Название: Mississippi Melange
Автор: Miriam Rademacher
Издательство: Автор
Жанр: Ужасы и Мистика
isbn: 9783943709810
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»Er kommt rüber.« Mein Vater preschte an mir vorbei und rannte wie von Furien gehetzt in Richtung meines Schlafzimmers. Meines ehemaligen Schlafzimmers, denn ich hatte es auf unbestimmte Zeit an meinen Vater abgetreten. Seitdem schlief ich mehr schlecht als recht auf meiner Yogamatte.
»Vielleicht ist er gar nicht hinter dir, sondern hinter mir her. Hätte ich auch gleich drauf kommen können.« Mein Vater riss die Tür zum Schlafzimmer auf und drehte sich noch einmal zu mir um. »Wenn er fragt, du hast mich seit Monaten nicht gesehen, verstanden?«
»Ich habe dich seit Monaten nicht gesehen«, wiederholte ich geduldig und sah zu, wie mein alter Herr von der Bildfläche verschwand.
Dann trat ich ans Fenster und sah hinüber zu dem Fremden. Doch das Fenster im Nachbarhaus war jetzt leer. Die Glühbirne an der Decke spendete noch immer ihr gelbes Licht. Die Wohnung wirkte verlassen.
Da schrillte meine Türglocke.
Einen Moment lang zögerte ich. Ein seltsames Gefühl, eine Vorahnung überkam mich. So, als stünde eine entscheidende Wende in meinem Leben bevor. Statt zur Gegensprechanlage zu gehen, trat ich wieder ans Fenster, öffnete es und sah hinunter. Vor der Haustür, gleich neben dem Eingang zum Antiquariat, stand der kahlköpfige Fremde, der mich eben noch vom Nachbarhaus aus beobachtet hatte. Gerade drückte er ein weiteres Mal auf meinen Klingelknopf, woraufhin es hinter mir erneut zu schrillen begann. Ich stand noch immer still da und sah dem Fremden dabei zu, wie sich dieser hartnäckig in mein Leben klingelte. Und das seltsame Gefühl in meiner Brust verstärkte sich.
Jetzt hob der Mann den Kopf, suchte und fand mich, wie ich reglos dastand und auf die Straße hinunterblickte.
»Wollen Sie mich nicht hereinlassen?« Die Stimme des Mannes war laut, sein Dänisch verzerrt durch einen starken Akzent.
Ich erwog kurz, meinem Bauchgefühl zu folgen und den anderen genau dort zu lassen, wo er war. Doch stattdessen verließ ich meinen Beobachtungsposten und ging in den Flur. Während ich den Türöffner betätigte, lauschte ich meiner inneren Stimme, die mich zu erhöhter Wachsamkeit mahnte. Dann öffnete ich dem Fremden.
»Guten Abend.«
Ich betrachtete den Herrn, der die Treppe hinaufkam. Ein großer, breitschultriger Mann mit weit über hundert Kilo Lebendgewicht, ein rotgesichtiger Glatzkopf von etwa fünfzig Jahren, gekleidet in einen beigefarbenen Leinenanzug. Letzterer erschien mir zu edel für einen Umzugstag.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?« Irgendwie hoffte ich, dass ich das nicht konnte. Ich hatte weder Lust, dem Mann beim Einzug zu helfen, noch, mich länger mit ihm zu unterhalten. Da war ein Ausdruck von Überlegenheit im Gesicht des Fremden, der mich zutiefst abstieß. Und wenn es hier doch um meinen Vater ging? Das war das denkbar schlechteste Anliegen, mit dem der Fremde zu mir kommen konnte.
»Ja«, antwortete der andere jetzt. »Sie können mir helfen. Ich denke, Sie sind genau der Mann, den ich suche.«
Ich dachte an meinen Vater hinter der Schlafzimmertür und fühlte mich unbehaglich. Der Fremde überragte mich um Haupteslänge und seine Gesichtszüge wirkten so freundlich wie die einer englischen Bulldogge. Nur um überhaupt etwas zu tun, zog ich ein Haargummi aus der Tasche meiner Jogginghose und band mein schulterlanges Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammen.
»Sie suchen einen Yogalehrer? Oder einen Hausmeister? Einen Texter vielleicht? Ich bin ganz gut in Schicksalsgeschichten, Sie kennen diese Blättchen?«, fragte ich und war mir ganz sicher, dass die Antwort Nein lauten würde.
»Nein.«
Ich hatte es ja gewusst.
»Darf ich eintreten?«
Jetzt hätte ich gerne meinerseits verneint. Doch der gesunde Menschenverstand und meine gute Erziehung warfen sich dazwischen und veranlassten mich, den Mann eintreten zu lassen. Rational betrachtet sprach nichts dagegen. Nichts, außer eben diesem warnenden Gefühl in der Bauchgegend und meinem Vater im Schlafzimmer.
»Darf ich fragen, wer Sie sind und was Sie zu mir führt?«, fragte ich meinen Besucher, wies ihm den Weg und deutete auf einen schon recht abgenutzten Ledersessel. Doch der Mann blieb stehen und sah sich in meinem Arbeitszimmer um. Mir wurde immer unwohler.
»Sie heißen Smiljan Sandhus?«
Ich nickte und setzte mich auf den Drehstuhl vor meinem Schreibtisch. Mit einer, wie ich hoffte, unauffälligen Bewegung schob ich die geschönte Haltestellenstatistik unter ein Journal. War ich etwa aufgeflogen?
»Sie leben und arbeiten hier in diesem Raum.«
Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Wusste der Kerl etwa, dass ich seit Wochen auf meiner Yogamatte schlief, weil mein Schlafzimmer von meinem Vater okkupiert worden war? Nein, das konnte er nicht wissen.
»Meistens«, gab ich zur Antwort. »Manchmal gebe ich Kurse in einem Fitnessstudio. Oder ich kümmere mich um die dort anfallenden Arbeiten«, ergänzte ich.
»Verstehe.« Der Fremde wanderte gemessenen Schrittes im Raum herum.
»Ich leider nicht«, gestand ich. Mittlerweile kam mir die Situation reichlich grotesk vor. Diese Unterhaltung glich einem Bühnenstück ohne Publikum.
Der andere verlor jäh das Interesse an meiner kargen Einrichtung und konzentrierte seinen Blick jetzt ganz auf mich. »Sie haben also eine Ausbildung zum Fitnesslehrer vorzuweisen? Eine Bescheinigung, ein Diplom oder dergleichen? Oder haben zumindest weitreichende Kenntnisse auf einem artverwandten Gebiet?«
»Ich kann gut anleiten.« Ich wusste, dass diese Worte eher nach einer Verteidigung als nach einer richtigen Antwort klangen.
»Und außerdem verfassen Sie herzzerreißende Texte für Klatschblätter. Übernehmen Sie auch noch andere Arbeiten?«
»Ich habe noch Kapazitäten frei.«
Der Fremde nickte. »Ja, natürlich haben Sie das. Ich erkenne einen Verlierer, wenn ich ihn sehe.«
Das war genau der Moment, in dem ich den Kerl einfach nur noch loswerden wollte. »Wenn Sie gekommen sind, um mich zu beleidigen, dann finde ich es großartig, dass Sie gar nicht erst Platz genommen haben. Finden Sie allein raus, oder soll ich Ihnen helfen?«
Die Worte klangen mutiger, als ich mich fühlte. Ich bin nicht gerade groß und eher das, was man schmächtig nennt. Auf Handgreiflichkeiten hatte ich mich schon zu Schulzeiten nie eingelassen, ich war mehr fürs Weglaufen bestimmt. Doch wie sollte ich guten Gewissens aus meiner eigenen Wohnung davonlaufen?
Noch immer erschien mir diese Szene unwirklich und der Mann vor mir war sehr groß und kräftig. Mit einer gewissen Erleichterung bemerkte ich jetzt ein schwaches СКАЧАТЬ