herzuschnüffeln. Doch jetzt war es zu spät, um über alternative Strategien nachzudenken. Ich musste Maiberg seine tägliche Mail zukommen lassen, und darin würde, wie auch in den vorangegangenen, auf keinen Fall zu lesen sein, dass Katalie ihre Wohnung seit nunmehr drei Tagen nicht mehr betreten hatte.
Es fiel mir nicht schwer, mir ein paar Zeilen über Katalies Beschäftigungen der letzten Stunden auszudenken. Oft genug schrieb ich ja herzerweichende Briefe für die Daisy und erfand auch regelmäßig recht plausibel klingende Zahlen für die Haltestellenstatistik. Da war es auch keine große Sache, sich etwas für die leere Mail auf meinem Rechner auszudenken. Doch je länger der Cursor fröhlich blinkte, desto mehr musste ich einsehen, dass es gar nicht so einfach war, einen passenden Tag für Katalie zu erfinden. Schließlich behauptete ich dreist, dass sie den Vormittag verschlafen, danach Papierblumen gebastelt und auf ihre Fensterbänke gelegt hatte, während sie jetzt am frühen Abend zu einem Spaziergang durch die Gassen nahe der Gammelgade aufgebrochen war. Den Abend würde sie sicher wieder einmal Chips essend vor dem Fernseher zubringen, so meine Prognose. Ja, ich konnte sie jetzt fast vor mir sehen, wie sie da im roten Jogginganzug vor der Glotze saß.
Lächelnd drückte ich auf Senden, als mein Vater hinter mir murmelte: »Aber heute ist Freitag. Und freitags arbeitet sie doch immer bei Brugsen.«
Ich schloss für einen Moment die Augen. Mein Vater hatte natürlich Recht. Vor lauter Bemühungen, ein paar fiktive Katalie-Stunden zu ersinnen, war mir das Naheliegende entfallen. Sofort jagte ich der ersten Mail eine zweite hinterher, in der ich ausführlich erklärte, warum Katalie von ihrem gewohnten Rhythmus abgewichen war.
Gerade hatte ich sie per Mausklick auf die Reise geschickt, als mein Vater, der noch immer hinter mir stand, leise sagte: »Jetzt würde ich an seiner Stelle erst recht misstrauisch werden.«
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