Название: Die Versuchung des Elias Holl
Автор: Axel Gora
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783839238806
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»Ja! Mein Gott, Kager, verschont mich mit Eurem Schöpfergeschwafel. Ihr seid fürwahr ein großer Künstler. Womöglich der größte, den Augsburg zu Zeit aufzubieten vermag. Doch bitte, Eure Philosophie ein andermal. Erzählt mir kurz und bündig, was am Weberhaus zu sehen ist!«
»Kurz und bündig … zu sehen, hm …«, wiederholte Matthias, »wie meint Ihr das?«
»Na wie wohl? Ich möchte wissen, was Ihr da abgebildet habt, was halt da zu sehen ist, nicht mehr und nicht weniger.«
»Also gut, … was gibt es zu sehen«, wiederholte Matthias und rieb sich den Bart. Seine Stimme hatte plötzlich die Kälte des Wetters angenommen ob dieser Schmähung seiner Kunst. »Wenn Ihr Euch die Südfassade anschaut, so seht Ihr im Erdgeschoss Venezianer beim Warenverkauf an Augsburger Kaufleute und Warenkauf der Venezianer bei den Osmanen. Im ersten Obergeschoss seht Ihr die Vier Zeitalter und die Sieben Lebensbereiche sowie Römerinnen bei der Tuchbeschau.«
»Und die anderen Fassaden?«
»Über dem Eingangsportal der Ostfassade seht Ihr Justitia mit Waage und Richtschwert, von vier Putten umgeben. Im ersten Obergeschoss Ulrich und Afra. Im zweiten seht Ihr die siegreiche Rückkehr des Heeres aus der Schlacht auf dem Lechfeld. Daneben die Verleihung des Wappens an die Weber. Ganz oben, im dritten Obergeschoss, seht Ihr Szenen aus der Schlacht selbst.«
Ich stöhnte. Nicht, weil mir jedes dieser gehäuften und verdrossenen seht aus Matthias’ Mund wie ein falscher Ton ins Ohr ging, und auch nicht, weil diese reißbrettartige Aufzählung seiner Kunst nur ein schwaches Schlaglicht bot, das deren Tiefe niemals auszuleuchten vermochte, sondern weil man ursprünglich hier zusammengekommen war, um über Körper und Gesicht meines neuen, nicht unerheblichen Bauwerks zu sprechen. Mochte es nicht so imposant sein wie Stadtmetzg und Zeughaus, die ebenfalls meine Ausführungen waren, so handelte es sich doch um ein Bauwerk, mit dem ich das Bild des Perlachplatzes, des bedeutendsten Ortes der Stadt, gestalten sollte. Eben dieses Bauwerk hatte Garb mit wenigen Sätzen zur Nichtigkeit herabgesetzt. Mit seiner plumpen Fragerei nach der Bemalung des Weberhaus’ hatte er mir das Heft entrissen und es Matthias in die Hand gespielt. ›Kager, Ihr seid womöglich der größte Künstler, den Augsburg zu Zeit aufzubieten vermag …‹, blabla. Nichts als Bauchpinselei. Matthias’ Fresken, so meisterhaft sie sein mochten, interessierten Garb einen Dreck. Er veranstaltete dieses Szenario allein, um mich vor den anderen ein wenig in den Staub zu drücken – seit der Venedigreise vor vierzehn Jahren waren wir, gelinde gesprochen, einander nicht gut Freund. Wir standen lediglich noch in Geschäftsbeziehung; dass diese irgendwann ein Ende haben würde, war abzusehen.
»Die Westfassade zeigt die vier Erdteile und das Feuerland, fünf Statuen mit Weberwerkzeugen und die fünf Tätigkeiten des Weberhandwerks. Die Schildkröte symbolisiert die Häuslichkeit der Weber. Und der Fackelträger steht als Allegorie für deren Fleiß bei Tag und Nacht.«
Ich hatte es geahnt. Matthias konnte nicht umhin, doch noch zwei Erklärungen beizufügen, obwohl Garb sein Desinteresse gegenüber der hohen Kunst der Symbolik unmissverständlich geäußert hatte.
Gewiss, Matthias’ Malerei war kunstvoll und zeugte von Gabe. Aber was war mit mir? Was war mit meiner Kunst? Was brauchte es alles, um Häuser, Türme, ja Burgen und Kirchen zu bauen? Nicht nur zu zeichnen? Angefangen vom Grundriss bis zum Hochmauern der Wände bedurfte es großen Wissens, großen Verstandes und großer Geschicklichkeit. Es schien jedoch, dass Auge und Herz des gemeinen Mannes, einerlei welchem Stande er angehörte, gemalten, das hieß, mit bloßer Farbe aufgetragenen Figurenszenen eher angetan sein mochten, als von dem Werk, das ihre Existenz erst ermöglichte: die bloße Architektur dahinter. Das Wahre wurde verkannt, das Lob flog dem Gefälschten zu, der Betrachter zeigte sich fasziniert von der dahingepinselten Illusion der Dreidimensionalität, statt die wahrhaftige, in Lot und Waage gemauerte, zu honorieren; ein Umstand, der mir, wie wohl jedem anderen nachdenklichen Kopf, ein Schütteln abverlangte.
»Meister Holl!«, tönte eine helle Stimme vom Perlachplatz herüber, »Meister Holl!«
Ein Junge kam in den Bau gehetzt. Der Atem stieß mit Dampf hervor, die Wangen feuerrot.
»Hier hinten!«
»Eure Frau! Das Kind!«
»Na endlich! Was ist es? Ein Bub? Ein Mädel?«
»Weiß nicht. Ihr sollt kommen!«
»Ich kann hier jetzt nicht weg! Wir haben wichtige Dinge …«
»Aber Ihr müsst! Eurer Frau geht es schlecht!«
Garb platzte hervor: »Ich weiß von keinem Weib, dem es bei der Niederkunft gut ginge.«
Halt doch einmal nur dein blödes Maul, Garb, war mir auf der Zunge gelegen. Ich eilte zum Ausgang, der Junge hintendrein. Beim Hinausgehen hörte ich Garb noch spotten: »Seht nur, wie der Holl rennen kann.« Ich hielt abrupt an, um sogleich weiterzumarschieren – jetzt war nicht die Zeit für eine Fehde.
»Was ist los daheim?«, fragte ich den Jungen, während wir übers zugeschneite Pflaster den Hinteren Perlachberg hinunterschlitterten.
»Der Arzt ist da und sie haben was vom Herrn Pfarrer geredet!«
Gott im Himmel, was sprach der Bub da. Rosina hatte bereits vier Kinder zur Welt gebracht. Keine der Geburten war für sie eine leichte gewesen, wie die Ammen oder Rosina selbst mir später erzählten7, jedoch war immer alles glücklich verlaufen: Rosina war ins Wochenbett gelegt, das Kind gebadet und ihr an die Herzseite gegeben worden. Hernach hatte sie eine gute Mahlzeit bekommen und mit der Amme und den Nachbarinnen gefeiert, während ich mit Freunden im Gasthaus ›Zur goldenen Sonne‹ auf ein paar Krüge Bier gegangen war. Drei Tage später war die feierliche Taufe gefolgt und wir hatten alles getan, um das Kind zu halten. Das war uns bislang vier Mal gelungen, sollte es uns beim fünften Mal verwehrt bleiben?
Wir rannten durch den Schnee die Sterngasse entlang, einmal rutschte der Bub aus, einmal ich, gerieten an den Vorderen Lech und waren in wenigen Minuten an meiner Wohnung in der Bäckergasse. Am Antritt zum Treppenhaus gab ich dem Jungen einen viertel Kreuzer in die Hand, klopfte den Schnee von Mantel und Hosenboden, zerrte hastig die tropfnassen Schuhe von den Füßen und stieg – zwei Stufen auf einmal nehmend – nach oben. Flüchtig bekreuzigte ich mich vorm Kruzifix über dem Türstock und trat in die Wochenstube. Hitze und der Geruch von Kreuzkümmel und Myrrhe waberten durch den dunklen Raum, schlugen mir ins Gesicht und machten mich schwanken. Ich fand Halt am Bettpfosten.
Gottlob, das Kind lag bereits gewickelt an Rosinas Herz. Adelgund und Doktor Häberlin standen bei ihr. Der Pfarrer war nicht zugegen. Ich atmete auf und schloss kurz die Augen.
»Sie schläft. Tief und fest, Meister Holl. Geht zu ihr, das wird sie spüren.«
Doktor Häberlin wies auf den Stuhl am Bett. Ich setzte mich neben Rosina und nahm ihre Hand. Kalt wie die meinige war sie, obwohl Rosina in mehrere Laken gehüllt war. Still saß ich neben ihr und sah sie an.
»Meister Holl.«
Die Schwangerschaft hatte sie arg mitgenommen. Sie war bleich, das Haar, sonst so glänzend, ganz stumpf.
»Meister Holl …«
Mit jedem Streicheln über ihre kalte Hand wurde mir dumpfer ums Herz. Das Atmen fiel mir mit einem Mal schwer.
»Meister Holl, hört Ihr …«
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