Название: Die Versuchung des Elias Holl
Автор: Axel Gora
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783839238806
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Als die Uhr fünf in der Früh schlug, hatte ich den letzten Zeichenstrich getan. Die Konstruktion des Gerüstes aus Eichenhölzern, verstärkt mit eingeblatteten Fuß- und Kopfbändern, würde die Aufgabe erfüllen. Ich hatte die Hölzer so großzügig dimensioniert, dass ich Gefahr ausschließen konnte – nicht auszudenken, wenn das Gerüst unter der Last der Glocke zusammenbräche und Umstehende erschlüge. Elias, dachte ich, denke nicht so etwas; schon Vater hatte mir, wenn ich Skepsis am Erfolg eines Vorhabens hegte, gesagt: »Der Zweifel vergiftet das Gemüt und sitzt dem Gelingen wie ein Alb im Nacken. Darum zweifle nicht!«
»Wenn es dennoch scheitert?«
»Dann hast du dich verschätzt, vertan, verrechnet, getäuscht. Das ist lediglich ein Zeichen, beim nächsten Mal besonnener zu sein und alles noch einmal zu prüfen, hörst du?«
»Aber ist es nicht der Zweifel, der mich alles wieder und wieder prüfen lässt, bis ich dem Vorhaben traue und ans Werk gehe?«
»Nein, es ist nicht der Zweifel. Es ist die Erfahrung!«
Auf weitere Diskussionen hatte Vater sich niemals eingelassen. Bis dato hatte ich seiner Meinung nie ganz zustimmen können. Obwohl ich weiß Gott über Erfahrung verfügte, ein schmaler Spalt Zweifel klaffte stets zwischen Hoffnung und Glauben.
Ich rollte Gerüst- und Glockenhausentwurf zusammen, steckte beide – mit ein paar verworfenen – in meinen Umhängeköcher, blies alle Kerzen aus, zog mir Winterrock und Mütze über und machte mich auf den Weg zu Remboldt. Es war halb sechs in der Früh und noch dunkel; zu Bett zu gehen lohnte sich nicht mehr, ich bekäme ohnehin vor Ungeduld kein Auge zu. Remboldt, so hoffte ich, würde wohl kein Langschläfer sein.
Wenig später klopfte ich an sein Tor. Mehrmals musste ich das tun und immer lauter, bis mir unter mäkelnden Worten Remboldts Haushilfe öffnete. Was um Himmels Willen in den Stadtwerkmeister gefahren sei, um diese Zeit Einlass zu erbitten? Es sei wichtig und dringend, gab ich ihr Bescheid und scheuchte sie, den Hausherren zu wecken: »Sag ihm, ich will ihm die Lösung präsentieren! Schick dich, dein Herr erwartet mich!«
Zwei Glockenschläge – eine geschlagene halbe Stunde – ließ Remboldt mich warten, bis er mich geschniegelt und parfümiert empfing. Angesäuert, dass er mich so lange hatte warten lassen, wo es mir doch glutheiß auf den Nägeln brannte, begrüßte ich ihn schnodderig: »Oh, im Talar, der Herr Stadtpfleger? Das hätte meinetwegen nicht Not getan.«
»Gemach, Holl. Euretwegen ist es nicht. Um acht ist Ratssitzung. Aber, was ist mit Euch? Wie seht Ihr aus? Ihr habt Ringe unter den Augen und Euer Haar steht wirr. Schickt sich das für den Stadtwerkmeister?«
Dass ich, die ganze Nacht durchgearbeitet, nichts gegessen, nichts getrunken, ihm wohl keinen erbaulichen Anblick, stattdessen einen starken Kontrast zu seinem herausgeputzten Ich in Amtstracht bot, spiegelte sich in seinem Gesicht. Als Zugeständnis fuhr ich mir zweimal durchs Haar, was nicht sehr ersprießlich sein mochte.
»Ich sehe aus, wie halt einer aussieht, den der Schlaf nicht holen kann, weil ihn der Erfindergeist umtreibt!«
Anders als er, der wohl in der Bettstatt selig geschnarcht und gefurzt hatte, hatte ich gearbeitet.
»Ihr könnt’s halt nicht lassen, Holl. Euch genügt’s nicht, von einer Idee eingenommen zu sein, sie beherrscht Euch geradezu, im wahrsten Sinne des Wortes, mit Haut und Haar.«
»So ist’s. Und ich bin nicht Gram darüber. Nur so lässt sich wahrhaft Großes leisten. Und dann schickt es sich auch für den Stadtwerkmeister, mal nicht wie aus dem Ei gepellt zu erscheinen.«
»Solange es Eure Arbeit ist und nicht Luzifer oder Weibervolk, die von Euch derart Besitz ergreifen, lass ich’s mir eingehen. Das nächste Mal dürft Ihr trotzdem ein wenig an Euch halten und mich wenigstens eine Stunde später aufsuchen.«
Remboldt hieß die Gehilfin das Feuer im Küchenofen anfachen. Wir begaben uns nach nebenan in die Stube. Remboldt entzündete zwei Talglichter und bot mir Platz an. Ich erzählte ihm von der einzig wahren Lösung, die Ratsglocke in den Perlachturm zu hängen. Dort sei sie in unmittelbarer Nähe des Rathauses. Das Umhängen ginge einher mit einer Aufstockung des Turmes, die wiederum dem Turm und damit der Stadt besseres Ansehen verschaffe, was letztlich ja unser Ansinnen sei. Remboldt war gespannt auf die Entwürfe.
»Also, Holl, ich bin bereit. Präsentiert!«
Ich zog alle Pläne aus dem Köcher, streckte Remboldt aber zuerst die verworfenen Skizzen entgegen. Ich wollte sehen, wie er reagierte. So ernst mir die Sache war, doch wie stets der offene Spalt des Zweifels in mir weilte, so flackerte immer auch ein Schelmesflämmchen in mir, das meist zur Unzeit sich anschickte aufzuglimmen. Vater hatte mir die Schelmereien mit Ohrfeigen auszutreiben versucht; es gehe nicht an, damit Unmut zu erregen, damit Leute zu vergrätzen und wiederum dadurch sogar Aufträge zu verlieren. Meine Streiche zu unterlassen, war eine der wenigen von Vaters Lehren, die ich nicht beherzigte. Mutter hatte meinen Witz immer schon an mir gemocht und mir geraten, diesen niemals zu verlieren, was auch kommen möge. Für diesen Rat war ich ihr immer dankbar.
Remboldt nahm mal diese, mal jene Skizze in die Hand, wiegte den Kopf, kratzte sich am Hals, wiegte den Kopf. Ich stand neben ihm, erwartungsvoll.
»Und?«
»Hm, … ich will Euch nicht zu nahe treten, Holl, aber … wie soll ich sagen?«
»Ich bin ganz Ohr!«
»Nun, … Ihr wisst, um was es geht. Wir wollten Großes schaffen.«
»Gewiss! Das hab ich wohl verstanden. Ich bin weder tumb noch taub.«
»Das hatte ich nie behauptet, nur …«
»Ist es Euch nicht gewagt genug? Zu sehr am Alten hängend?«
»Ja! Ja, Ihr sagt es! Es ist … verzeiht mir, wenn ich’s so offen … es ist … langweilig.«
»Langweilig? Was meint Ihr damit?«
Ich riss ihm die Entwürfe aus der Hand. »Meint Ihr einfallslos? Unschöpferisch? Oder alltäglich? Meint Ihr gar banal?«
»Holl! Meine Güte! Seid doch nicht gleich beleidigt! Sie sind … na ja, nicht schlecht, Eure Entwürfe. Aber dafür, dass Ihr Euch die ganze Nacht um die Ohren geschlagen habt …«
»Ja? Was?«
»… hätte ich etwas anderes von Euch erwartet. Warum habt Ihr nicht etwas mehr gemacht?«
»›Etwas mehr‹? Was soll das heißen, ›etwas mehr‹? Vielleicht könnt Ihr Euch ein wenig präziser …?«
Remboldt sah mich streng an. Ich hatte ihn an seinem zweiten wunden Punkt getroffen; so wie man sein Mitgefühl nicht überfordern durfte, durfte man seine Wortwahl nicht abwerten. Es war Zeit, mit dem Unfug aufzuhören.
»Werter СКАЧАТЬ