Название: Die Versuchung des Elias Holl
Автор: Axel Gora
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783839238806
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Matthias legte den Pinsel ab, rieb sich die Kniegelenke, hauchte sich in die Hände und schritt wieder zur Mitte des Ateliers, um das Fresko in seiner Ganzheit wahrzunehmen; das war der Tribut an großformatige Bildnisse, man musste in den vielen Stunden des Malens tausende Schritte hin- und hergehen, um Inaugenscheinnahme und anschließendes Fortfahren zu verbinden. Die Stimmungen der Gesichter des Figurenensembles waren ihm vortrefflich gelungen; die Fürsorge der Madonna, die Ängstlichkeit des Jesuskindes, die Erhabenheit der Heiligen Barbara und die Demut des Papstes Sixtus II., die Tiara abgesetzt, das schüttere Haupt entblößt. Nicht nur deren Physiognomie hatte er originalgetreu wiedergegeben, auch stand das Augenspiel der einzelnen Figuren der Vorlage in nichts nach; Madonna folgte dem Fingerzeig Sixtus II., während die Heilige Barbara auf die beiden Putten sah, die wiederum ihren Blick erwiderten. Stolz war er auch, die Farben aller Bildelemente selbst in kleinsten Nuancen getroffen zu haben: das elfenbeinige Sand im aus jungen Engelsköpfen bestehenden Himmel, das bernsteinerne Honiggold des päpstlichen Chormantels, das tintige Nachthimmelblau und scharlachrote Purpur des Madonnengewandes, und das moosige Waldlichtgrün des Vorhanges, der die Komposition zum oberen Rand hin geometrisch abschloss. Allein Verdruss bereiteten ihm immer noch die Faltenwürfe. Rottenhammer hatte ihn schon seinerzeit gelehrt, dass Gesichter einfach, Faltenwürfe jedoch am schwersten zu malen seien, und Recht hatte er bis heute behalten. Es half nichts; Matthias musste die ganze Kraft seines technischen Könnens in den Schlag der Falten legen und nicht eher ablassen, bis deren Ausführung dem Fresko genau den glanzvollen Rahmen schenkte, das es verdiente, aber auch brauchte, um Ehrfurcht bei seinen Betrachtern zu erwecken, die ihm nur dann weitere Gönnerschaft entgegenbrächten.
Die Zeit drängte. In sieben Tagen würde er die Enthüllung vornehmen, ein Unding, die drei Geladenen länger warten zu lassen. Er schritt zum Tisch, griff sich eine der zahlreichen Federn aus dem Becher, tunkte sie ins Tintenfass und setzte 13. März in die Einladung ein, die er noch heute abgeben würde. Somit zwang er sich, alles daran zu setzen, rechtzeitig mit der Freske fertig zu werden. Mit einem Ziehen in den Knien strebte er zurück an die Wand, nahm den Pinsel auf und machte sich an die dritte Falte von links des rechten Vorhangs.
»Matteo!« Ibia rief von draußen und trat wenige Augenblicke danach ins Atelier, den kleinen Matthias, ihren Sohn, im Arm.
»Gott, wie kalt es hier wieder ist! Man sieht jeden Atemhauch. Du wirst mich eines Tages noch unterm Malen zur Witwe machen und unseren kleinen Matteo zum Vaterlosen!«
Ibia schlug das Schultertuch übers rußschwarze Haar und drückte den Kleinen noch näher an die Brust. Schon öfters hatte Ibia Matthias vorgehalten, dass er nie einheize – der Ofen im Atelier fasste mehr Holz als der in der Wohnstube, und Scheite lagerten genügend draußen unter dem Verschlag –, doch stets vertieft in seine Arbeit, vergaß er es schlichtweg oder wollte sich nicht aus seinem schöpferischen Akt durch so etwas Banales wie heizen herausreißen lassen. Lieber fror er, als auch nur einen Moment eines kreativen Aktes – und das konnte manchmal nur ein einziger Pinselstrich sein – verlustig zu werden. Als Ibia für die Madonna seiner Replik Modell gestanden hatte – sie war das einzige lebende Modell, sonst malte er nach einer Vorlage, seinerzeit aus Rom mitgebracht –, war ihm der Ofen nur deshalb nicht erloschen, weil sie ihn immer wieder darauf hingewiesen hatte; so vertieft war er in ihr Gesicht gewesen, so verliebt in sie, die wie keine andere Frau aus dem Welschland der Sixtinischen Madonna glich. Am liebsten hätte er Madonnas braunem Haar unter dem ockerfarbenen Kopfschleier Ibias Schwarz gegeben, aber diesen Kunstfrevel zu begehen, traute er sich nicht, bei aller Liebe zur Fantasie und zu seiner Frau.
Matthias hielt inne und beobachtete, wie Ibia sich geschickt mit nur einer Hand am Ofen zu schaffen machte, während sie den Kleinen sicher mit der anderen weiter an die Brust drückte. Ihm gefielen ihre flinken Finger und ihre behänden Bewegungen; obwohl sie ihm manchmal Muße war, so war sie ihm mehr noch seine Muse. Um das Feuer zu entzünden, legte sie das in ein Tuch gehüllte Kind auf den Tisch, nahm es aber sogleich wieder in die Arme. Matthias ging auf die beiden zu und gab erst Ibia, dann seinem Söhnchen einen Kuss.
»Na, mein kleiner Scheißer!«
Der Bub strahlte. Das rührte Matthias, doch er ließ sich nichts anmerken. Er wollte nicht, dass seine Frau zu oft seine weiche Seite spürte. Sie liebte ihn der anderen Seite wegen.
»Gerade war ein Bote der Stadtpfleger da. Du sollst morgen um acht im Rathaus sein, der Geheime Rat trifft sich.«
»Du meist den Großen Rat, dem gehöre ich an. Dem Geheimen Rat werde ich es zeitlebens nicht.«
»Ich habe mich nicht verhört, der Bote sprach vom Geheimen Rat. Außerdem weiß ich sehr wohl den Unterschied, du hast ihn mir oft genug erklärt.«
»Was hat er noch gesagt?«
»Der Stadtwerkmeister habe das Problem mit der Ratsglocke gelöst. Sie käme in den Perlachturm. Jetzt könne man endlich ans Werk. Das könne für dich sehr interessant sein. Alles Weitere morgen.«
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