1984. George Orwell
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Читать онлайн книгу 1984 - George Orwell страница 14

Название: 1984

Автор: George Orwell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Reclam Taschenbuch

isbn: 9783159618609

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СКАЧАТЬ dann nur noch in Neusprechfassungen, sie werden nicht nur in etwas anderes verwandelt, sondern vielmehr in etwas umgewandelt, das dem widerspricht, was sie einst waren. Selbst die Literatur der Partei wird sich verändern. Selbst die Parolen werden sich verändern. Wie sollte es noch eine Parole wie ›Freiheit ist Sklaverei‹ geben, wenn der Begriff von Freiheit längst abgeschafft worden ist? Die ganze Sphäre des Denkens wird anders sein. Tatsächlich wird es kein Denken mehr geben, wie wir es heute verstehen. Orthodoxie bedeutet nicht denken – nicht mehr denken zu müssen. Orthodoxie ist Unbewusstheit.«

      Eines Tages, dachte Winston mit plötzlicher Überzeugung, wird Syme vaporisiert werden. Er ist zu intelligent. Er sieht viel zu klar und spricht zu offen. Die Partei mag solche Leute nicht. Eines Tages wird er verschwinden. Das steht ihm ins Gesicht geschrieben.

      Winston hatte sein Brot und den Käse aufgegessen. Er drehte sich auf seinem Platz ein wenig zur Seite, um seinen Kaffee zu trinken. An dem Tisch linker Hand sprach der Mann mit der schneidenden Stimme immer noch erbarmungslos weiter. Eine junge Frau, vielleicht seine Sekretärin, die mit dem Rücken zu Winston saß, hörte ihm zu und schien bei allem, was er sagte, eifrig zuzustimmen. Ab und zu schnappte Winston Bemerkungen auf wie »Sie haben ja so recht, ich stimme Ihnen absolut zu«, Bemerkungen, die von einer jugendlichen und eher dümmlichen weiblichen Stimme geäußert wurden. Aber die andere Stimme unterbrach sich nicht einmal einen Moment lang, auch dann nicht, wenn die junge Frau etwas einwarf. Winston kannte den Mann vom Sehen, aber er wusste über ihn nur, dass er irgendeinen wichtigen Posten in der Abteilung für Fiktion innehatte. Der Mann war um die Dreißig, hatte einen kräftigen Hals und einen großen, lebhaften Mund. Er hatte den Kopf ein wenig zurückgelegt, und aufgrund des Winkels, in dem er saß, fingen seine Brillengläser das Licht ein und zeigten Winston zwei leere Scheiben statt der Augen. Ein wenig beängstigend war, dass man aus dem Schwall von Lauten, die aus dem Mund hervorquollen, so gut wie keine einzelnen Wörter heraushören konnte. Nur einmal schnappte Winston eine Phrase auf – »die vollständige und endgültige Eliminierung des Goldsteinismus« –, die schnell hervorgestoßen wurde und, wie es schien, aus nur einem Stück zu bestehen schien, wie eine zusammengesetzte Satzzeile einer Druckform. Der Rest war nur Lärm, ein quack-quackartiges Schnattern. Und obwohl man nicht genau hören konnte, was der Mann sagte, gab es keinen Zweifel an der Art seiner Aussagen. Gut möglich, dass er Goldstein denunzierte und striktere Maßnahmen gegen Gedankenverbrecher und Saboteure einforderte, möglich auch, dass er gegen die Gräueltaten der eurasischen Armee wetterte, vielleicht lobte er aber auch den Großen Bruder oder die Helden an der Malabar-Front – es machte keinen Unterschied. Ganz gleich, was es war, man konnte sicher sein, dass jedes einzelne Wort pure Orthodoxie, purer Engsoz war. Während Winston das augenlose Gesicht und den auf- und zuklappenden Unterkiefer betrachtete, hatte er das eigenartige Gefühl, dass dies kein echter Mensch, sondern eine Art von Puppe war. Nicht das Gehirn des Mannes gab das Sprechen vor, es war der Kehlkopf. Das Zeug, das aus ihm hervorquoll, bestand zwar aus Wörtern, aber es handelte sich nicht um Gesprochenes im herkömmlichen Sinn: Es war ein in Unbewusstheit geäußertes Lärmen, wie das Quaken einer Ente.

      Syme war für eine Weile in Schweigen verfallen und zeichnete mit dem Stiel seines Löffels Muster in den Klecks Eintopf. Derweil quakte die Stimme am anderen Tisch unvermindert weiter, nicht zu überhören in dem allgemeinen Lärm.

      »Es gibt da ein Wort auf Neusprech«, sagte Syme, »ich weiß nicht, ob du es kennst: Quaksprech, quaken wie eine Ente. Das ist eines jener interessanten Wörter, die zwei einander widersprechende Bedeutungen haben. Angewendet auf einen Gegner, ist es ein Schimpfwort; angewendet auf jemanden, dessen Ansicht du teilst, bedeutet es Lob.«

      Keine Frage, Syme wird vaporisiert werden, dachte Winston erneut. Er dachte dies mit einem gewissen Bedauern, obwohl er sehr genau wusste, dass Syme ihn verachtete und nicht recht mochte, darüber hinaus war er sehr wohl in der Lage, ihn als Gedankenverbrecher zu denunzieren, wenn er einen Anlass dafür sah. Da war etwas ganz unmerklich falsch an Syme. Ihm fehlte es an etwas: Taktgefühl, Zurückhaltung, einer Art von selbstbewahrender Naivität. Man konnte nicht behaupten, dass er unorthodox war. Er glaubte an die Prinzipien des Engsoz, er verehrte den Großen Bruder, er begeisterte sich für Siege, er hasste Abweichler, nicht nur aufrichtig, sondern mit einem rastlosen Eifer und einer Wohlinformiertheit, die das gewöhnliche Parteimitglied sonst nicht an den Tag legte. Dennoch haftete ihm eine gewisse Unehrenhaftigkeit an. Er sagte Dinge, die man besser für sich behielt, er hatte zu viele Bücher gelesen, er besuchte häufig das Chestnut Tree Café, den Lieblingsort der Maler und Musiker. Es gab kein Gesetz, nicht einmal ein ungeschriebenes, das den Besuch des Chestnut Tree Cafés verboten hätte, dennoch besaß der Ort eine unheilvolle Aura. Die alten, diskreditierten Führer der Partei hatten sich für gewöhnlich dort getroffen, bevor sie letzten Endes ausgemerzt wurden. Goldstein höchstpersönlich hatte sich dort, wie man hörte, öfter blicken lassen, vor Jahren und Jahrzehnten. Symes Schicksal war leicht vorhersagbar. Trotzdem war es eine Tatsache, dass Syme, wenn er auch nur für drei Sekunden die wahre Natur von Winstons geheimen Ansichten erfasste, ihn sofort an die Gedankenpolizei verraten würde. Das würde jeder andere auch tun – aber Syme noch vor allen anderen. Eifer genügte nicht. Orthodoxie war Unbewusstheit.

      Syme schaute auf. »Da kommt Parsons«, sagte er.

      Etwas in seinem Tonfall schien hinzuzufügen »dieser verfluchte Narr«. Parsons, Winstons Nachbar in den Victory-Wohnblocks, bahnte sich tatsächlich einen Weg durch den Saal – ein stämmiger Mann mittlerer Größe mit blondem Haar und einem froschähnlichen Gesicht. Mit fünfunddreißig Jahren setzte er bereits Fettwülste am Nacken und an den Hüften an, aber seine Bewegungen waren flink und jungenhaft. Seine ganze Erscheinung ähnelte der eines Jungen, der zu groß geraten war, und zwar in einem Maße, dass man nicht umhinkonnte, sich ihn in blauen Shorts, einem grauen Hemd und dem roten Halstuch der Spione vorzustellen, obwohl er die vorgegebenen Overalls trug. Stellte man sich Parsons vor, hatte man immer Bilder von zerschrammten Knien und hochgekrempelten Hemdsärmeln an speckigen Armen vor Augen. Und Parsons griff wirklich stets auf kurze Hosen zurück, wenn ein gemeinschaftlicher Ausflug oder andere körperliche Aktivitäten ihm einen Vorwand dafür lieferten. Er begrüßte beide mit einem fröhlichen »Hallo, hallo!« und setzte sich zu ihnen an den Tisch, wobei er eine Schweißwolke absonderte. Kleine Tropfen glänzten auf seinem geröteten Gesicht. Seine Fähigkeit zu schwitzen war außergewöhnlich. Im Kommunalen Zentrum wusste man immer anhand der feuchten Schlägergriffe, wann Parsons zuletzt Tischtennis gespielt hatte. Syme hatte unterdessen einen Streifen Papier hervorgeholt, auf dem eine lange Kolumne von Wörtern stand, und betrachtete ihn, einen Tintenstift zwischen den Fingern.

      »Schau ihn dir an, arbeitet sogar in der Mittagszeit«, sagte Parsons und stupste Winston an. »Übereifer, was? Was haben Sie denn da, alter Junge? Ist bestimmt zu hoch für mich, denke ich. Smith, alter Junge, ich will Ihnen verraten, warum ich Sie suche. Es geht um die Spende, die Sie vergessen haben, mir zu geben.«

      »Welche Spende soll das sein?«, fragte Winston und tastete automatisch nach seinem Geld. Etwa ein Viertel des Gehalts musste man für freiwillige Spenden einplanen, und es fielen so viele an, dass man manchmal gar nicht mehr den Überblick behielt.

      »Für die Hasswoche. Wissen Sie – die Kollekte von Haus zu Haus. Ich bin der Kassenwart für unseren Block. Wir legen uns richtig ins Zeug – werden eine richtige Show abziehen. Ich sag Ihnen, es wird nicht meine Schuld sein, wenn die alten Victory-Wohnblocks nicht den meisten Fahnenschmuck in der ganzen Straße haben. Zwei Dollar haben Sie mir versprochen.«

      Winston holte zwei abgegriffene, schmuddelige Banknoten hervor und reichte sie Parsons, der den Betrag in einem kleinen Buch vermerkte, in der ordentlichen Handschrift der Ungebildeten.

      »Übrigens, alter Junge«, sagte er. »Hab gehört, der kleine Bengel von mir hat gestern mit der Schleuder auf Sie geschossen. Hab ihm ’ne ordentliche Standpauke gehalten. Tatsächlich hab ich ihm gesagt, dass ich ihm die Schleuder wegnehme, wenn er das nochmal macht.«

      »Ich denke, er war ein bisschen enttäuscht, СКАЧАТЬ