Название: Das Versprechen der Nonne
Автор: Robert Storch
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783961400874
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Immer noch starrte Wulfhardt sie an. Jetzt befeuchtete er die Lippen, während sich die von hervortretenden Adern überzogenen Hände um den Schwertgriff krallten. Er wandte sich ab, Michal atmete auf. Jetzt glückte es ihm, das Schwert zurück in den Gürtel zu stecken. Er schlich mit seinen Männern im Regen davon, nur mit den Ballen auftretend, wie ein Hund, der fürchtete, einen Bären aufzuschrecken.
Dieser Mann strahlte eine Finsternis aus, die sie erschaudern ließ: der schwarze Schnurrbart, dessen Enden nach unten zeigten, die Mähne aus schwarzen Locken, von denen einige in die Stirn hingen sowie der schwarze Mantel, auf dem, an einer Halskette befestigt, ein silbernes Kreuz prangte. Sonst erfüllte sie der Anblick eines Kreuzes mit Dankbarkeit gegenüber dem Herrn, der für sie gestorben war. Doch dort, an der Brust dieses Mannes, kam es ihr vor wie eine Verhöhnung Gottes. Hatte Jesus nicht die Kinder Gottes gespeist? Wulfhardt dagegen hatte sie morden wollen wie König Herodes. Sie hatte einen Sieg gegen den Teufel errungen!, triumphierte Michal innerlich. Wäre sie nicht standhaft geblieben, wären all die guten Menschen hier Opfer des Schwertes geworden. Sie dankte Gott, dass Wido, ein junger Bursche von der Lichtung, den Häschern des Teufels entflohen war und sie, die Mägde Gottes, zu Hilfe gerufen hatte.
Michal fing den Blick von Aebbe auf, ihrer zwanzig Jahre alten Freundin. Ihr Gesicht war noch blasser als sonst, die kornblumenblauen Augen weit aufgerissen.
Schon in ihrer angelsächsischen Heimat, dem Königreich Wessex, war Michal zusammen mit der zwei Jahre älteren Aebbe in der Klosterschule zu Wimborne auf den heiligen Kriegsdienst vorbereitet worden, wenngleich Aebbe oft, im Gegensatz zu Michal, der Eifer gefehlt hatte, dem Pfad der Tugenden zu folgen, den die heiligen Schwestern ihr gewiesen hatten. Michal mutmaßte, dass sich dieser Gegensatz durch ihre Elternhäuser begründete: Aebbe war das siebte Kind eines Gutsbesitzers, noch als Säugling hatten die Eltern sie in das Kloster gegeben und hatten ihr sodann keine elterliche Liebe mehr angedeihen lassen. Michal hingegen hatte zeitlebens mit ihrer Mutter und mit Walburga zwei herausragende Fürsprecherinnen Gottes an ihrer Seite gehabt, die sie, so lange sie denken konnte, auf die klösterliche Zucht vorbereitet hatten.
So schien es kein Wunder, dass Aebbe und sie in der Klosterschule getrennte Wege gegangen waren. Dies hatte sich jedoch bei ihrer Fahrt über das Meer, das die Südküste ihrer angelsächsischen Heimat von der Nordküste des fränkischen Königreiches trennte, geändert: Sie waren in einen tosenden Sturm geraten. Während die Wellen über die Reling geflutet waren und das Schiff hin und her geworfen hatten, hatten sie gemeinsam gebetet, bis der Sturm sich gelegt hatte.
Diese Erfahrung hatte zwischen ihnen das Band der Freundschaft geflochten. Seither steckten sie, wenn sich eine Gelegenheit ergab − was selten genug der Fall war −, die Köpfe zusammen und redeten.
Zusammen hatten sie nach der Überfahrt das Kloster Tauberbischofsheim erreicht, wo Walburga sie erwartet hatte, gemeinsam mit den anderen Nonnen, von denen die meisten bereits zwölf Jahre zuvor mit Walburga nach Franken gesegelt waren.
Doch sie sollten nicht lange in Tauberbischofsheim verweilen, denn nach drei Wochen hatte sie die Nachricht erreicht, dass Wynnebald, der Abt zu Heidenheim und Walburgas Bruder, bald zu seinem seligen Lebensende gelangen werde. Und so waren sie nach Heidenheim gelangt, wo Walburga das Erbe ihres Bruders angetreten hatte.
Die Heiden von der Lichtung warfen sich Walburga zu Füßen und dankten ihr, jedoch wehrte die Äbtissin ihre Danksagungen ab mit dem Hinweis, die Rettung sei nicht ihrem Verdienst zuzuschreiben, sondern allein der Liebe Gottes. Sie wandte sich zum Heimweg bei prasselndem Regen. Der Wind frischte mehr und mehr auf, er zerrte an Walburgas Umhang, sodass Michal fürchtete, diese schilfdünne Frau könnte davongeweht werden wie ein Laubblatt im Wind, doch stoisch setzte sie einen Fuß vor den anderen, den Kopf geneigt, den Blick gesenkt, die Flächen ihrer Hände aneinandergelegt. Die Nonnen folgten ihr wie Küken einer Glucke, immer in die Abdrücke tretend, welche die hölzernen Sohlen von Walburgas Schuhen im durchweichten Waldboden hinterlassen hatten. Nur zurzeit der Sext hielten sie inne für ein Gebet, nach dem der Himmel die Schleusen schloss.
Auf einer Anhöhe traten sie aus dem tropfenden Wald, unter ihnen umgaben Heidenheims Häuser die Kirche, wo sie den Herrn sieben Mal am Tag und ein Mal in der Nacht priesen. Wynnebald, eifriger Knecht Christi, erster Abt von Heidenheim, Bruder Walburgas, hatte die Kirche aus Steinen einer verfallenen Römervilla errichtet. Im Süden trennte die Kirche ein kleiner Platz, auf dem jeden Montag Markt gehalten wurde, vom zweiten Steingebäude Heidenheims: dem Meierhof, der noch vor Wynnebalds segensreichem Wirken in Heidenheim erbaut worden war. Jetzt war der Markt verwaist bis auf zwei Frauen, die, vom Wynnebaldsbrunnen hinter der Kirche kommend, mit je zwei Wassereimern über den vom Regen durchweichten Platz stapften und tratschten. Da öffnete sich das hölzerne, oben in einem Halbkreis auslaufende Kirchenportal, und die Mönche traten nach Abschluss der Sext heraus. Goumerad, der Priester und Prior des Männerkonvents, drehte den Kopf in Richtung der Nonnen, die anderen Mönche bemerkten dessen Kopfbewegung und sahen ebenfalls zu ihnen herauf. Doch hastig, als hätte man sie bei etwas Verbotenem ertappt, wandten sie sich ab und gingen ihrer Wege zu den Häusern des Mönchsklosters, die sich nördlich der Kirche um den schlammigen Klosterhof gruppierten. Die Mönche durften nach der Sext lesen oder ruhen, und so schlenderten einige ins Refektorium, um zu lesen, die meisten allerdings in das Dormitorium, um zu dösen, wiederum andere ins Necessarium, um Wasser zu lassen.
Nebenan gingen die Bediensteten des Klosters in den Wirtschaftsgebäuden ihrem Tagwerk nach: Ein Fuhrwerk lud am Stadel Heu ab, eine Magd stapfte aus dem Kuhstall, in jeder Hand eine Milchkanne. Der Fuhrknecht lehnte sich gegen den Wagen, folgte der Magd mit den Blicken und rief ihr etwas nach, woraufhin diese den Kopf in den Nacken warf und lachte. Törichtes Gelächter, dachte Michal, froh um die Nonnenklausur, die, wie Walburga stets betonte, ihren Sinn weglenkte von weltlichen Sorgen und Geschäften, hin zu einer Lebensform, die den göttlichen Anordnungen entsprach.
Die Nonnen wanderten die Anhöhe hinunter zu einer Brücke, die sie über den Gießbach führte, in dem weiter oben das oberschlächtige Mühlrad plätscherte. Hier hatten die Nonnen ihren Kräutergarten angelegt. Im Frühjahr blühte und duftete und summte es von all den Bienen, die den süßen Saft des Nektars schlürften und an den Beinen und am ganzen Körper zu den Bienenkörben trugen. Jetzt hingegen, im September, schwirrte nur eine einzige Biene über verblühte Pflanzen von Huflattich, Enzian, Holunder und Mohn.
Auf Latein trug Walburga den Nonnen Arbeit auf. Sogleich besetzte Amalberga die Klosterpforte, Fideswide und Aebbe webten im Genitium, Truthgeba und Hilda ernteten Spinat und Sellerie, und Eadburga goss eine Kerze für die Kirche. Michal wollte sich in die Schreibstube begeben, aber Walburga hielt sie zurück. „Einen Moment, Hugeburc!“
Michal erschrak. Mit ihrem Geburtsnamen Hugeburc redete Walburga sie vornehmlich an, wenn sie ihr Verhalten rügen wollte. Sonst nannte auch Walburga sie nach ihrem Rufnamen Michal, den Schwester Eadburga ihr einst gegeben hatte, nach der jüngsten Tochter von König Saul, war doch auch Hugeburc die jüngste und kleinste der Nonnen in Heidenheim.
Walburga hob den rechten Zeigefinger. „Im sechsten Kapitel der Klosterregel verfügt der heilige Benedikt: Ich sprach, ich will auf meine Wege achten, damit ich mich mit meiner Zunge nicht verfehle. Ich stellte eine Wache vor meinen Mund, ich verstummte, demütigte mich und schwieg sogar СКАЧАТЬ