Название: Die Versuchung des Elias Holl
Автор: Axel Gora
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783839238806
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In der Wohnstube offenbarte Doktor Häberlin mir, dass Rosina dieses Mal bedenklich viel Blut verloren habe. Sie leide unter starkem Fieber und sei geschwächt wie nach keiner ihrer vorherigen Geburten.
»Euer Weib war bislang eine der zähesten im ganzen Sprengel. ›Nach der Geburt aß sie für zwei und trank wie ein Mann‹, hat Adelgund sie immer gelobt.«
»Mein Weib war die einzige, die so wohlauf war, dass sie bei der Taufe zugegen sein konnte!«
»Mit dem fünften Kind, scheint eine Wendung eingetreten. Das Kind selbst ist gesund. Es ist größer und stärker als die vorigen. Das ist der Grund, warum es Eurem Weib so schlecht geht. Das Kind hat ihr die ganze Kraft genommen.«
»Aber sie wird sie doch wieder zurückbekommen?«
Doktor Häberlin schwieg.
»Was muss ich tun, damit es ihr bald wieder besser geht, Doktor?«
»Ruhe und beten ist das oberste Gebot. Stündlich Kräuterwickel, viel Hühnerbrühe und getrockneter Ingwer; Adelgund weiß Bescheid. Sie wird noch eine Woche bleiben, dann müsst Ihr um ein Haus- und Kindermädchen schauen, unbedingt. Mich wundert ohnehin, dass noch keines bei Euch in Diensten steht. Bei Eurem Stand ist ein Hausmädchen längst anempfohlen.«
»Rosina wollte nichts aus der Hand geben. Sie sagte immer: ›Bei uns zuhause hatten wir das auch nicht.‹ Und bislang hat sie ja auch alles bestens bewerkstelligt. Jedes unsrer vier Kinder ist wohlauf.«
»Jetzt wird sie aus der Hand geben müssen. Zumindest für die nächste Zeit. Da führt kein Weg vorbei.«
»Ich werde mich umgehend um eine Hilfe kümmern. Wann, meint Ihr, wird es Rosina wieder besser gehen?«
»Ich meine gar nichts, werter Holl. Außer unsrem lieben Herrgott weiß das niemand.«
»Aber sie wird doch nicht … Ich meine …«
»Wir wollen es nicht heraufbeschwören. Aber ausschließen können wir es nicht.« Doktor Häberlin legte seine Hände auf die meinen. »Betet fleißig zu unserem Herrn und er wird Euch erhören.«
»Als ich kam, war ich heilfroh, dass der Herr Pfarrer nicht zugegen war, jetzt spricht er aus Euch heraus.«
Die Instrumententasche umgehängt, schritt der Doktor aus der Tür und verließ das Haus. Ich sah aus dem Fenster und ihm nach, wie er im Trippelgang durch den Schnee die Werbhausgasse hinunterschlitterte. Lange noch blieb ich am Fenster stehen, den Blick erhoben von der weiß bedeckten Gasse nach oben über die Fassaden der Häuser hinweg, über die Gesimse, die Dachfirste und Kamine. Ich blinzelte in den milchweißen Himmel und sah Schneeflocken. Abermillionen und überall. Vom Wind gepeitscht taumelten sie durch die Luft. Höschels Worte tauchten auf. »Rosina«, sprach ich leise und strich mir die Tränen von der Wange.
1 Thomas Harriot, 1560 – 1621, englischer Naturphilosoph und Astronom
2 Stil der italienischen Spätrenaissance
3 Augsburger Werkschuh = 29,5 cm. Das Maß ist in Eisen an der Westseite (Frontfassade) des Augsburger Rathauses angeschlagen
4 Zwischengeschoss
5 Damalige Bezeichnung für die Patrizier
6 Joseph d. Ä., 1564 – 1609, Maler und Zeichner für Architektur
7 Die Männer waren i. d. R. von den Geburten ausgeschlossen
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»Grüß Gott die Herrschaften. Scho’ was ausg’sucht?«
Die stämmige Wirtin vom Gasthaus ›Zum Eisenhut‹ beim Obstmarkt stand wartend am Tisch, die Fäuste gestemmt in die beschürzten Hüften. Das krause Haar hatte sie unter einer Leinenhaube verdeckt, deren lose Bänder in die massige Oberweite ihres Ausschnitts baumelten, von einer vom Bratenfett verschmierten Kordel zusammengehalten.
Remboldt zeigte zur Holztafel an der Wand, auf der mit Kreide geschrieben drei Gerichte zur Auswahl standen: Schweinsbraten, Tellersulz, Bohnensuppe.
»Ein gestauchtes Dunkles8, Theresa, und den Schweinsbraten. Holl, was nehmt Ihr?«
»Mir auch ein gestauchtes Dunkles und nur die Bohnensuppe, bitte.«
»Bloß die Supp? Des is fei net viel. Wollt Ihr net au von der Sau kosten? Mit deftige Semmelknödl?«
»Die haben hier den besten Schweinsbraten von Augsburg, Holl«, unterstützte Remboldt die Wirtin.
»Lasst gut sein. Mein Appetit ist zurzeit nicht allzu groß.«
»Man sieht’s Euch an. Ihr wart schon mal besser beieinander. Wollt Ihr nicht doch den Schweinsbraten …?«
Ich schüttelte den Kopf. Die Wirtin zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Den Hals gereckt, sah Remboldt ihr nach, wie sie mit ihrem breiten Gesäß an den Tischen vorbei in die Küche schwappte.
»Mei, die Theresa, ein Ackergaul von einem Weib. Aber was will ich sagen, die meinige hat mit den Jahren auch ganz schön zugelegt. Anders die Eurige, die ist nach wie vor zart wie eine Ricke.«
Ich verschwieg Remboldt meine Sorge um Rosina. Er war zu wenig mitfühlend, als dass man ihn mit persönlicher Seelennot strapazieren durfte; sein Interesse an den Menschen war begrenzt – »Ich bin weder Pfarrer noch Arzt. Allein die Stadt ist mein Schützling!«, lauteten seine Worte, mit denen er jedwedes Leidklagen eindämmte, das sein überschaubares Quantum an Anteilnahme zu überschreiten drohte. Zusammen mit fünf Ratsherren bildeten er und Marx Welser die Spitze des Augsburger Ämtergefüges. Dieser Stand wollte mit gebührlicher Distanz demonstriert sein. Obgleich Remboldt seinem Gegenüber stets nur ein begrenztes Maß an Interesse entgegenbrachte, so erhob er doch den Anspruch, dass man sich ihm stets mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu widmen habe, wenn er ausschweifend über seine mannigfaltigen Aufgaben und deren einhergehende Sorgen sprach; das konnte mal mehr mal weniger interessant sein, immer jedoch waren seine Ausführungen langatmig, zeitraubend und wenig bis gar nicht ergiebig. Natürlich hatte er viel zu erzählen; als Träger des höchsten städtischen Amts – in einer Freien Reichsstadt, einer von Fürsten unabhängigen Stadtrepublik, einzig dem Kaiser Untertan – traf er sich fast nur mit Vertretern der Freien Stände, des Adels und der Kunst. Das ergab Anekdoten in Fülle.
»Prost die Herrschaften!«
Theresa stellte die angewärmten Steinkrüge auf den Tisch. Wir stießen an und tranken. Ich verschwieg Remboldt meine Hoffnung darauf, dass Rosina zunehmen möge – die ›zarte Ricke‹ war zum todkränkelnden Kitz abgemagert –, worüber ich täglich betete in unserer Kirche Sankt Anna, in der wir geheiratet hatten und alle Kinder getauft. Nur mehr Haut und Knochen, behielt Rosina kaum die Suppe, die ihr Adelgund einträufelte, und wenn, dann schwitzte СКАЧАТЬ