Название: Das Versprechen der Nonne
Автор: Robert Storch
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783961400874
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Goumerads Platz war bei den Laudes am Morgen nach seiner Abreise immer noch verwaist. Sollte seine lange Unterredung mit Wulfhardt nur um die Heiden von der Lichtung kreisen? Michal glaubte es nicht. Was bereden sie wohl so lange?, grübelte sie während des Morgenlobs. Voll böser Ahnungen verließ sie die Kirche, doch kaum war sie ins Refektorium getreten, flatterten alle Sorgen davon: Ihre Mädchen hatten die Stühle schon herausgetragen und den Tisch, an dem Michal für gewöhnlich mit ihren Schwestern speiste, an die Seite gerückt. Jedoch saßen die Mädchen nicht brav auf dem freigewordenen Platz und warteten auf den Unterricht, sondern tobten herum. Sie spielten so etwas wie Fangen, obwohl Michal nicht erkannte, wer vor wem davonrannte. Vielleicht hüpften sie auch nur in völligem Durcheinander hin und her.
Vor drei Monaten hatte Walburga den Unterricht für die Mädchen des Dorfes eingeführt, wogegen Goumerad umgehend gewettert hatte, weil das Weib, zumal in jungen Jahren, zu wenig Verstand für eine Unterweisung in geistigen Dingen besitze und dies mithin nicht von Gott gewollt sein könne. Seit sie das gehört hatte, unterrichtete Michal die Mädchen mit noch mehr Vergnügen.
Michal hatte den Kinderlärm in den letzten beiden Wochen, als die Mädchen bei der Ernte hatten helfen müssen, vermisst, erst recht an den letzten beiden schweigsamen Tagen. Jetzt genoss sie die ausgelassenen Kinder umso mehr − und bedauerte gleichzeitig, dass dieser Spaß ihr in der Kindheit verwehrt geblieben war: Damals, in ihrer Heimat jenseits des Meeres im Norden, in der Klosterschule zu Wimborne, hatte niemand gewagt, weiter herumzuspringen, wenn eine Lehrerin den Raum betreten hatte. Nur am Hof ihrer Eltern hatte sie in den wenigen freien Stunden nach Schule und Gebet mit den Kindern der Knechte und Mägde gespielt. Es hatten sich auch Knaben unter ihren Spielkameraden befunden, doch kurz nach ihrem elften Geburtstag hatte Mutter alle Knaben vom Hof geschickt, um, wie sie sagte, sie vor schädlichem Einfluss zu schützen.
Schweren Herzens beschloss Michal, das Durcheinander zu beenden. Sie klatschte in die Hände. „Ruhe, Kinder!“
Niemand hörte sie, nur eine Kohlmeise, die auf dem Fensterrahmen herumgesprungen war, flatterte davon. Sie schritt zum Pult, wo während der Mahlzeiten die Vorleserin stand, und knallte mit der Faust auf das Pult − ohne Erfolg. Also griff sie zur schrecklichsten Drohung: „Ich schicke euch alle in die Schule der Mönche, wenn ihr nicht sofort eure Wachstafeln nehmt und euch auf die Fliesen setzt!“
Die Mädchen blieben dort, wo sie gerade herumsprangen, wie festgewurzelt stehen. Wahrscheinlich dachten sie an ihre Brüder, die oft mit schmerzenden Hinterbacken aus dem Unterricht kamen. Begleitet von einem enttäuschten Murmeln nahmen die 24 Schülerinnen Wachstafeln und Griffel zur Hand und drängten sich auf den weißen Fliesen der alten Römervilla zusammen.
Michal lächelte, trat hinter dem Pult hervor und begann mit einer Rechenaufgabe. „Die Bäuerin melkt die Kühe Elsa und Frida. Elsa gibt zwei Kannen Milch, Frida drei.“ Sie nickte einer Schülerin in der ersten Reihe zu. „Clara, was denkst du: Wie viele Kannen Milch hat die Bäuerin?“
„Vier!“, antwortete das rotwangige Mädchen mit dem Blondschopf.
Michal setzte sich im Schneidersitz vor Clara auf die Fliesen und legte das Kinn auf die gefalteten Hände. „Wie viele Brüder hast du, Clara?“
Das Mädchen runzelte die Stirn, wahrscheinlich ahnte sie, dass ihre Antwort falsch war. Trotzig antwortete sie: „Vier!“
„Und wen von ihnen magst du am meisten?“
„Den Michel!“
„Und was ist mit den anderen?“
Clara ballte die kleinen Hände zu Fäusten. „Die sind blöd!“
„Du streitest dich mit ihnen?“
„Ja. Weil sie blöd sind!“
„Und wenn du dich mit ihnen streitest, was würdest du da am liebsten mit ihnen tun?“
„Ich hau ihnen Ohrfeigen rein!“ Sie holte mit dem rechten Arm aus, als stünden ihre Brüder vor ihr.
Michal schaffte es, ernst zu bleiben. „Das wären wie viele Ohrfeigen?“
Clara überlegte kurz mit zur Decke gewandtem Blick, dann hielt sie zwei Finger hoch und rief: „Drei!“
„Ah! Das sind so viele Ohrfeigen wie die Kannen Milch, die von der Kuh Frida gefüllt werden, richtig?“
„Glaub schon.“
Michal fuhr fort, während die Kohlmeise wieder auf dem Fensterrahmen Platz nahm: „Nun haben wir noch die Kuh Elsa, sie gibt zwei Kannen. Angenommen, du hast noch zwei weitere Ohrfeigen frei. Wem würdest du sie geben?“
Die Antwort kam wie aus dem Bogen geschossen: „Cristan und Georig!“
„Nun sage noch einmal die Namen von allen Knaben, die du ohrfeigen willst. Und bei jedem Namen machst du einen Strich in die Wachstafel.“
Clara nahm den Griffel, murmelte die Namen und zog nach jedem Namen, begleitet vom Zwitschern der Kohlmeise, einen Strich in das Wachs. Am Ende zählte sie fünf Striche.
„Richtig!“, lobte Michal. „Die Striche stehen für deine drei Brüder und für die anderen zwei Knaben, die du nicht magst, sie könnten aber auch für die drei Kannen von Frida und die zwei Kannen von Elsa stehen. Somit hast du die Aufgabe gelöst, wenn auch mit Ohrfeigen statt mit Milch.“
Die Mädchen lachten, die Meise flatterte davon.
Michal stellte weitere Rechenaufgaben und freute sich, dass ihre Mädchen noch so gut rechnen konnten wie vor zwei Wochen. Auch Clara, der sie noch zwei weitere Aufgaben stellte, gab auf Anhieb die richtigen Antworten. Als zur Terz gerufen wurde, beendete Michal den Unterricht, nicht ohne zu mahnen, nach der Terz wieder brav auf den Plätzen zu sitzen. Die Mädchen stürmten nach draußen in den kühlen, aber sonnigen Herbsttag.
Nach der Terz, als Michal die Kirche verließ, nahm sie im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Sie sah die Anhöhe hinauf, die jenseits des Nonnenklosters anstieg. Aus dem Wald, in dem sich erste gelbe Flecken in das grüne Blätterdach mischten, trat ein Mann, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, den Wanderstab auf die Erde setzend: Goumerad.
Goumerad führte ruhig durch die Sext, ohne die Ergebnisse seiner Reise zu verkünden, die Non eröffnete er mit dem Vers, den der heilige Benedikt dafür vorgesehen hatte: „O Gott, komm mir zu Hilfe!“
Mönche und Nonnen antworteten: „Herr, eile mir zu helfen.“
Sodann erfüllten die acht Strophen des Hymnus „A solis ortus“ die Kirche zu Heidenheim. Auch Goumerad schien versunken in den Lobpreis des Lebens Jesu, doch manchmal schielte er zu den Nonnen herüber, und da war es Michal, als erkenne sie einen Schimmer Schadenfreude auf seinem Gesicht. Doch er verschwand so schnell, wie er aufgeschienen war, und die Psalmen 119 bis 121 trug Goumerad vor wie stets: fehlerfrei, in der immer gleichen Stimmlage, ohne Pausen.
Nach Lesung und Kyrie eleison − die ersten СКАЧАТЬ