Название: Hekate
Автор: Thomas Lautwein
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783944180007
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„Hohe Demeter, Göttin der Reife und herrlicher Gaben,
wer von den himmlischen Göttern oder wer von den Menschen
raubte Persephone dir und schlug dich mit bohrendem Kummer?
Schreien hörte ich sie, doch erkannte nicht den Entführer.
Damit enthülle ich kurz dir den Hergang, soweit ich ihn kenne.“
So sprach Hekate. Keinerlei Antwort erteilte die Tochter
Rheias, der lockengeschmückten, sondern an Hekates Seite
stürmte sogleich sie fort, in den Händen die flammenden Fackeln.
Helios suchten sie auf, der acht gibt auf Götter und Menschen,
traten vor sein Gespann.75
Zum dritten Mal erscheint Hekate nach der Wiedervereinigung von Demeter und Persephone (v. 438). Sie wird als Dritte in den innigen Bund von Mutter und Tochter aufgenommen und zur festen Begleiterin der Persephone gemacht (C. G. Jung fühlt sich von Hekate als Helferin der Demeter an die Rolle des Anubis im Osiris-Mythos erinnert). Hekate erweist sich schließlich als zartfühlende, Anteil nehmende Freundin, die mit den beiden Getreide-Göttinnen eng verbunden ist und mit ihnen eine chthonische Trinität bildet:
So bereiteten sie, in herzlicher Eintracht, den ganzen
Tag einander aus inniger Liebe vielerlei Freuden
und erholten sich allmählich vom lastenden Kummer.
Jeder der beiden gab und empfing Beweise des Frohsinns.
Hekate nahte den beiden, die Göttin im schimmernden Kopftuch,
und umarmte herzlich die Tochter der hohen Demeter.
Seitdem wirkte die Herrin für sie als treue Genossin.76
Der letzte Vers lautet wörtlich: „Seit dieser Zeit war Hekate die Dienerin (πρόπολος, própolos) und Begleiterin (όπάων, opaôn) der Persephone.“
Der Hymnus deutet mit diesen beiden Begriffen an, dass Hekate im Mythos und im Ritual der Einweihung eine entscheidende Rolle bei der „Höllenfahrt“ und der „Auferstehung“ der Kore zukommt. Sie ist die schützende Begleiterin der Proserpina, die den Übergang in die chthonische Welt vermittelt, und dies nicht nur einmal, sondern alljährlich. Wenn wir uns noch einmal Hekates Ort zu Beginn des Hymnus vergegenwärtigen, sehen wir, dass sie wieder die Mittlerin zwischen Ober- und Unterwelt ist. Sie ist gegenwärtig, als die Kore in die Unterwelt hinabsteigt und ebenso, als sie wiedergeboren wird. Daher wird Hekate auf Vasenbildern häufig neben Persephone dargestellt (Beispiele von antiken Vasen findet man auf der Homepage www.theoi.com).77 Hekate ist die Vermittlerin, die Göttin des Übergangs von Leben zu Tod und Tod zu Leben, von Unterwelt und Oberwelt. Ich frage mich, ob die dreigestaltige Darstellung der Hekate nicht sogar als die Dreifaltigkeit von Demeter, Hekate und Persephone gedeutet werden könnte, wobei Hekate die geheime Verbindung zwischen Demeter und Persephone wäre, der schwarze Engel, der die Verbindung zwischen oben und unten bewacht, wie der Psychologe James Hillman meint:
Von Hekate heißt es, sie habe die ganze Zeit dabeigestanden und zugehört oder zugesehen. Es gibt offensichtlich eine Perspektive, von der aus der Kampf der Seele wahrgenommen werden kann ohne die Angst der Persephone oder das Unglück der Demeter. Auch in uns lebt ein schwarzer Engel (Hekate hieß auch angelos), ein Bewusstsein (sie hatte auch den Namen phospheros), das im Dunkeln leuchtet und solche Ereignisse wahrnimmt, weil es ihrer schon vor aller Erfahrung gewahr ist. Dieser Teil hat eine a priorische Verbindung mit der Unterwelt durch schnuppernde Hunde und Keiferei, Mondfinsternisse, Geister, Abfälle und Gifte. Ein Teil von uns wird nicht nach unten gezogen, sondern lebt immer dort, wie Hekate teilweise eine Göttin der Unterwelt ist. Von diesem Aussichtspunkt können wir unsere eigenen Katastrophen mit einer dunklen Weisheit beobachten, die kaum etwas anderes erwartet.78
Hekate wird im Demeter-Hymnus zweimal „mit glänzendem (gesalbtem?) Kopfband geschmückt“ (λιπαροκρήδεμνος, liparokrêdemnos) genannt. Die deutschen Übersetzungen von Eduard Mörike (1840) und Weiher (1961) geben dieses seltene Adjektiv, mit dem Homer in der Ilias (18,382) die Charis bezeichnet, ungenau mit „weißverschleiert“ wieder. Erst Dietrich Ebener (1976) übersetzt korrekt mit „schimmerndes Kopftuch“. Die Bedeutung dieses Beinamens ist rätselhaft, er muss einen esoterischen Sinn gehabt haben, der sich nur dem Eingeweihten erschloss. Das Anlegen von Kopfbinden kommt jedoch häufig bei Einweihungsriten (z. B. bei tantrischen Einweihungen) vor und steht meist für das Nicht-Sehen des Ungeweihten; sobald der Neophyt in die Geheimnisse eingeweiht wurde („Eintritt ins Mandala“), darf er die Kopfbinde abnehmen (daher verhüllt auch der Held bei Achilleus Tatios, III,18 sein Gesicht, als seine Geliebte von einem Ägypter mit Hilfe der Hekate wiederbelebt wird). Insbesondere bei der Einweihung in die Mysterien der unterweltlichen Götter musste man sich den Kopf verhüllen, so z. B. bei den Mysterien der „unterweltlichen Persephone“ in Agrai (Hippolytus, Refutatio, 5,8,43). Auf einem Marmorrelief aus dem 1. Jahrhundert n. Z. im Nationalmuseum von Neapel, das eine Einweihungsszene zeigt, ist deutlich zu erkennen, dass der Kopf des Mysten mit einem Tuch verhüllt ist, während eine weibliche Gestalt links von ihm zwei umgedrehte Fackeln hält und ein Priester mit Kopfbinde eine Flüssigkeit ins Feuer gießt.79 Sogar Goethe plante ursprünglich für den zweiten Teil des „Faust“ eine Szene, in der Faust in der Unterwelt der „verhüllten Persephone“ gegenüber treten sollte.
Dass Hekates Kopfband „glänzend“ ist, passt wieder sehr gut zu ihrem Charakter als Licht-Gottheit. Merkwürdig ist auch, dass Zeus’ Mutter Rheia, die Demeter auf sein Geheiß in den Kreis der olympischen Götter zurückholen soll, ebenfalls als „mit glänzender Kopfbinde geschmückte“ (V. 459) bezeichnet wird. Rhea wurde gern mit der phrygischen Kybele gleichgesetzt, die ebenfalls Mysterien besaß; beide wurden von den Pythagoräern mit Demeter identifiziert. Ein Grabrelief aus Lebadeia in Böotien, wo sich die berühmte Orakelhöhle des Trophonios befand, zeigt einen Mysten, der nach seinem Tod von Hekate an der Hand genommen und vor Kybele geführt wird.80 Da der Verstorbene in derselben Größe wie die Göttinnen abgebildet ist, darf man annehmen, dass er selbst vergöttlicht wurde. Hekate scheint also in den Kybele-Mysterien ebenfalls eine vermittelnde Funktion übernommen zu haben. Über Beziehung zwischen Rheia und Hekate haben sich später dann die Neuplatoniker Gedanken gemacht, wir werden bei der Besprechung von Proklos’ sechster Götter-Hymne noch darauf zurückkommen.
Da der Mythos von Eleusis allem Anschein nach die Erfahrung eines Abstieges in die Unterwelt und einer Wiedergeburt vermittelte, spielte Hekate in ihm eine wichtige Rolle als Helferin und Wegbereiterin des Einzuweihenden. Sie war die Hüterin der Schwelle, die vor jeder Reise in die Anderwelt gewonnen werden musste. Hierfür spricht, dass sich in Eleusis ein propyläisches Hekate-Heiligtum befand, das auch von Pausanias (I, 38) erwähnt wird. Bei den Einweihungen hat die Fackel, die sie oft als Symbol in Händen hält, gewiss eine kultische Rolle gespielt (und zwar als chthonisches Symbol81). Hekate hilft Demeter bei der Suche nach der geraubten Tochter, indem sie ihr mit ihrer Fackel leuchtet – was von den Neophyten zu Eleusis am Abend des 20. Boedromion, des Iakchos-Tages, am Meeresufer kultisch nachgespielt wurde.
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