Название: Der Henker
Автор: Johannes Sachslehner
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783990401729
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Göths Aufgabe ist auch hier der Aufbau eines Lagers für jüdische Sklavenarbeiter, und er zeigt sich wiederum als erfolgreicher „Campmanager“. Bereits im Oktober 1942 werden die ersten Juden aus dem „Transit-Ghetto“ von Opole Lubelskie nach Poniatowa gebracht, bis Jänner 1943 sind an die 1.500 Zwangsarbeiter im Lager, unter ihnen auch Juden aus Wien und der Slowakei. Göths Plan sieht eine Kapazität von 9.000 jüdischen Arbeitern vor; im Sommer 1943 werden es allerdings bereits an die 10.000 sein. Sie arbeiten in den Textilfabriken von Walter Toebbens, in denen vor allem Wehrmachtsuniformen hergestellt werden. Im Jänner 1943 werden die Betriebe von Walter Toebbens in Odilo Globocniks SS-Industriekomplex „Osti“ eingebracht; im August 1943 ist „Konzernchef“ Globocnik zu Besuch im Lager und überzeugt sich von der Produktivität seiner Sklaven. Die „Liquidierung“ des Lagers in Poniatowa sollte dann am 4. November 1943 im Rahmen des Blutbads „Aktion Erntefest“ erfolgen: Mehrere Tage vor der Massenexekution müssen die Häftlinge ihre eigenen Massengräber ausheben. Einige Gräben werden im Lager selbst gezogen, andere außerhalb des Lagers. Man sagt ihnen, dass dies „Splittergräben“ zum Schutz vor Luftangriffen wären. Am 4. November um fünf Uhr früh müssen die Häftlinge zu einem Zählappell antreten und werden dann in ein großes Geschäftsgebäude gepfercht. Dann holt die SS Gruppen von je 50 Häftlingen ab. Im Freien müssen sie ihre Schuhe ausziehen und eventuell verbliebene Wertsachen in Körbe geben, dann bringt man sie in eine nahe gelegene Baracke, wo sie sich nackt ausziehen müssen. Von hier treibt die SS sie zu den Gräben, in die sie hinabsteigen müssen und sich auf den Bauch legen, Gesicht nach unten. Dann werden sie erschossen. Während der Exekutionen spielt man dröhnende Musik aus Lautsprecherwagen, um die Schüsse und Schreie der Opfer zu übertönen.
In einer der Baracken, in der die Mitglieder der jüdischen Untergrundbewegung versammelt sind, kommt es zum Widerstand: Aus versteckt gehaltenen Waffen eröffnen Häftlinge das Feuer auf die SS. Diese setzt jedoch die Baracke in Brand und die jüdischen Kämpfer verbrennen bei lebendigem Leibe. An diesem 4. November werden an die 14.000 Menschen erschossen. Etwa 150 bis 200 Juden hat man am Leben gelassen – sie sollen die Kleider der Opfer sortieren und die Leichen verbrennen. Als die Häftlinge ablehnen, werden sie ebenfalls erschossen, ihre „Arbeit“ wird vom „Sonderkommando“ aus Majdanek und von jenen jüdischen Häftlingen übernommen, die man während der „Aktion Erntefest“ in Majdanek „ausselektiert“ hat. Wochenlang brennen in Poniatowa noch die Leichenfeuer …
Geschützt durch die Körper der Getöteten überleben das Massaker zwei Frauen, Estera Rubinsztajn und Ludwika Fiszer. Stundenlang Seite an Seite mit ihrer toten Tochter im Massengrab liegend, kann Ludwika Fiszer im Schutz der Dunkelheit fliehen.
Flucht aus dem Todeszug
Im Ghetto von Krakau haben inzwischen die Menschen die Hoffnung auf ein baldiges Ende ihrer Leiden nicht aufgegeben. Von ihren Peinigern zum Tode bestimmt, klammern sie sich an die Macht des Überirdischen. Von jenen Weisen, die um die Geheimnisse der alten Schriften wissen und in den Sternen zu lesen gelernt haben, hat man erfahren, dass noch in diesem Jahr sich ein großes Wunder ereignen würde und der Krieg dann sofort zu Ende wäre. Ja, es geht sogar das Gerücht, dass ein tzadik, ein Heiliger, im Ghetto lebe, der Tag und Nacht mit seinem Fernrohr nach einem Zeichen des Himmels suche, um dann die shofar, das Widderhorn, blasen und so das Erscheinen des Messias ankündigen zu können. Und ein anderes Gerücht will wissen, dass die Arbeiter in der Metallfabrik zufällig einen Wasserhahn in der Form des Davidsterns gegossen hätten, ein sicheres Zeichen dafür, so meint man, dass der Erlöser in Kürze die Mauern des Ghetto einreißen und jedem Hungrigen einen großen Laib Brot anbieten würde, jenen Hungrigen, die nun verzweifelt um ein Stück altes Brot beteten. Und man erzählt sich die neuesten Nachrichten, die der heimlich abgehörte Sender Voice of America verbreitet: Eine zweite Front würde durch die Alliierten bald eröffnet und die Nazis und ihre Verbündeten vernichtet werden. Nacht für Nacht wartet man so auf das Ertönen der shofar, auf das Zeichen der Erlösung und die Botschaft, dass Gott sein auserwähltes Volk in dieser schweren Stunde nicht im Stich lasse.
Eine jüdische Familie aus dem Krakauer Ghetto wartet auf die Deportation in ein Vernichtungslager.
Am 28. Oktober 1942 findet die zweite große Deportation aus dem Ghetto statt. Jeder der Ghettobewohner, so die Aufforderung durch die SS, habe sich am Plac Zgody mit seinen wichtigsten Besitztümern einzufinden, man würde das Ghetto „liquidieren“ und alle in Arbeitslager transportieren. Auf den Gesichtern der Menschen, die auf dem Platz mit Koffern und Bündeln zusammenströmen, spiegelt sich die Angst. Man spürt, dass sich hinter den nüchternen Anweisungen der Nazis etwas Furchtbares verbirgt. Etwa 4.500 Menschen werden in die Viehwaggons gepfercht; wieder tötet man in den Wohnungen Kinder und alte Menschen; im Spital erschießt man die Kranken mitsamt den Ärzten.
Betroffen davon ist auch die Familie Sternlicht, die im März 1941 gezwungen worden ist ins Ghetto zu gehen. Vater Szymon Sternlicht, ehemals Soldat der k. u. k. Armee und Inhaber eines metallverarbeitenden Unternehmens in Krakau, besitzt zwar eine Legitimation der Gestapo und spricht fließend Deutsch, aber auch das hilft ihm nichts – er muss den Todeszug ins Vernichtungslager Bełżec besteigen. Zurück bleiben seine Frau Lola, die sich bei einer Christin verstecken kann und so dem Transport entgeht, und die drei Töchter Bronia, Helen und Sydonia. Was mit den „ausgesiedelten“ Juden geschieht, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Von polnischen Eisenbahnern weiß man, dass die Menschen am Zielort spurlos „verschwinden“ und die Züge leer zurückkehren. Die Eisenbahner berichten von Schreien, die sie gehört hätten, Gerüchte von Gaskammern machen die Runde. Soll das Unvorstellbare, der fabriksmäßige Massenmord, tatsächlich Wirklichkeit sein? „Wir wussten es, aber wir wollten es nicht glauben“, wird Helen Sternlicht später über die Stimmung im Ghetto erzählen.
In diesem Todeszug nach Bełżec, zusammengepfercht in einem Viehwaggon, ohne Wasser und mit kaum ausreichend Luft zum Atmen, befindet sich auch die Familie Lezerkiewicz: Abraham und Bertha Lezerkiewicz und drei ihrer fünf Kinder: Leon, Victor und Greta. Zwei Kinder fehlen: Das jüngste, Sohn Jakub, ist bei einer polnischen Familie außerhalb des Ghettos versteckt, das älteste, Tochter Lola, ist bereits 1932 nach Palästina ausgewandert. Vater Abraham hat in der Targowastraße 1 in Kazimierz ein kleines Stoffgeschäft geführt, ins Ghetto ist er im Frühjahr 1942 aus Niepolomice, einem kleinen Ort in der Nähe Krakaus, gekommen. Keiner der Familie konnte einen Blauen Schein ergattern, auch die erwachsenen Söhne nicht, die beide immerhin über eine gültige Arbeitsbescheinigung als Kraftfahrzeugmechaniker verfügten – aber auch diese praktische Profession hatte sie nicht vor der „Aussiedlung“ retten können. Der 24-jährige Victor, der im Sanitätszweiglager Krakau der Waffen-SS tätig gewesen war, hatte sogar eine „Unabkömmlichkeits-Bescheinigung“ vorgezeigt, doch der die „Aktion“ leitende SS-Offizier, Hauptsturmführer Martin Fellenz, hatte sie ihm aus Hand genommen und ungelesen zerrissen; sein lapidarer Kommentar: „Nehmt ihn weg!“ – das Todesurteil.
Victor СКАЧАТЬ