Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
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СКАЧАТЬ Buggeln für das KZ Neuengamme veröffentlichte Arbeit sowie die von Bertrand Perz und Florian Freund für das Außenlagersystem von Mauthausen Modellcharakter. Alle drei Ausarbeitungen untermauern, dass die Überlebenschancen der Häftlinge wesentlich von der Art der Arbeit, zu der sie eingesetzt wurden, abhingen.73 Es bleibt abzuwarten, ob die Feststellungen auf das System der Außenlager von Buchenwald übertragbar sind. In der Vergangenheit war die Räumung der Buchenwalder Außenkommandos vergleichbar schlecht erforscht. Diese Lücke wurde im Jahr 2008 durch die Arbeit Katrin Greisers geschlossen.74

      Die Entwicklung der Buchenwalder Außenkommandos zum Konzentrationslagerkomplex Mittelbau-Dora und seine Bedeutung innerhalb des Lagerkosmos – insbesondere die Gründung einer Vielzahl neu gegründeter Sub- und Außenkommandos – ist verhältnismäßig gut dokumentiert, auch wenn Neander in seiner Dissertation von 1996 noch schrieb, es handele sich um ein weithin „vergessenes Lager“, ja sogar „eines der bislang am wenigsten bekannten und erforschten nationalsozialistischen Konzentrationslagern“.75 Diese Aussage mag auf frühe Darstellungen des KZ-Komplexes zutreffen, ist heute aber nicht mehr gerechtfertigt.76 Auf westdeutscher Seite gehörte das KZ Mittelbau-Dora zu den wenigen Lagern, die schon 1970 in Broszats „Studien zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern“ vorgestellt wurden.77 Bis Ende der 1980er Jahre blieben auf westlicher Seite mit Ausnahme der technik- und militärgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten von Manfred Bornemann78 – und insoweit ist Neander zuzustimmen – weitere nennenswerte Impulse aus. Anders die Situation in der DDR. Dort waren bereits in den 1960er Jahren eine Vielzahl wissenschaftlicher Abhandlungen zum KZ Mittelbau-Dora entstanden, die allerdings nur schwer zugänglich waren, da sie meist nur in wenigen Exemplaren aufgelegt oder nur im kleinen Rahmen veröffentlicht wurden. Es handelte sich dabei um Arbeiten einer von Professor Walter Bartel79 betreuten studentischen Forschungsgruppe, die an der Berliner Humboldt Universität zwischen 1966 und 1970 sehr detailreiche Diplomarbeiten und Dissertationen hervorbrachte.80 Ende der 1960er Jahre war das KZ-Mittelbau in der DDR weitaus besser erforscht, als die ebenfalls in Ostdeutschland gelegenen ‚größeren‘ Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen. Allerdings beschränkten sich die Arbeiten weitgehend auf die Darstellung von Einzelaspekten des Stammlagers und seine Rolle für die Rüstungsindustrie. Die Außenlager und Subkommandos Doras spielten nur eine untergeordnete Rolle. Die in der DDR bis 1990 veröffentlichten Arbeiten griffen fast ausschließlich auf die Ergebnisse der Berliner Forschungsgruppe zurück. Neue Erkenntnisse blieben seit Anfang der 1970er Jahre aus.

      Seit Anfang der 1990er Jahre vermitteln sowohl Gesamtdarstellungen als auch Untersuchungen einzelner Aspekte der Lagergeschichte und Einzeldarstellungen zu den Subkommandos ein sehr genaues Bild vom System des KZ Mittelbau-Dora. Joachim Neander dokumentiert in seiner bereits genannten Dissertation und in weiteren Arbeiten ausführlich die Auflösung des Lagerkomplexes im April 1945 sowie die Todesmärsche und ihre Routen.81 Teils noch unveröffentlicht sind Oliver Taukes Analyse zur Funktion der Häftlingskrankenbauten und Olaf Mußmanns Forschungsergebnisse über die Funktionshäftlinge sowie die italienischen Häftlinge im KZ-Komplex Mittelbau-Dora.82 Die Geschichte einzelner Dora-Außenkommandos haben Jürgen Müller („Dachs IV“), Thilo Ziegler (Raum Sangerhausen), die Arbeitsgemeinschaft Spurensuche in der Südharzregion (Lager der Helmetalbahn), Joachim Neander und der Autor aufgearbeitet.83 2000 legte der französische Historiker und ehemalige Mittelbau-Häftling André Sellier seine umfangreiche Darstellung der Lagergeschichte vor, die als ‚Innen-Ansicht‘ wertvoll ist.84 Sehr viel grundsätzlicher gehen Rainer Eisfeld und Michael Neufeld in ihren Monographien den Gesamtkomplex Mittelbau-Dora an. In ihren umfassenden Darstellungen bildet die Frage nach Verantwortung von Wissenschaft und Technik für die Zwangsrekrutierung von KZ-Häftlingen für die Raketenproduktion den zentralen Schwerpunkt.85

      Maßstäbe setzt der Historiker und Direktor der Gedenkstätte Jens-Christian Wagner mit seinen Arbeiten.86 Ihm gelang schon 2001 in seiner Dissertation mit dem Titel „Produktion des Todes“ eine analytische Einbettung des Gesamtkomplexes Mittelbau-Dora in die NS-Kriegswirtschaft. So belegt er, dass nur eine Minderheit der Lagerhäftlinge in der Raketenmontage eingesetzt war, der weitaus größte Teil von ihnen unter katastrophalen Bedingungen auf den SS-Untertagebaustellen der Region um Nordhausen ihre Lebenskräfte ließen. Gleichzeitig belegt er die Unterschiede der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der Überlebenschancen in den Baukommandos im Vergleich mit denen der Produktion. Auch geht er der Frage nach, in welcher Weise SS und Rüstungsindustrie, aber auch Lagerverwaltung, kommunale Behörden und Institutionen kooperierten und wie die Häftlinge in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.87 Die vorliegende Arbeit greift Wagners Thesen auf und versucht, weitere Elemente der Entstehung des Lagersystems und seiner Bedeutung im projektierten bzw. entstehenden nordthüringischen Rüstungskomplex herauszuarbeiten.

      Die Quellenlage ist für weite Gebiete der Untersuchung äußerst spärlich. Das gilt insbesondere für die Aufrüstungspläne, die die Reichswehr bereits Anfang der 1920er Jahre nicht nur schmiedete, sondern konkret anging. Aus Angst vor Aufdeckung der illegal betriebenen Wiederaufrüstung wurde kaum etwas schriftlich festgehalten, allenfalls in wenigen, meist nummerierten Exemplaren. Zudem wurde der größte Teil der Reichswehrakten bei einem Brand des Heeresarchivs 1945 vernichtet.1 Die Wirren des Krieges taten das ihre, und gegen Ende des Krieges ebenso das Streben Verantwortlicher, Spuren zu vernichten. So ist das Quellenmaterial, das heute in den Archiven zur Auswertung zur Verfügung steht, als eher dürftig zu bezeichnen. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit behandelt die geheime Wiederaufrüstung der Reichswehr Anfang der 1920er Jahre. Er basiert in erster Linie auf der Auswertung eines Teiles der im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde verwahrten Bestände des „Rechnungshofes des Deutschen Reiches“ (R2301), der „Bank der deutschen Luftfahrt AG“ (R8121) und Akten der Reichskanzlei (R43). Zumindest dem Umfang des offiziellen Geldtransfers nach eröffnen sie einen Einblick in die Finanzierung von Rüstungsbetrieben und den Aufbau staatlicher Rüstungsschmieden. Außerdem bargen die Unterlagen der Amtsgruppen und Abteilungen im Heereswaffenamt (RH8), der Inspektion der Kriegsschulen (RH12 - 1), der Inspektion der Infanterie (RH12 - 2), des OKW/​Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes (RW19) und des Luftfahrtministeriums (RL3) im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg wertvolle Informationen. Zwar ließ sich die Firmenkartei, in der die Reichswehr 1.000 bis 1930 für Rüstungszwecke erkundete Firmen erfasste, bislang nicht auffinden. Dennoch geben die vorhandenen Bestände relativ gut Aufschluss über die frühen Wiederaufrüstungsbestrebungen der Reichswehr und ihre mehrfach geänderten Bedarfsplanungen für ein aufzustellendes ‚Friedensheer‘.

      Weitere Erkenntnisse konnten den Firmenunterlagen der Thiel-Gruppe und der Rheinmetall-Borsig AG entnommen werden. Beide Rüstungskonzerne betrieben in Thüringen Werke, deren Akten im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar nahezu vollständig erhalten sind. Zudem bot sich dem Verfasser die Möglichkeit, Teile des Werksarchivs von zwei Rüstungsfirmen des Konstrukteurs und Industriellen Curt Heber zu sichten, der Mechanischen Werke Neubrandenburg und der Osteroder Firma Heber. Einblick gewährte freundlicherweise der Sohn des Firmeninhabers, Manfred Heber. Ein weiterer Teil der Firmenunterlagen, die die Alliierten nach dem Krieg in Osterode zunächst beschlagnahmt hatten, konnten im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover benutzt werden. Darunter fanden sich auch die ‚Entnazifizierungsunterlagen‘ Curt Hebers, doch durch ihre Verschleierungstendenz verhehlen sie Hebers frühe Zusammenarbeit mit der Reichswehr und halten die Tatbestände nicht fest.2 Ergiebig waren ebenfalls die Unterlagen, die die Alliierten für die Nürnberger Industrieprozesse zusammengestellt hatten. So ließen sich in den Prozessakten (NIK Bestand) gegen Krupp Belege aus dem Heereswaffenamt finden wie eine Aufstellung vom Juni 1927 über den Umfang der verdeckten Aufrüstungsmaßnahmen und der daran beteiligten Firmen. Dies überrascht, da sich Krupp im gleichen Sommer 1927 noch geweigert hatte, in seinem Magdeburger Grusonwerk ohne ausreichende politische Deckung von Seiten der Regierung die illegale Produktion von Geschützen aufzunehmen.3

      Dagegen erlaubt die Materialfülle für den rüstungskonjunkturellen Aufschwung ab 1933 im heutigen Land Niedersachsen eine relativ lückenlose Darstellung. Einen detaillierten Überblick geben die Quartalsberichte der Rüstungskommandos Hannover (RW21 - 27) und СКАЧАТЬ