Название: Die Versuchung des Elias Holl
Автор: Axel Gora
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783839238806
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»Na gut, werter Stadtpfleger, wie lautet Euer Plan?«
»Euren ersten Vorschlag, nur die Fassade des alten Rathauses zu renovieren und die Innenräume neu aufzuteilen, hatten wir aus guten Gründen seinerzeit schon komplett verworfen. Der zweite Vorschlag war mir schon besser eingegangen, ein Neubau, bei dem Kaisererker, Wanduhr und Glockenturm erhalten blieben.«
»Meine Reminiszenz an Vergangenes, gewiss, aber auch ein unglücklicher Kompromiss. Mit diesem Entwurf war ich damals schon nicht glücklich und bin es heute noch weniger. Die baufälligen Wände hätten wir nur zum Teil beseitigt, und die Proportionen der Achsen hätten nicht gestimmt, weil ich mich an den alten Grundriss hätte halten müssen. Zudem, den dürftigen gallischen11 Glockenturm stehen zu lassen, wäre ein riskantes Spiel, auch er ist inzwischen von Wind und Wetter zerfressen.«
»Ergo?«
»Das alte Rathaus gehört abgerissen, werter Remboldt, und ein neues her! Ein imposantes, eines, das Augsburgs Stand in der Welt Ehre macht, wo selbst gekrönte Häupter achtungsvoll staunen! So eines bau ich Euch: wohlproportioniert, größer und schöner als das vorige!«
»Ich weiß, dass Ihr das könnt. Und so eines will auch ich, wie ich mich Euch wohl unmissverständlich erklärte. Aber was ist mit dem alten Pferdefuß? Der Rathausturm mag ›dürftig‹ sein, er ist dennoch der ehrenvolle Hort der Ratsglocke! Und diese ist wie kein zweites akustisches Insignium unserer weltlichen Macht! Die Ratsglocke ist die wichtigste, wichtiger noch als die Sturmglocke im Perlachturm und die Glocken der umliegenden Kirchen. Seit Jahrhunderten stehen die Menschen mit ihrem Schlag auf, richten sich bei den Arbeits- und Brotzeiten nach ihr und gehen mit ihr zu Bett. Die Ratsglocke ist für uns alle Ankündiger von weltlicher Freud wie Leid – kein großes urbanes Ereignis ohne deren Läuten! Keine Stadt kann ohne sie sein.«
Remboldt zog die Stirn in Falten. Das tat er immer, wenn er um eine Lösung rang, sich ihm aber keine zu bieten schien.
»Was, Remboldt, wenn ich einen Ort fände, an dem die Ratsglocke noch besser präsent ist als jetzt?«
»Die Glocke wiegt mächtige fünfundvierzig Zentner, so viel hatte zumindest die städtische Heuwaage angezeigt; dazu kommt noch das eiserne Schlagwerk. Wo wollt Ihr einen geeigneten Platz für dieses Monstrum finden?«
»Lasst das meine Sorge sein. Ich will nur eines wissen: Wenn es mir gelingt …?«
»Ich wiederhole mich: Die Zeit ist reif! Löst das Glockenproblem, Holl … und ein neues Rathaus wird gebaut!«
»Hand drauf?«
»Hand drauf!«
Ich hielt ihm den ausgestreckten Arm entgegen. Remboldt schlug ein und zuckte unter meinem starken Zugriff; nach den ganzen Jahren endlich die Gelegenheit für den Bau eines neuen Rathauses zu bekommen, durchströmte mich dermaßen mit der Kraft der Freude, dass ich an mich halten musste, ihn nicht geradewegs zu umarmen.
»Ihr habt eingeschlagen, Remboldt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.«
»Pacta sunt servanda12. Das gilt für mich und für Euch auch!«
»Ihr verzeiht mir, wenn ich jetzt gehe? Ich brenne, Euch meine Lösung zu präsentieren!«
»Geht, Holl, geht! Und präsentiert mir! Ich bin gespannt!«
Ich trat aus der Tür und eilte durch den Schnee über den leeren Obstmarkt direkt nach dem Neuen Bau. Dort meinen Zollstock und einen Bogen Pergament aus der Poliernische geholt, machte ich Hans’ neugierigen Fragen eine hoffnungsträchtige Andeutung, und strebte geradewegs zum Perlachturm.
Niemals zuvor war ich fiebernder die engen und niedrigen Stufen bis nach oben unter den Dachstuhl geeilt. Es lag auf der Hand, dass nur hier und nirgendwo anders der neue ehrenvolle Hort der Ratsglocke sein konnte. Nachdem ich die Maße der Höhen, Breiten und Tiefen, die Stärken von Wänden und Balken abgenommen hatte, fertigte ich noch oben im Dachstuhl bei eisigen Graden mit meinem Silberstift, den ich stets bei mir trug, eine Skizze an; sie würde mir neben alten Zeichnungen im Atelier für die neue Visierung dienen. Der Perlachturm barg bereits die Sturmglocke, für die Ratsglocke samt Schlagwerk war kein Platz. Beide Glocken waren aber vonnöten, so blieb mir nur, den Turm zu erhöhen. Ich musste ihm ein neues, zusätzliches Stockwerk aufmauern – eigens für die Ratsglocke! Mindestens zwanzig Schuh hoch musste es sein und würde mit einem gefälligen Kuppeldach abschließen. Das vertrug sich bestens mit Remboldts Wunsch nach mehr Erhabenheit Augsburgs; der Perlachturm würde mit einer erneuten Aufstockung über sich hinauswachsen und noch mehr Größe und Würde ausstrahlen. Die Wandstärke jedoch, die mir als Fundament für den Aufbau dienen musste, betrug nur fünfzehn Zoll13; wenig für ein massives und offenes Glockenhaus, dass das ›akustische Machtsymbol‹ für alle Zeit beherbergen sollte, doch es musste reichen.
Als ich den Perlachturm verließ, dämmerte es bereits. Ich ging geradewegs nach Hause, um mich an die Visierung zu machen. Am Eingang zum Atelier im Hinterhof unseres Hauses, die Klinke bereits in der Hand, blieb ich stehen. Sollte ich vorher noch hoch gehen und nach Rosina schauen? Ich rieb mir das Kinn. Die Zeit drängte. Adelgund war ja bei ihr. In Gedanken an Rosina bekreuzigte ich mich und trat ein.
Das Atelier war ausgekühlt. Im Ofen schwelte nur noch ein Rest Glut. Ich warf ein paar Späne ein, die sogleich entflammten, und legte neue Buchenscheite auf. Mit großen Decken verhängte ich die Fenster und legte eine zusammengerollt gegen den Türspalt; die Kälte kroch durch alle Ritzen.
Auf dem Zeichentisch entzündete ich sämtliche Kerzen – zwölf an der Zahl, in einem elliptischen Bogen von den Stirnseiten über die hintere Längsseite angeordnet – und zog alte Risse und Visierungen des Perlachturms aus dem Kartenregal. Diese als Vorlage hergenommen, zeichnete ich zwei Dutzend Entwürfe des neuen Glockenhauses. Das erste Dutzend verwarf ich komplett; nichts davon gefiel mir, noch zu sehr war ich der alten Form des Turms verhaftet. Ich musste Neues wagen, musste mich loslösen vom Althergebrachten; doch mir war auch bewusst, allzu kühn durfte mein Gestalten nicht sein, zu leicht wären konservative Räte vor die Stirn geschlagen und mir der Auftrag abgelehnt. Die ersten Entwürfe des zweiten Dutzends waren mir schon eingängiger, ich orientierte mich an Konstruktionen von Türmen, die ich bereits erbaut hatte, wie den der Sankt Anna Kirche oder den des Wertachbrucker Tors. Die letzten drei Entwürfe brachten dann die Ergebnisse hervor, die mein Gemüt erhellten und von denen ich überzeugt war, einer hiervon fände den einmütigen Anklang des Rates. Diese drei unterschieden sich nur noch in Details; ich legte mich fest auf einen achteckigen Grundriss mit dorischen Säulen.
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