Название: Das Versprechen der Nonne
Автор: Robert Storch
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783961400874
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Zum Glück hatte er schnell handeln können. Das verdankte er der Tatsache, dass er in den letzten Jahren − unbemerkt vom neunmalklugen Bruder − das Ohr des bairischen Herzogs Tassilo gesucht und gefunden hatte. Tassilo wartete nur auf eine Gelegenheit, die Gebiete zurückzuerobern, die Baiern im Krieg vor vierzehn Jahren an das Fränkische Reich verloren hatte. Jede Schwächung eines fränkischen Grafen kam ihm zupass. Deshalb hatte er nicht gezögert, als sich Wulfhardt vor zwei Tagen bewaffnete Reiter von ihm erbeten hatte, um den Hof seines Bruders zu überfallen. Und hier waren sie: Der unbewachte Grafenhof samt seiner Bewohner war eine leichte Beute gewesen.
Wulfhardt rief sich selbst zur Ordnung. Er wusste, dass er seine Gedanken nicht an die Vergangenheit verschwenden durfte, sondern dass er sie auf die Aufgaben richten musste, die vor ihm lagen: Der nächste Schritt seines Plans sah vor, die Schuld für den Überfall auf andere zu lenken. Nur wenn ihm dies gelänge, würde der König ihn zum Grafen ernennen. Er hatte alles genau durchdacht. Und diese Pläne würde Gerold bestimmt nicht durchkreuzen, dort unten im Verlies, wo er verhungern würde.
Wulfhardt bezahlte die Reiter aus der gräflichen Schatztruhe und entließ sie. Er warf sich einen schwarzen Mantel über, der auf der rechten Schulter mit einer goldenen Spange geschlossen wurde.
Barfuß, auf einen Stab gestützt, wanderte er an den nächsten Tagen durch die umliegenden Dörfer. Mit tränengefüllten Augen und stockender Stimme erzählte er, welch furchtbare Zerstörung er am Hof seines lieben Bruders vorgefunden habe. Er lud jeden ein, sich ihm anzuschließen, um seine Familie zu Grabe zu tragen. Nach einer Woche kehrte er mit Hunderten trauernder Männer und klagender Weiber an den Grafenhof zurück.
Zwar missfiel es Wulfhardt, dass sein Bruder so beliebt beim gemeinen Volk war, dennoch frohlockte er bei dem Gedanken, diese Beliebtheit für seine Zwecke auszunutzen.
Als er mit der Menschenmenge den Hof erreichte und einen beiläufigen Blick auf die Falltür warf, die zum Gefängnis führte, erstarrte er: Sie war offen, mit einem faustgroßen Loch in der Mitte, im Verlies von Gerold keine Spur. Warum nur hatte er ihn nicht gleich mit seiner Lanze durchbohrt? Zum Glück schrieben die Menschen seine Verwirrtheit der Trauer um seine Familie und den vielen Leichen auf dem Grafenhof zu. Erst am nächsten Morgen konnte er wieder einen klaren Gedanken fassen. Er nahm sich vor, dennoch alles so durchzuführen wie geplant. Er ließ Gräber ausheben für die Grafenfamilie. In Gerolds Grab ließ er eine der verkohlten Leichen aus dem Großen Saal legen. Er hielt die Trauerrede am Grab des Bruders. Es fiel ihm leicht, den trauernden Bruder zu spielen, denn während all der Jahre am Grafenhof hatte er gelernt, sich zu verstellen und seinen Groll zu verstecken. Und so setzte er nun ein Gesicht auf, in das die Traurigkeit tief eingegraben war, und er wählte Worte voller Wehmut. Dies alles, während er jeden Moment befürchtete, Gerold könnte vor die Trauernden treten und ihn den Mörder seiner Familie schimpfen.
Aber Gerold tauchte nicht auf, auch nicht, als Wulfhardt nach der Beerdigungsrede die Schuldigen für diesen Überfall anklagte: „Die Heiden waren es!“, rief er, scheinbar vor Rachedurst bebend. „Dort, auf diesem Hügel im Osten, verstecken sie sich im Wald. Ihr wisst es, ihr braven Männer. Sie treffen sich an Quellen und Lichtungen, wo sie ihren Dämonen opfern, anstatt den Herrn Jesus anzubeten.“ Er riss die rechte Hand nach oben, von dort baumelte ein Halsband herunter, an dem ein Tierknochen hing. „Und die Opfertiere tragen sie mit sich herum! Wie dieses, das ich gleich hier am Grafenhof, inmitten unserer Toten gefunden habe!“ Wütend heulte die Menge auf. Wulfhardt kannte sie: Den Heiden hatten sie schon lange nicht mehr über den Weg getraut. „Ihr guten Menschen! Ihr wisst: Wer den Grafenhof überfällt, kann auch jedes andere Dorf überfallen!“
Männern stieg die blanke Angst in die Augen, Frauen hoben klagend die Arme gen Himmel.
„Doch wir können ihnen ein Ende machen, jetzt und für immer!“ Wulfhardt reckte sein Schwert in die Höhe. „Wer folgt mir?“
„Wir!“, riefen die Männer. „Wir folgen dir!“
Wulfhardt verteilte Schwerter an die erzürnte Meute und marschierte mit ihnen durch den Wald bis zu einer Lichtung. Die Schatten der die Lichtung umsäumenden hohen Buchen und dichte Wolken hielten die Sonne zurück. Fahles Licht fiel auf drei windschiefe Hütten. Die Weizenfelder rund um die Hütten waren abgeerntet bis auf eines, in dem drei Männer, zwei Frauen und zwei Kinder ihre Sicheln in immer gleichen Bewegungen gegen die Halme führten. Ein weiterer Mann schüttete Abfälle in einen von grunzenden Schweinen umsäumten Trog.
Einer der Männer, die im Weizenfeld standen, drehte sich zu Wulfhardt um, wahrscheinlich hatte er ihn im Augenwinkel gesehen. Er musterte die Schwerter in den Händen von Wulfhardt und seinen Männern. Ein Schreckensruf verständigte seine Nebenleute und die Heiden in den Hütten.
Die Heiden rannten davon.
Wulfhardts Männer verfolgten sie bis tief in den Wald, beinahe bis zum Kloster Heidenheim, und schleiften sie zurück auf die Lichtung.
Wulfhardt musterte die Heiden. Zwar drohte er in seiner Rolle als Bischof oft den Ungläubigen mit Teufel und Hölle, doch im Grunde hatte er nichts gegen ihre Zeichendeutungen und Totenbeschwörungen einzuwenden, denn dadurch, dass Vater nur halbherzig gegen die Rituale der Vorfahren, die auch unter den Getauften noch vollzogen wurden, vorgegangen war, hatte er viele Möglichkeiten kennengelernt, den Willen der Götter zu erkunden und zu beeinflussen. Wie viel mehr Nutzen brachte ihm das im Gegensatz zum schwachen, gekreuzigten Christengott! So prüfte er stets selbst, ob göttliche Zeichen seine Vorhaben guthießen. So hatte er einen hellen Feuerstrahl am Himmel blitzen gesehen, gerade als er den Plan zum Überfall auf den Grafenhof geschmiedet hatte. Sofort hatte er die Botschaft der Götter erfasst: Er sollte Feuer über den Grafenhof bringen.
Nein, er verdammte nicht die Riten der Heiden. Vielmehr missfiel ihm, dass sie sich seiner bischöflichen Macht entziehen wollten.
Die meisten der beinahe zwanzig Heiden blickten furchtsam auf die grimmigen Männer, Mütter hielten schützend die Arme um ihre Kinder. Ein Mann jedoch verschränkte die Arme vor der Brust und glotzte Wulfhardt trotzig an. Auf diesen Mann schritt Wulfhardt zu und drückte ihm die Klinge an den Hals. „Gestehe! Wer von euch hat meinen Bruder ermordet?“
Der Mann rührte sich nicht, nur den Kopf wendete er leicht, sodass die dunklen Augen unter den buschigen Brauen Wulfhardt erfassten. „Niemand.“
„Pah! Warum seid ihr davongerannt, wenn ihr nichts zu befürchten habt, he? Ihr habt euch an meinem Bruder gerächt! Weil ihr auf sein Geheiß jeden Sonntag in der Kapelle das Kreuz anbeten musstet! Aber eure heidnischen Götter, die wollt ihr weiter ehren. Gibst du zu, dass ihr ihnen opfert?“
Der Mann ließ einige verräterische Augenblicke verstreichen, dann sagte er: „Nein.“
Die Ungerührtheit des Mannes überraschte Wulfhardt und steigerte das Verlangen, ihn zu demütigen. So, wie er früher gedemütigt worden war. „So seid ihr Heiden: mordet und lügt. Ihr seid mit dem Bösen im Bunde.“
Ein Mädchen löste sich aus den Armen der Mutter, rannte zum Mann und klammerte sich an sein Bein. Schwarze, zerzauste Haare fielen auf die Schultern herab, mit dreckigen Fingern bohrte es in der Nase.
Wulfhardt packte das Mädchen und zerrte es zu sich. Der Mann stürzte vor, um es seinem Griff zu entreißen, doch Wulfhardt hielt ihm die Klinge vor das Gesicht. Bald waren seine Männer zur Stelle und drehten dem Mann die Arme auf den Rücken.
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