Название: Die Versuchung des Elias Holl
Автор: Axel Gora
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783839238806
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Remboldt wollte sich aus einem hoffnungsträchtigen Anlass mit mir zum Mittagessen treffen, wie er mich bereits vor Tagen hatte wissen lassen – und rätseln, worum es sich handeln sollte. Gern den Geheimnisvollen gebend, rückte er auch jetzt nicht gleich mit dem Grund unseres Hierseins heraus. Er erzählte mir, nachdem Suppe und Braten kamen und wir uns guten Appetit gewünscht, Tratsch über den Großen Rat. Im Grunde wusste er, dass mich das nicht interessierte, obwohl ich ihm ebenfalls angehörte.
Die ersten Stücke Fleisch zwischen die Zähne geschoben und den Geschmack überschwänglich gelobt, fuhr er fort mit den Unwichtigkeiten: »Imhof ist mir immer noch Gram wegen des Herkulesbrunnens. Ihr wisst doch, diese …«
Ich vermied es, ihn dabei anzusehen. Der Anblick von eingespeicheltem Fleisch- und Knödelbrei zwischen schwefelfarbigen Schiefzähnen und Spuckefäden machte mich schaudern. Schon als Kind hatte mir das Gänsehaut beschert und nie hatte ich verstanden, warum allerorts die Menschen bei Tisch mit vollem Munde redeten; es konnte doch nicht angehen, dass niemand außer mir daran Anstoß nahm. War mein ästhetisches Empfinden zu zart für alltägliche Unzulänglichkeiten?
»… alte Geschichte. Wie kann man nur so starrköpfig sein? Zu allem Überfluss haben sich jetzt auch noch seine Frau und die Rehlingerin eingemischt. Als ob Weibsbilder damit was zu schaffen hätten. Ihr glaubt nicht, was mir das an Magendrücken heraufbeschwört. Jeden Morgen spüre ich dieses unsägliche Gefühl, als ob ich Wackersteine in meinem …«
Remboldts müßige Plauderei verblasste mit jedem weiteren Wort und waberte ungehört mit dem Dunst des Bratenfleischs durch die Wirtsstube. Die auf mich plätschernde Einförmigkeit seines Monologs zwang mich geradezu, mich auf den Löffel Suppe zu konzentrieren, den ich im Munde hatte, und dabei an Rosina zu denken. Bei Maria – Gott habe sie selig –, meiner ersten Frau, war es auch so angegangen; und was war dann geschehen? Von der Geburt unseres achten Kindes hatte sie sich nicht mehr erholt … Ihren Todestag, den 30. Januar vor sechs Jahren, würde ich meinen Lebtag nicht vergessen. Ich hatte erneut und zum neunten Mal – der Tod meiner Mutter, der Tod meines Vaters und die Tode von sechs Kindern – schwere Zeiten der Trauer durchlebt. Allein die bis an Besessenheit grenzende Flucht in die Arbeit ließ mich den Schmerz vergessen und Erinnerungen niederhalten, die sich mir aufzuzwingen suchten. Ich wäre nicht der Sohn meines Vaters Hans Holl gewesen, hätte ich nicht für meine beiden verbliebenen Kinder Johannes und Rosina nach einer neuen, liebevollen Mutter geschaut, die auch mir ein gutes Weib sein wollte. Noch mehr als mein Sohn hatte sich mein kleines Töchterchen gefreut, als ich nach der zehnwöchigen Trauerzeit ein neues Eheweib ins Haus brachte – rief man sie doch beide mit dem gleichen Vornamen. Rosina war nicht nur meinen beiden Kindern eine fürsorgliche Mutter, sie gebar mir bis zum heutigen Tag fünf weitere. Sie führte den Haushalt mit Freude und war mir auch eine seelische Stütze. »Wir können froh sein, dass du so viel Arbeit hast. Andere müssen Hunger leiden!«, hatte sie mich bestärkt, als ich in schwachen Momenten darüber grübelte, dass mir die ganze Rennerei über den Kopf wüchse: Von den Baustellen zum Amt, vom Amt zu den Baustellen, von dort zum Atelier. Vom Atelier zum Amt und von dort wieder zu den Baustellen und zurück und dann wieder von vorne. Ich selbst hatte nie Hunger leiden müssen. Schon als kleiner Bub hatte Vater mich an die Arbeit gestellt, und später in der Lehre mich angetrieben, niemals weniger oder schlechter zu arbeiten als die anderen. Ich sollte stets nach dem Fleißigsten schauen und versuchen, diesen zu übertreffen. Wenn ein Lehrling im vierten Jahr zwölf Steine trug, sollte ich, gerademal im ersten Jahr, sechzehn tragen, wenn einer einen Kübel Speis vermauerte, mussten es bei mir anderthalb, besser zwei sein. »Du bist des Meisters Sohn, das schafft Neid von Haus aus«, hatte er mir eingebläut, »guck, dass dir niemals einer am Kittel flicken kann. Sei rege und tu immer mehr, als das, was man dir anschafft!« Daran hatte ich mich alle Tage gehalten. Und der Erfolg gab mir Recht. Ich erreichte es, mit Verstand, Disziplin und nicht zuletzt mit meiner bloßen Hände Arbeit ein wohlhabender Mann zu werden, den man manierlich auf der Straße grüßte. Was jedoch nützte mir Geld, was Ansehen, wenn der Herrgott schon wieder drohte, mir meine Liebe zu nehmen – mein Eheweib und Mutter von fünf Kindern? Was hatte ich begangen, dass er mich erneut zu züchtigen suchte? Kümmerte ich mich zu wenig um Rosina und die Kinder? War ich ein schlechter Ehemann und Vater? Suchte ich fleischliche Befriedigung im Frauenhaus? Ging ich zu wenig in die Kirche? War ich gar ein Sünder? Nein und nochmals nein! Beileibe nichts von alledem! Niemals! Ich arbeitete viel, sehr viel! Über die Maßen und immer bis tief in die Nacht, manchmal sogar bis zum Morgengrauen. Doch ich wusste: Arbeit ist ein Geschenk Gottes! Hatten wir doch lange schwere Zeiten durchzustehen gehabt, da Handwerker die Obrigkeit um Arbeit ersuchen mussten. Das war jetzt nicht mehr so. Unser Augsburg strebte auf. Alle Welt sollte von uns erfahren. Wir hatten die vermögendsten Kaufleute und Geschlechter bei uns versammelt: die Fugger, Welser, Imhof, Paler, Rehlinger, … Sie waren es, die uns Aufträge gaben und Wohlstand brachten. So wollte ich die Arbeit stets in Ehren halten und überdies ein Gutmensch sein.
»… ist es nicht so, Meister Holl? … Meister Holl! Ist es nicht so?«
»Äh? Was?«
»Ihr nickt die ganze Zeit und es kommt kein Wort der Gegenrede. Also, wie lautet nun Euer Vorschlag?«
»Genickt? Habe ich …? Mein Vorschlag? Ja, … mein Vorschlag! Natürlich …«
»Eure Entwürfe liegen doch schon seit Jahren bei Euch im Atelier. Immer wieder habt Ihr mich damit bedrängt und jetzt, wo die Zeit gekommen ist, druckst Ihr herum? So kenne ich Euch gar nicht.«
»Verzeiht, ich war in Gedanken.«
»Ah? Ihr hört mir also nicht zu?«
»Meinem Weib ergeht es nicht gut.«
»Wie bitte? Der Große Rat zählt, Euch eingeschlossen, dreihundert Mitglieder: Hundertvierzig Gemeine, achtzig Kaufleute, sechsunddreißig Mehrer und vierundvierzig Geschlechter. Glaubt Ihr, dass nur ein einziger darunter wäre, der mir nicht mit ganzem Ohr zuhörte, nur weil es seinem Weib ›nicht gut‹ erginge?«
Es trat ein, was ich zu vermeiden suchte; ich hatte Augsburgs obersten Amtmann in seiner Ehre gekränkt. Das war bitter. Doch würde ich nicht zu Kreuze kriechen. Remboldt war wohl ein Herr des höchsten Dienstes und stand über mir, doch ich war nicht weniger ein Mann, der um seine eigenen Fähigkeiten und Ämter wusste. Freilich sprachen zwei Dinge gegen mich: Ich gehörte den oft nicht nur vom römischen Klerus ungeliebten Protestanten an und ich war nur von einfachem bürgerlichen Stand. Remboldt wusste das, doch niemals hätte er es ins Feld geführt. Er war nicht der klerikalen Obrigkeit ein Diener, sondern der weltlichen und ebenfalls nicht von Adel.
»Das mag angehen, werter Remboldt. In diesem Fall ist es aber das Weib des Stadtwerkmeisters. Es gibt nur einen und der bin ich! Vor zwölf Jahren von den drei Baumeistern Wolfgang Paler, Constantin Imhof und Johann Bartholomäus Welser gewählt, und damit aufgestiegen zum Oberherrn des bedeutendsten Ressorts des reichsstädtischen Baumeisteramtes. Ich bin de facto für das komplette reichsstädtische Bauwesen verantwortlich!«
Ich erzählte in einem fort, so, wie Remboldt es für gewöhnlich tat, und tischte ihm die große Palette meiner gängigen Aufgaben auf, angefangen vom Begutachten von Gebäuden mit Anordnung des Abrisses oder der Erhaltung, über die Planung neuer Projekte mit Vermessen von Grundstücken, dem Erstellen von Material- und Handwerkerlisten СКАЧАТЬ